Am 30. September des Jahres 1897 ist in dem unscheinbaren Karmelitinnenkloster von Lisieux in Frankreich die junge Schwester „Theresia vom Kinde Jesus und dem heiligen Antlitz“ im Alter von 24 Jahren gestorben. Es war Papst Pius XI., der sie 1925 selig- und am 17. Mai 1925 heiliggesprochen hat. Später wurde sie noch zur Patronin der Weltmission und zur Kirchenlehrerin erhoben.

Zweifellos ist die „kleine Therese“, wie sie gerne liebevoll genannt wird, eine große Heilige. Mit ihren autobiographischen Aufzeichnungen, die als „Geschichte einer Seele“ noch heute in allen Sprachen der Welt gedruckt werden, hat sie viele Menschen auf ihrem Glaubensweg begleitet.

Am 18. Oktober 2015 wurden auch die Eltern von Therese, Zélie und Louis Martin, heiliggesprochen. So wird sich mancher verwundert fragen: Was wird das für ein Familie gewesen sein? Und wie wird es im Haus dieser Eltern mit neun Kindern, wovon vier im Säuglings- bzw. Kindesalter gestorben sind, zugegangen sein?

Louis und Zélie haben in vielen Bereichen ihres Lebens nichts Außergewöhnliches geleistet: nicht in ihrer Ehe und nicht in der Erziehung ihrer Kinder. Sie geben uns das Beispiel eines ausgeglichenen und liebevollen Ehepaares, das versucht, in der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein gutes und gottgefälliges Leben zu führen. Beide arbeiten für den Lebensunterhalt der Familie und die Erziehung ihrer Kinder. 

Zélie Martin wurde am 23. Dezember 1831 geboren und starb bereits am 28. August 1877 im Alter von 45 Jahren an Brustkrebs, als ihre jüngste Tochter Therese gerade vier Jahre alt war. Louis Martin, geboren am 22. August 1823, starb am 29. Juli 1894. Er erlitt zwei Schlaganfälle; wegen starker Arteriosklerose (der heutigen Alzheimer-Krankheit) kam für drei Jahre in ein Nervenkrankenhaus und verstarb als Pflegefall. 

Nichts in ihrem äußeren Dasein unterscheidet sich von dem unseren: Es gibt Freuden, Leid und Prüfungen. Auch in den scheinbaren Schicksalsschlägen wissen sich die Eheleute in Gottes Händen geborgen und gut aufgehoben. Was ihr Lebensbeispiel als heilig erscheinen lässt, wird vordergründig zunächst nicht deutlich, denn der Alltag ist im Wesentlichen zeitlos. Ihr Leben zeigt jedoch, dass ein heiligmäßiges Leben zu führen auch in der Ehe und im Familienleben möglich ist.

Louis und Zélie zeichnet eine außergewöhnliche Seelengröße sowie einen bewundernswerten Glauben aus. Beide wollten, bevor sie heirateten, in ein Kloster eintreten. Beide wurden nicht aufgenommen. Doch ihr großer Wunsch nach Vollkommenheit lässt sie nur wenige Monate nach der Eheschließung gegenseitig versprechen, absolute Keuschheit zu bewahren. Ein Beichtvater aber rät ihnen von diesem außergewöhnlichen Weg ab.

Sicherlich verstehen wir, dass ihr unerfüllter Wunsch nach dem Ordensleben sie dazu befähigte zu akzeptieren, dass sie die religiöse Berufung ihrer fünf Töchter förderten. Der Wert der ewigen Jungfräulichkeit im Ordensleben ist für sie unumstößlich.

Dennoch sind Louis und Zélie Martin normale Menschen, normale Katholiken. Sie leben in ihrer Zeit und an einem konkreten Ort. Louis besucht jeden Morgen die hl. Messe und geht danach seiner Arbeit nach. Er angelt gerne, spielt Billard, macht seinen Apfelwein und singt Lieder für seine Kinder. Er ist ein engagierter Christ und nimmt an Vorträgen und Konferenzen teil, liest katholische Magazine und unternimmt Pilgerreisen. Zélie gehört dem dritten Orden der Franziskaner an. Während ihr Mann eher still und diskret ist, ist sie aktiv und spontan. Ihre Anpassungsfähigkeit ist ihre Stärke und ihr Glück. 

In jedem Familienleben gibt es Gefahren, individuelle Charakterschwächen, Müdigkeit, Stress, Gezänk unter Geschwistern, Launen von Kindern, Wünsche von Jugendlichen, Bildungsprobleme, überarbeitete Eltern, Zeiten verschiedener Krisen, Krankheit, Tod.

Alle diese Lebenswirklichkeiten blieben auch der Familie Martin nicht erspart. Es kam auch bei ihnen zu Spannungen und Meinungsverschiedenheiten. Das kann in einer Familie mit fünf Kindern kaum überraschen. Doch bei den Martins ist das Wichtigste: zuerst Gott. Das ist der Klebstoff ihrer Beziehung.

Die Familie Martin ist in allen physischen und psychischen Prüfungen vergleichbar mit vielen anderen, ja allen Familien. Denn alle tragen ihr Kreuz in der Endlichkeit ihres Daseins auf Erden. Allerdings lebten Zélie und Louis, genau wie ihre Töchter, weder in Revolte gegen Gott noch in Resignation. Sie verstanden, was jeder Christ wissen sollte: Die Lebenszeit auf Erden ist begrenzt und umfasst Schmerz, Leid und Tod. Doch in unserem übernatürlichen Glauben wissen wir von einer anderen Existenz, die dieses vergängliche Leben nicht als das Ende ansieht. Gott erwartet uns und ruft uns mit unserem Namen zu sich in sein ewiges Reich.

Die Eltern der hl. Therese von Lisieux haben zahlreiche Briefe geschrieben. 218  Brief von Zélie und 16 von Louis beinhaltet das Buch von Media Maria: „Briefe der hl. Louis und Zélie Martin“. 

Darin finden sich konkrete Beispiele für Zeiten, in denen der Ton unter den Eheleuten angespannt war. So fürchtet Zélie Louis’ Reaktion, als sie ihm schreibt, dass sie seine Uhrmacherbank [er war Uhrmacher] aufgeräumt hat, während er in Paris ist: „Du darfst deswegen nicht böse sein, es wird nichts verloren gehen, nicht einmal ein alter Vierkant, kein Stückchen Feder, wirklich nichts; und dann wird sie oben und unten schön sauber sein! Du wirst nicht sagen können, ich hätte den Staub nur von einer Seite zur anderen geschoben […].“ Wenn Zélie das so sagt, dann im Grunde, weil sie die Erfahrung gemacht hat, dass ihr Mann in dieser Art sehr pingelig ist. Und Zélie beendet den Brief: „Deine Frau, die dich mehr liebt als ihr Leben.“

Als Marie einmal eine Unstimmigkeit zwischen ihren Eltern bemerkte, beklagte sie sich bei ihrer Mutter darüber. Zélie schrieb dazu: „Ich sagte zu ihr: ‚Überlass das mir, ich erreiche immer, was ich will, und das ohne Streit. Bis dahin bleibt noch ein ganzer Monat Zeit, das reicht, um Deinen Vater noch zehnmal umzustimmen.‘“ Sie wollte damit sagen: Hab keine Angst, ich liebe deinen Vater. Denn „er verstand mich und tröstete mich, so gut er konnte, denn seine Neigungen waren den Meinen ähnlich; ich glaube sogar, dass unsere gegenseitige Zuneigung dadurch noch zunahm.“

Eine andere Meinungsverschiedenheit entsteht im Mai 1871, als Zélie davon spricht, mit den Mädchen nach Lisieux gehen zu wollen. Die Tochter Céline ist gerade erst 25 Monate alt. Louis hält dies für Wahnsinn. Zélie überlegt und schreibt in einem Brief: „Louis sagte zu mir, es sei verrückt, die Kleine mitzunehmen; ich glaube er hat recht, ich könnte es bereuen.“

Was können Ehepaare daraus lernen? Louis und Zélie Martin versuchen Ordnung der Harmonie in ihre Beziehung zu bringen, was nicht immer gelingt. Dafür ist gegenseitiges Verständnis notwendig, das sie sicher beständig suchen, denn dies ist ein kostbares Gut. Dabei sollen die Eltern keine Einstellung zueinander haben, die bei ihren Kindern Fragen erzeugen könnten, ob Vater und Mutter unliebsame Auseinandersetzungen austragen würden. Vielmehr sollen sie Vorbild sein und die Worte Jesu befolgen: „Wenn du deine Gabe zum Altar bringst, und du dich erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe vor dem Altar, gehe hin, und versöhne dich zuvor mit deinem Bruder; und dann komm und opfere deine Gabe!“ (Mt 5,23–24) Auf diese Weise wächst man in einer Gemeinschaft des Lebens und der Liebe, wie in der Ehe und in der Familie. 

Einer der letzten Briefe von Louis ist aus dem Jahr 1888. Die jüngste Tochter Therese war gerade in den Karmel eingetreten. Der Vater schrieb seinen Kindern: 

„Ich muss Euch sagen, meine lieben Kinder, dass es mir ein Bedürfnis ist, dem lieben Gott zu danken, und auch Euch zu bitten, es zu tun, denn ich spüre, dass unsere Familie, so bescheiden sie auch ist, die Ehre hat, zu den Auserwählten unseres wunderbaren Schöpfers zu zählen.“

"Briefe der hl. Louis und Zélie Martin (1863–1888): Die Eltern der hl. Therese von Lisieux" ist im Verlag Media Maria erschienen und hat 384 Seiten.

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