Ein guter Freund fragte mich im letzten Jahr immer wieder, ob ich noch glaube und ob ich in der Katholischen Kirche bleiben würde angesichts des Missbrauchsskandals und der ganzen Streitigkeiten. Letzte Woche kommt per WhatsApp diese Nachricht: „Kardinal [Reinhard] Marx hat total Recht, die Kirche ist an „einem toten Punkt“ angekommen“. Dann einige Tage später: „Der Passionsspielleiter Christian Stückl aus Oberammergau sagt, dass die Sache mit „Schuld, Sühne, Vergebung“ überholt sei, „Jesus hat für ETWAS gekämpft“ und die Kirche wird bald völlig bedeutungslos sein! …wie siehst du das?“ Seitdem pflegen wir einen intensiven Gedankenaustausch.

Kirche – Schlagzeilen

Wir notieren die brennenden Fragen: Was ist los mit dem Glauben? Missbrauch, was sind das für Priester? Macht die Kirche es gut mit der Aufklärung? Sollen wir in der Kirche bleiben? Glauben wir alles, was die Kirche so sagt? Warum katholisch sein? Der Tote-Punkt-Satz, ziemlich leere Gottesdienste, Austritte, Streit im Synodalen Weg, Grabenkämpfe, …woher und wie soll es in der Kirche besser werden? 

Wir waren uns auch einig, dass kaum jemand außerhalb der praktizierenden Katholiken überhaupt noch unsere Sprache versteht von Sakramenten, Hingabe, Sünde…ganz zu schweigen von Verzicht, Zölibat, Sexualmoral… oder Anbetung, Prozessionen, Eucharistie, Realpräsenz….

Die Welt dreht sich immer schneller- kleine Analyse 

Mein Bekannter meinte, wir sollten mal die „Lebenswirklichkeit“  analysieren. „Wie leben die Millenials und wir, was prägt uns, was verändert uns wie - heute und künftig?“ 

Wir diskutieren und halten folgendes fest: nicht nur die sogenannten Millenials, auch wir Ü 50,  sind herausgefordert, uns mit den gravierenden Änderungen der Welt um uns herum auseinanderzusetzen:

  • Wir leben in einem nie dagewesenen,  extremen Wohlstand und in einer Zeit der endlosen Alternativen.
  • Statt wie früher seine Lebensaufgabe als Mehrwertbringer/als Pflichterfüller in und an der Gesellschaft zu sehen hat sich eine Art  „Kultur der uneingeschränkten individuellen Entfaltung“ entwickelt. 
  • Die Digitalisierung hat enorme Chancen und Vorteile, aber sie birgt ebenso Risiken wie Zeitfresser, digitale Ablenkung, Verhaltensänderungen „allein mit meinem WLAN glücklich“, Aufgabe des analogen (realistischen) Lebens, Polarisierung in den Social Media) – auf jeden Fall verändert sie unser bisheriges Zusammenleben und Leben und Denken so extrem wie ein Polsprung.
  • Die zunehmende Technisierung (Stichwort home office, KI, Transhumanismus) wird unsere Art des Lebens und auch die Ethik des Erlaubten durch die technischen Möglichkeiten nicht nur bereichern, sondern auch gefährden.
  • Dazu gehören auch bereits vollzogene und künftige Dammbrüche in der Bioethik, die bislang als selbstverständlich geltende und garantierte Menschenrechte als veränderbare Variable umdefinieren:
    • Siehe Abstimmung EU Parlament am 23.6.2021 zum Matic-Bericht mit der Idee des „Menschenrechts auf Abtreibung“.
    • Eine zunehmende Einschränkung der Menschenrechte für Ungeborene: zig Tausende von Embryonen werden im Labor hergestellt, selektiert, verzweckt, kryokonserviert (tiefgefroren), vernichtet. Abtreibung soll uneingeschränkt erlaubt werden: „Abtreibung als Menschenrecht“.
    • Der ärztlich oder privat assistierte Suizid (Euthanasie) ist in immer mehr Ländern erlaubt bzw. nimmt generell zu. 
    • Zunahme an Reproduktionskliniken, Leihmutterschaft statt natürlicher Elternschaft sowie Genmanipulationen an Embryonen.
  • Es hat sich eine Art „Kultur der Harmonie“ entwickelt (Kinder und Eltern haben quasi die gleichen Wert, Empathie und Emotionen statt Sachlichkeit, Betroffenheitsrhetorik als Diskussionskiller)
  • Laut Jugendstudien leben 
    • junge Leute in einer Kultur der Gefühle und Akzeptanz-Harmonie
    • mit großem Vertrauen in die Systeme
    • wohnen noch mit 25 Jahren zu Hause
    • zunehmend als Single
    • haben Probleme mit Leistungsdruck und Konformität
  • unsere Gesellschaft polarisiert sich zunehmend, viele ziehen sich in ihre „bubbles“, safe spaces / Rückzugsorte zurück.

Betrachten wir die Kirche:

  • Die „Volkskirche“ (so es je eine echte Volkskirche und nicht nur Mitläufertum gab) gibt es nicht mehr.
  • Glaubenswissen ist Mangelware. 
  • Die Kirche erreicht kaum mehr die Menschen. Sie ist immer der Spaßverderber, der moralische Zeigefinger – aber hat wegen der Missbrauchskrise ein Glaubwürdigkeitsproblem
  • Christen aller Konfessionen steht ein großer Marktplatz an neuen Formaten, neuen Bewegungen und Events,  (analog und digital) zur Verfügung. Der Glaube kann auch auf dem Smartphone stattfinden.

Auf WhatsApp fragte mich mein Bekannter einige Tage später: „Wenn Du 1 Minute Zeit hättest, was würdest Du jemanden der keine Ahnung hat, der quasi von einem anderen Stern kommt, über Glauben und Kirche sagen?“

Ich machte einen Versuch und merkte, dass das echt schwierig ist.  Besser fand ich die Geschichte von Papst Johannes Paul II, der einmal zu einem Journalisten auf die Frage, ob er die Botschaft des Christentums in 3 Sätzen sagen könne, antwortete: Es braucht nur ein Wort: SALVATION!  Salvation heißt übersetzt Heil, Rettung und auch Erlösung!

Er schrieb zurück: „Aber wer von den Zuhörern hat bei „Erlösung und Rettung“ Jesus am Kreuz und die Auferstehung vor Augen? Was denken die meisten Menschen bei den Begriffen Rettung und Erlösung? Rettung vor der Klimaänderung? Arbeitslosigkeit? Langeweile? Um was geht es letztendlich in unserem Leben?“ 

Ich schreibe: „Um ein erfülltes Leben hier und später ums Ewiges Leben! Um die unendliche Liebe Gottes zu uns und wie wir die Liebe leben können! Wenn ich an die Früchte des Geistes denke, Paulus, das möchte doch jeder, oder Friedliche und freundliche Menschen, die nicht egoistisch sind, die gutmütig sind, Selbstbeherrschung haben. Vergebung statt Strafe…Unser Glaube ist so attraktiv und wahr. Wir setzen uns wegen der Nächstenliebe für den Nächsten ein, sagen nicht zu dem Typen, der von der Brücke springen will „tus doch“ etc etc. 

 „Ja, nicht schlecht“, schreibt mein Bekannter, „aber das kannst du auch ohne Kirche haben. Die Kirche hat ihre Glaubwürdigkeit und Sprachfähigkeit verloren. Sie redet von Dingen, die kaum einer außerhalb versteht. Und außerdem verletzt die Kirche durch ihre rigiden und unmodernen Vorgaben viele Menschen, die den hohen Ansprüchen nicht gerecht wurden, die Lebensbrüche haben. Auch ich habe eine große Verletzung, da ich ja geschieden und wiederverheiratet bin und nicht zur Kommunion zugelassen bin. Zumindest offiziell…! Ich sage Dir: Der Zustand der Kirche ist kurz vor dem Untergang!“

Von Untergang, Sturm und wer uns retten kann

Beim Wort „Untergang“ habe ich die Szene aus der Bibel mit dem Boot im Sturm auf dem See Genezareth vor Augen.

Tage später telefonieren wir dazu. Wir begeben uns imaginär auf das kleine Boot als blinder Passagier. Es stürmt, die See ist aufgewühlt, das Boot wird hin und her geworfen, die Jünger kämpfen mit aller Kraft gegen den Sturm an, doch es droht zu kentern. Der Sturm wird stärker, die Kräfte der Jünger schwinden, sie mühen sich ab, doch das Boot füllt sich mit Wasser. Der Untergang ist ihnen sicher. Sie sind verzweifelt und von Angst erfüllt. Dann erinnern sie sich: Jesus ist mit im Boot. Der Jesus, der Dämonen austreibt und unheilbar Kranke heilt. Aber Jesus sagt nichts; Jesus tut nichts; Jesus schläft. Es ist, als wäre er nicht da. Jesus, der all die anderen rettet — rettet sie nicht! Sie wecken ihn auf und rufen: Kümmert es Dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Jesus sagt: Warum habt ihr solche Angst? Warum seid ihr so feige?  Habt ihr noch keinen Glauben? Und dann gebietet er dem Sturm aufzuhören.

Wir beschließen, darüber nachzudenken, was dieses Erlebnis auf dem See Genezareth mit uns macht. Einige Tage schreibe ich eine E-Mail:

„Lieber NN!  Zunächst schreibe ich Dir, was die Sturm Geschichte mir bedeutet: Ich bin überzeugt, es geht Jesus um meine innere Haltung. Glaube ich: Jesus ist bei mir? Vertraue ich: Jesus wendet alles zum Guten? Hoffe ich: Jesu Liebe hält und trägt mich?

Aber Jesus möchte auch, dass wir mutig und tapfer sind. Licht und Salz. Die Wahrheit in Liebe sagen in einer Sprache, die der andere versteht.

Jesus ist der Herr über den Sturm auf dem See Genezareth. Genauso ist er der Herr über die Stürme meines Lebens. Und ebenso ist Jesus der Herr über den Sturm um die Kirche und in der Kirche heute. Er hat es in der Hand, ob und wann der Sturm nachlässt. Aber vertrauen wir nicht immer lieber uns selbst als dass wir Jesus vertrauen? Wer schaut schon auf Jesus, versuchen wir nicht eher alles selbst zu machen?

Glauben wir, dass Er wirklich da ist? „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ War das nicht sein Versprechen?

Ja, ich weiß, das Bodenpersonal. Das war schon immer problematisch. Das sind nämlich Menschen wie Du und ich. Verstehe mich richtig, Verbrechen wie Missbrauch sind unentschuldbar. Ich meine das ganz normale Bodenpersonal, wie gleich am Anfang Petrus, der Jesus 3-mal verleugnete. Das war voll der tote Punkt. Man könnte sagen, der erste tote Punkt. Die Kirchengeschichte hatte einige mehr davon. Aber zurück zu Petrus. Und was machte Jesus? Er vergibt Petrus 3-mal und beauftragt ihn als Oberhirten, als den Felsen, auf den er seine Kirche baut. „Weide meine Schafe!“ 

Als Firmenchef hättest Du vielleicht zu Jesus gesagt: „Aber Petrus ist doch gar nicht qualifiziert. Er lügt und ist feige. Warum behältst du ihn und befördertest ihn auch noch?“ Gott ist eben anders als wir Menschen. Salvation statt Strafe. 

Daher bin ich überzeugt, dass Gott auch in diesen Zeiten seine Hand über uns und seine Kirche hält. Er lässt den aktuellen Sturm zu, damit wir wieder auf ihn schauen,  statt auf uns und unsere Egoismen. In diesem Sturm kommt auch der Missbrauch ans Licht – das ist bitter und nötig. In diesem Sturm kann auch ein Neuanfang sein. Aber der geht nur mit Jesus im Boot. Also indem wir auf ihn schauen. Beten! Uns mit ihm beschäftigen, mit der Bibel, mit Glaubenswissen, indem wir Menschen aktiv vom Glauben und der Frohen Botschaft erzählen und alle Menschen in der Kirche willkommen heißen.  Sprich, die Kirche und jeder von uns muss –wie es der Papst an Kardinal Marx schrieb – sich selbst reformieren. Umkehren und statt seiner eigenen Wünsche Jesus und sein Vermächtnis in den Mittelpunkt stellen!“

Einige Tage höre ich nichts von meinem Bekannten, dann kam seine Antwort:

„Lass uns anfangen, über die Freude des Glaubens zu sprechen, so wie es wohl die ersten Christen taten und wie es Papst Franziskus in Evangelii gaudium schreibt: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude.“

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