Christen im Irak: "Es ist ein Völkermord" – Ein Zeugnis

Eine Flüchtlingsfamilie in einem Lager in Dohuk, Irak.
CNA/Daniel Ibanez

Die Ursachen für das, was im Irak und im Mittleren Osten passiert, findet man in den leidenschaftlichen Worten von Pater Rebwar Basa, einem Priester, der bei der Ausstellung in Rimini darüber sprach, was die Christen dort erleben.

Seines ist nur eines der sieben Zeugnisse, die Kirche in Not an ihrem Stand beim Meeting von Rimini organisiert hat. Ein Raum aus Erfahrungen – weil es nicht reicht, Bilder zu zeigen. Es ist nötig, erleben zu lassen. Durch CNA gibt Pater Basa den Christen Iraks eine Stimme, die oft nicht wirklich eine Stimme haben.

Die Verfolgung der Christen im Mittleren Osten ist zum Thema geworden mehr oder weniger seit der Vormarsch des selbsternannten Islamischen Staates begonnen hat. Aber eigentlich erlebt der Irak schon seit längerer Zeit eine Abwanderung von Christen, ich würde sagen, seit unmittelbar nach Ende des Zweiten Golfkrieges. Wie kam es zu diesem stillen Exodus?

Man hat in der Wahrnehmung der Verfolgung einen Schritt nach vorne gemacht: heute spricht man darüber, zuvor war es, wie gesagt, ein stiller Exodus. Wir hoffen, dass auf das "Sprechen" Taten folgen, bevor es zu spät ist. Taten, die fähig sind, die christliche Minderheit im Irak zu retten und zu schützen. Wer die Geschichte der Kirche im Irak kennt, weiß sehr wohl, dass es eine Märtyrerkirche ist, von ihrer Geburt an, von den Zeiten der Evangelisierung durch den heiligen Apostel Thomas an. Und von den Zeiten ihrer Entstehung bis heute hat sie immer diese stille Abwanderung erlebt.

Warum gibt es diese Verfolgung?

Das ist gleichbedeutend mit der Frage: Warum gibt es Hass, Kriege, Gewalt, Diskriminierung? Ich weiß es nicht! Aber ich weiß, dass der Herr gesagt hat: "Ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden" (Lk 21,17). Für uns ist es eine Seligpreisung, verfolgt zu werden. Im Evangelium heißt es weiter: "Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet" (Mt 5,11).

Warum aber ist dieses ständige Martyrium vor den Augen der Welt verborgen geblieben?  

Weil die Kinder der Welt ihre Aufmerksamkeit auf die Dinge richten, die für sie interessanter sind, wie Geld, wirtschaftliche und politische Interessen... aber vor allem, weil jene, die diese Verbrechen begehen, alles dafür tun, um sie zu verbergen und das um jeden Preis. Und falls sie einmal aufgedeckt werden, rechtfertigen sie diese Gräueltaten mit falschen Ausreden.

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Wie können die Christen im Irak ihren Beitrag leisten?

Trotz dieser Situation des Leides und der Verfolgung hatten die Christen im Irak im Lauf ihrer Geschichte eine sehr wichtige Rolle – und haben sie auch heute. Auch ihr Beitrag für das Territorium ist bedeutsam. Zuerst einmal geben die Christen im Irak ein sehr konkretes Beispiel, wie man dem Herrn Jesus folgen muss, indem man sich selbst verleugnet, sein Kreuz auf sich nimmt und ihm nachfolgt (vgl. Mk 8,34). Darüber hinaus helfen die Christen im Irak mit ihrer tausendjährigen Präsenz im Land der Wurzeln unseres Glaubens, das physische Gedächtnis dieser heiligen Orte zu beschützen, zu bewahren und lebendig zu halten. Letztendlich geben sie ein großes Beispiel, wie man unseren christlichen Glauben leben soll, indem sie  - als Minderheit in diesen, von großen politischen und militärischen Konflikten heimgesuchten Orten lebend – versuchen, Werkzeug des Friedens und der Liebe inmitten einer Hölle von Krieg und Hass zu sein.

Und dann gibt es noch die Bemühungen um Dialog...

Ja, sicherlich. Brücke zu sein zwischen verschiedenen Kulturen ist eine unentbehrliche Aufgabe der irakischen Christen und der Christen im Mittleren Osten generell. Zum Beispiel: Die Christen haben der arabischen Welt die griechische Philosophie bekannt gemacht, indem sie sie vom Griechischen ins Aramäische und vom Aramäischen ins Arabische übersetzt haben. Und heute haben sie mehr denn je diese Aufgabe, eine Brücke zwischen dem Osten und dem Westen zu sein, dank ihrer Kenntnis der arabischen und muslimischen Welt einerseits und ihres christlichen Glaubens und ihrer christlichen Kultur, die sie mit dem Westen teilen, andererseits. Die Christen im Mittleren Osten haben somit ihren wertvollen Beitrag geleistet und leisten ihn immer noch.

Worin sollte den Christen hauptsächlich geholfen werden?

Man soll ihnen vorrangig dazu verhelfen, dass zumindest ihr Recht zu existieren und ein würdevolles Leben als Kinder Gottes und menschliche Wesen zu leben, anerkannt und garantiert wird! Aber leider gibt es dieses Recht nicht! Allein dank der örtlichen Kirche und der gesamten Kirche ist es den vom selbsternannten Islamischen Staat verfolgten christlichen Flüchtlingen gelungen, in den letzten beiden Jahren zu überleben! Ich möchte besonders die beständige Hilfe erwähnen, die diese Christen von Kirche in Not erhalten.

Wie ist die Situation der Katholiken im Irak? Die Christen sind oft in Flüchtlingslagern, vor allem in der Nähe von Erbil: Wird man zur Normalität zurückkehren können?

"Normalität" ist ein zu großes Wort. Wir irakische Christen kennen keine Normalität! Es gibt keine Normalität, zu der man zurückkehren könnte! Um die "Normalität" zu erreichen, sind verschiedene Schritte nötig: das Gebiet muss vom selbsternannten Islamischen Staat befreit werden; die besetzen  und zerstörten Städte und Zonen müssen erneut bewohnbar gemacht werden; die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in der Region verübt worden sind, müssen anerkannt werden; Gerechtigkeit muss wieder hergestellt und Sicherheit garantiert werden. Man muss ein Klima der Vergebung und Versöhnung schaffen. Aber vor allem muss man garantieren, dass sich so etwas nie mehr wiederholt! Kurz gesagt: es braucht ein Wunder!

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Gibt es eine Zukunft für die Christen im Irak?

Das erscheint mir sehr schwierig, wenn die Situation so weitergeht! Aber für Gott ist nichts unmöglich. Wenn die Menschenrechte geachtet und die Religionsfreiheit für alle garantiert wird, werden nicht nur die Christen im Irak eine Zukunft haben, sondern es werden sich auch viele bekehren. So wird der berühmte Ausspruch Tertullians – "das Blut der Märtyrer ist Same der Christen" – gerade in diesem Land der Verfolgung wahr werden können.

Kann das, was im Irak und in Syrien geschieht, als Völkermord bezeichnet werden?

Ich bin ein irakischer Priester und kenne die Situation der Christen im Irak und ihr großes Leid gut. Was den Irak betrifft, bekräftige ich, dass es nicht nur als Genozid definiert werden "kann", sondern "muss". Und ich betone, dass die internationale Gemeinschaft ihre Pflicht erfüllen muss, zu retten, was noch zu retten ist, die Sicherheit der Christen zu garantieren und ihre Rechte zu verteidigen.

Warum ist es ein Völkermord?

Weil unser Land eingenommen wurde; weil unsere Häuser mit dem Buchstabenن (Nun) gekennzeichnet worden sind, um unsere christliche Identität anzuzeigen; weil nach Anbringung dieses Zeichens das Eigentum an unseren Häuser an den Islamischen Staat gefallen ist, nachdem unter das Zeichen ن geschrieben worden war: "Eigentum des Islamischen Staates". Es ist ein Genozid, weil unsere Kirchen – darunter Denkmalkirchen, die auf die ersten Jahrhunderte zurückgehen – bestenfalls in Moscheen umgewandelt und in anderen Fällen zerstört worden sind, um die Fläche als Parkplatz zu nutzen oder sie wurden als Kasernen für militante Terroristen benutzt oder als Orte, in denen die entführten Frauen verkauft, vergewaltigt und wie Sklavinnen behandelt werden! Weiter: es ist ein Völkermord, weil viele unserer Gläubigen, darunter Bischöfe, Priester, Seminaristen, Ordensmänner- und frauen und viele Laien in den Kirchen von Selbstmordattentätern attackiert wurden, während sie für den Frieden beteten; andere wurden entführt und grausam ermordet oder entführt und gefoltert und dann gegen enorm hohes Lösegeld wieder freigelassen; weitere wurden getötet, nur weil sie ein Kreuz um den Hals oder im eigenen Auto hatten; wieder andere wurden einfach aufgrund ihrer christlichen Identität ermordet.

Christen, die aus ihrem Land entwurzelt werden...

Es gibt den ernsthaften Versuch, all das auszulöschen, was uns als Christen und als religiöse und ethnische Minderheit an unser Land bindet: Sprache, religiöse Identität, Kultorte, Eigentum, Tradition, Kultur, Theologie, Liturgie, Denkmäler, Handschriften. Die Christen waren vor dem Zweiten Golfkrieg mehr als eine Million: heute sind davon 300.000 übriggeblieben und ungefähr die Hälfte davon sind Flüchtlinge innerhalb des eigenen Landes.

Es handelt sich um eine ständige Verfolgung...

Es ist eine dramatische Situation. Wenn all das kein Völkermord ist, dann sollte man die Definition von Völkermord ändern und ihn wie folgt bestimmen: nur falls ein Volk mit Atombomben angegriffen und komplett ausgerottet wird, dann ist es ein Genozid! Und in diesem Fall wird es uns Christen im Irak nichts mehr nützen, dass es als Völkermord definiert wird. Und es wird auch kein Monument zum Gedenken an diesen Völkermord mehr brauchen!

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