Paul Tillich beherrschte die Kunst des begründeten Widerspruchs. Er gehört zu den prominentesten Vertretern der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts. Unter anderem befasste er sich mit der Grundgestalt des reformatorischen Denkens. Die prägnante Überschrift eines Bandes der Gesamtausgabe seiner Schriften lautet: "Protestantismus als Kritik und Gestaltung". Der gläubige Christ kann, darf und muss innerkirchlich Widerspruch artikulieren dürfen. Das gehört unverbrüchlich zum Selbstverständnis jener freien, mündigen und selbstbewussten Christenmenschen, die den Kirchengemeinschaften der Reformation zugehören. Tillich hat auch über die "Prinzipien des Protestantismus" nachgedacht. Die kritische Reflexion kirchlicher Anordnungen und der kirchlichen Obrigkeit ist dem mündigen Christen geboten. Darin spiegeln sich freilich auch die Auseinandersetzungen mit den "Deutschen Christen" in der NS-Zeit.

Katholiken äußern in der Moderne zunehmend auch Proteste. Aus der subjektiven Perspektive scheint das oft gut begründet, zeitgemäß und sachgerecht zu sein. Weithin bekannt sind die Bewegung "Wir sind Kirche" und die Aktionsgemeinschaft "Maria 2.0", die auf ihre eigene Weise dezidiert Anliegen vorbringen, öffentlich sichtbar machen und Gehör finden. Wer sich einer liberalen oder progressistischen Bewegung zugehörig weiß, streitet wider die kirchliche Obrigkeit, anders gesagt: Protestiert. Von vielen Medien werden solchen Aktionen oft mit großer Aufmerksamkeit begleitet. Trotzdem wissen wir – säkular betrachtet –, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Gruppen oder Einzelne für sich in Anspruch nehmen, niemand anderen dazu verpflichtet, den Protestlern zuhören oder gar zustimmen zu müssen. Unter Katholiken, glaube ich, ist es wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben, mehr noch: miteinander zu beten, insbesondere für die Einheit der Kirche. Stärker als alles, was uns trennt, könnte und sollte unsere Verwurzelung im Credo der Kirche sein. Wir sind eingeladen, an den dreifaltigen Gott zu glauben, der Kirche des Herrn anzugehören und jenen treu zu sein, die zum Hirtendienst bestellt sind. Freilich müssen wir nicht alles verstehen, was kirchlich beschlossen wird – auch in Zeiten der Corona-Pandemie. Kritik an einzelnen Äußerungen von manchen Oberhirten ist nicht verboten. Doch von der kirchlich gebotenen Treue zum Bischof ist niemand dispensiert. Das ist kein Widerspruch, sondern gut katholisch. Wer darüber stöhnen mag, möge stöhnen. Es bleibt aber dabei: Der Katholik ist kein Protestant, kein Opponent, kein Streiter für eine noch so gut begründete Privatmeinung. Mehrheit schafft keine Wahrheit. Gerade zum hohen Pfingstfest bekennen wir, daran zu glauben, dass der Heilige Geist in der Kirche wirkt und diese leitet. Der "Creator Spiritus" ist das Lebensprinzip der Kirche. Zum Heiligen Geist beten wir, dass er uns behüten möge auch vor den verführerischen Geistern, die in allen subjektiven Meinungen gegenwärtig sind und manchem verlockend erscheinen. Man mag als gläubiger Katholik in dieser sehr besonderen Zeit noch so verstimmt sein wegen einiger Anordnungen, die es uns ermöglichen, Gottesdienst zu feiern: Die Mundkommunion darf nicht gespendet werden, die Mindestabstandsgebote bestehen und auch das beherzte Singen beliebter Kirchenlieder ist untersagt. Einige fragen sich: Sollten wir als Katholiken dagegen nicht persönlich oder kollektiv protestieren? Was mich betrifft: Mir fehlt die Begabung dazu. Ich bin eigentlich nur dankbar. Warum? Wir feiern – endlich wieder – Eucharistie. Was heißt das eigentlich? Auf Griechisch bedeutet »Eucharistòmen«: "Wir danken." Wir sind Bettler vor Gott, und wir dürfen dankbar dafür sein, dass wir die heilige Messe mitfeiern können. Vielleicht machen auch einige von Ihnen jetzt die Erfahrung, dass die Sehnsucht nach dem Empfang des Sakraments des Altares sich ausweitet und das Verständnis dessen, was Kommunion heißt, sich vertieft? Oder möchten einige von Ihnen eher den – menschlich verständlichen – Protest äußern oder im Herzen tragen, dass wir zurzeit nicht die Mundkommunion empfangen können?  

Wir feiern Eucharistie. Wir können und dürfen dafür dankbar sein. An die Dimensionen der Eucharistie hat Benedikt XVI. anlässlich seines 65. Priesterjubiläums erinnert: "»Eucharistòmen« verweist uns auf jene Wirklichkeit des Dankes, auf jene neue Dimension, die Christus uns geschenkt hat. Er hat das Kreuz, das Leid, alles Übel der Welt in Dank und so in Segen verwandelt. Und so hat er grundlegend das Leben und die Welt »transubstantiiert«, und er hat uns das Brot des wahren Lebens gegeben und gibt es uns jeden Tag, das Brot, das die Welt dank der Kraft seiner Liebe überwindet. Zum Schluss wollen wir uns in diesen »Dank« des Herrn hineinfügen und so wirklich die Neuheit des Lebens empfangen und bei der Transubstantiation [Wandlung] der Welt helfen: auf dass sie keine Welt des Todes sei, sondern des Lebens; eine Welt, in der die Liebe den Tod besiegt hat." Dankbarkeit, scheint mir, ist eine echt katholische Tugend, die uns in und mit der Kirche aller Zeiten und Orte verbindet.

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