Jeder Staat muss das für ihn unerlässliche Maß an Erkenntnis und Wahrheit über das Gute von außerhalb seiner selbst nehmen, wie es Joseph Ratzinger gefordert hat. Die denkerische Grundlage kann der Staat nicht selbst schaffen, er ist vielmehr darauf angewiesen, dass sie im gesellschaftlichen Diskurs erörtert und dann übernommen wird.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den fürchterlichen Verwerfungen, die die drei nihilistischen totalitären Systeme über die Welt gebracht hatten, der Kommunismus, der Faschismus und der Nationalsozialismus, bildete sich – auf der geschichtlichen Erfahrung aufbauend – wie von selbst eine Gegnerschaft gegen diese drei Totalitarismen. Im Namen dieser totalitären Philosophien wurden Menschenrechtsverletzungen in einem Umfang vorgenommen, der jegliche menschliche Vorstellung übersteigt. Im Namen der Klasse und der Rasse wurden Abermillionen von Menschen Freiwild, die geopfert wurden, um Ideen durchzusetzen, die ein gelingendes Leben vorgaukelten, doch nur dem Verbrechen verfallen waren. Jeder, der nicht die herrschende Idee vertrat, jeder, der nicht der präferierten Rasse oder Klasse entstammte, wurde als Feind angesehen und in den Lagern vernichtet.

Diese Verwerfungen hatten die Staatsmänner Schuman, de Gasperi und Adenauer vor Augen, als sie nach dem Krieg begonnen haben, nicht nur ihre eigenen Staaten wiederaufzubauen, sondern auch ein geeintes Europa. Die damaligen Staatsmänner wollten, dass diese verbrecherischen Denksysteme nie mehr die Grundlage der freiheitlichen Staaten Europas bilden dürften. Deshalb wurde übereinstimmend festgelegt, dass die einzelnen Staaten sich jeglicher totalitärer Herrschaftsidee widersetzen müssten. Dies war die Geburtsstunde des Antitotalitarismus. Es wurde erkannt, dass nicht nur der Nationalsozialismus eine verbrecherische Staatsform hervorgebracht hatte, in deren Namen über sechs Millionen Juden und viele andere Personen getötet worden sind, es wurde auch erkannt, dass im Namen des Marxismus-Leninismus über einhundert Millionen Menschen ermordet wurden und noch mehr anderweitig der Menschenrechte beraubt worden sind.

Doch im Verlauf der nächsten Jahrzehnte verblasste die Erinnerung an die Verbrechen des Kommunismus, und die Idee des Marxismus wurde mehr und mehr wieder als Heilsversprechen für die Welt verklärt. Spätestens seit der Wiedervereinigung wird dieses Auseinanderfallen von Theorie und Praxis immer deutlicher und damit die Abkehr vom gemeinsamen Antitotalitarismus hin zum Antifaschismus. Die Staatspartei der DDR, in deren Namen unzählige Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind, durfte weiter existieren, wurde als demokratisch nobilitiert und kann am politischen Diskurs teilnehmen. Zwar änderte sie ihren Namen, um zu insinuieren, dass sie lediglich eine Nachfolgepartei der SED sei und nichts mit den Verbrechen der SED zu tun habe, worauf die Intellektuellen nur allzu gern hereingefallen sind, doch es herrscht eine Rechtsidentität zwischen der SED und der Partei "Die Linke". Dies hat zur Folge, dass ein Mitglied der SED/Die Linke Ministerpräsident eines Bundeslandes, unterstützt von der CDU, werden konnte, dass ein weiteres Mitglied dieser Partei, das darüber hinaus Mitglied einer antikapitalistischen Organisation ist, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, mit Unterstützung der CDU zur Richterin des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde, dass der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag mit einer Koalition von SPD, Grüne und Die Linke liebäugelt ja, dass der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag von Brandenburg für eine Zusammenarbeit mit dieser Partei werben.

Dass die SPD mit der SED zusammenarbeiten möchte, ist nicht überraschend. Noch kurz vor der Wiedervereinigung hatten sich beide Parteien zusammengesetzt, um die Gemeinsamkeiten herauszufinden. Dass aber jetzt auch Teile der CDU diese Zusammenarbeit suchen, zeigt deutlich, dass die Vergangenheit der SED/Die Linke nicht mehr interessiert. Zwar gibt es noch bedauernde Lippenbekenntnisse hinsichtlich der erschossenen und durch Minen zerfetzten Toten an den Grenzen der DDR, doch damit lässt man es gut sein. Um dem im Historikerstreit als sakrosankt verkündeten Urteil zu genügen, dass die Verbrechen der Deutschen einzigartig seien und nicht relativiert werden dürften, werden diese immer wieder thematisiert, die Verbrechen des Marxismus-Leninismus hingegen werden negiert, um dieser Ideologie den Makel der Verwerflichkeit zu nehmen. Begünstigt wird dieses Negieren durch das Erstarken einer oft dumpfen und zugleich intellektuell hilflosen Masse, die in dem ungehinderten Zustrom von Personen aus einem vollkommen anderen Kulturkreis eine Bedrohung ihrer selbst meint, erkannt zu haben. Je lauter auf der politisch äußeren rechten Seite der Protest wurde, desto geringer wurde die Erinnerung an die Verbrechen der äußersten Linken und desto mehr konnte sich "Die Linke" als die Partei gerieren, die sich schon immer gegen rechtsextreme Strömungen gewandt hat.

In dieser Verharmlosung, die von weiten Teilen des Staatsvolkes widerspruchlos hingenommen wird, tritt immer mehr der ursprüngliche Gedanke des Antitotalitarismus zurück und der Totalitarismus wird nur noch mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. Der Kommunismus wird demgegenüber nicht mehr als Totalitarismus angesprochen – so wie es die Staatsidee der DDR vortäuschte. Diese empfand sich als ein demokratischer Rechtsstaat, der auch durch die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Diktatur des Proletariats nicht totalitär geworden sei. Der Kommunismus exkulpierte sich selbst und wurde aus dem Kanon der Totalitarismen ausgegliedert. In der Akzeptanz der Partei "Die Linke" wird offenkundig, dass der Marxismus als gesellschafts- und salonfähig betrachtet wird und dass die Partei keine verwerfliche Vergangenheit zu verantworten hat. Offensichtlich reichen dreißig Jahre aus, um zu vergessen, was für eine verbrecherische Partei die SED gewesen ist – und der Marxismus für eine untaugliche Wirtschaftstheorie.

Lothar C. Rilinger (*1948) arbeitet seit 1979 als Rechtsanwalt und ist Mitglied des Vorstands des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen und Landesvorsitzender dieses Arbeitskreises in Niedersachsen. Darüber hinaus engagiert er sich in der Niedersächsischen Klosterkammer und bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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