"Den Glauben nicht länger verschämt verstecken"

Ein Gespräch mit Elmar Nass, Priester und Professor für Wirtschafts- und Sozialethik, über die Erneuerung der Kirche

Blick auf den Petersdom über den Tiber am Abend des 26. September 2019
Blick auf den Petersdom über den Tiber am Abend des 26. September 2019
Daniel Ibanez / CNA Deutsch
Professor Elmar Nass
Professor Elmar Nass
Marion André / CNA Deutsch
Bischof Rudolf Voderholzer und Kardinal Rainer Maria Woelki
Bischof Rudolf Voderholzer und Kardinal Rainer Maria Woelki
Bistum Regensburg / Erzbistum Köln
Christus, der wahre König, mit musizierenden Engeln, gemalt von Hans Memling um 1480
Christus, der wahre König, mit musizierenden Engeln, gemalt von Hans Memling um 1480
Wikimedia (CC0)

In seinem jüngsten Buch, "Utopia christiana. Vom Kirche- und Christsein heute", zeichnet der Priester und Professor Elmar Nass das Bild eines  fiktiven Bistums "Utopia", das sich im Jahr 2020 seinen Fehlentwicklungen stellt. Er beschreibt in "zwei kirchenutopischen Dialogen", wie dort die Vision einer begeisternden Kirche selbstbewusster Christen verwirklicht wird. Im Interview spricht Professor Nass über Mission, Glaubwürdigkeit und den Wettbewerbsvorteil der Kirche.

Professor Nass, an einer Stelle im Buch schreiben Sie,  die Maßnahmen zur Erneuerung im Bistum Utopia seien kein Angriff auf andere, sondern ein Angriff auf den eigenen Untergang. Geht die Kirche unter?

Als gläubiger Christ und Priester gehe ich davon aus, dass der Heilige Geist in der Kirche wirkt. Deshalb bin ich sicher, dass die Kirche nicht untergeht. Ich halte es aber für gefährlich, zu glauben, dass schon irgendwie alles gut geht. Das ist zu einfach gedacht. Wenn wir uns nicht verändern, wird zumindest unser missionarischer Auftrag immer bedeutungsloser, und wir verlieren immer mehr an Strahlkraft. Beteuerungen reichen nicht aus. Ansonsten wird die Kirche sich marginalisieren. Dem soll das Buch entgegenwirken.

In Utopia geht der Erneuerung eine detaillierte Bestandsaufnahme voraus. Sie beschreiben seine Situation im Jahr 2020, also unsere heutige. Was beobachten Sie da?

Ich glaube, das Grundproblem unserer Kirche ist die verlorengegangene Glaubwürdigkeit. Die müssen wir zurückgewinnen. Die großartige Botschaft, die wir haben, muss wieder gehört werden. Was nützt es, wenn sie im Elfenbeinturm verstaubt? Es ist, glaube ich, zentral, dass wir die Botschaft von Jesus Christus wieder in den Mittelpunkt stellen. Damit die Kirche nicht über ihre menschlichen Fehler definieret wird, sondern über ihre Schätze. Deshalb braucht es Menschen, die diese Schätze wieder in ihrem Leben sichtbar werden lassen.

Haben wir es hier mit einem speziell deutschen Problem zu tun?

Natürlich zeigt sich die globale Kirche in ihrer missionarischen Wirkung je nach Region in unterschiedlichem Gesicht. Die Skandale der letzten Jahre haben aber zweifellos eine internationale Dimension, mit den  entsprechenden Folgen von Depression und des Verlustes an Glaubwürdigkeit…Glaubwürdige Kirche in der Welt ist eine unbestechliche Stimme der Gerechtigkeit, der  Hoffnung, des Friedens und der Freiheit.  Deshalb sollte sie überall sichtbar an der Seite aller stehen,  die für solche Werte eintreten. Glaubwürdige Weltkirche ist das Gewissen der Liebe Gottes in der Welt, ohne ganz von der Welt zu sein.

Das klingt wie Papst Franziskus…

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Bei Papst Franziskus ist das besonders glaubwürdig, weil er es lebt und mit vielen Zeichen und Gesten Nähe zeigt, gerade auch zu den Ärmsten. Wir müssen Franziskus nicht kopieren. Aber uns selbst den Spiegel vorhalten, was wir von den Menschen erwarten und dann auf uns selber schauen. Wir können nicht Wasser predigen und Wein trinken.

Die Figur des Missions-Gefährten Micha stellt in der Glaubenskultur von 2020 eine Art Gottvergessenheit fest. Die Rede ist von einer Säkularisierung der Theologie, fehlender Transzendenz und Metaphysik. Was hat die Kirche da versäumt?

Als Sozialethiker habe ich Einblick in die Arbeit von Kollegen und in andere Fachdisziplinen. Da beobachte ich stark, dass Theologie versucht, sich der Welt anzupassen, um anschlussfähig zu sein an säkulare Denkmuster, um verstanden zu werden und anzukommen. Viele meinen, wenn man von Gott redet, hört man uns nicht mehr zu. Diese Entwicklung ist falsch und bedauerlich. Wir sollten den Mut haben, Wissenschaft und auch Ethik wieder von Gott her zu denken. Wir müssen uns durchaus mit den Themen der Welt auseinandersetzen, Gerechtigkeit etwa, Frieden, oder die Bewahrung der Schöpfung. Aber wir sollen dabei mit dem Evangelium argumentieren und unseren Horizont für die Transzendenz öffnen.

Haben wir die letzten Dinge aus den Augen verloren?

Ich glaube, das ist das Besondere, das wir Christen haben: Wir deuten unser Leben, unsere Ethik, unsere Sinnfragen nicht allein im Licht unserer irdischen Existenz, sondern im Blick auf den Moment, in dem wir am Ende unseres Lebens – so unsere Hoffnung – vor Gott stehen werden. Und wir haben mit unserer Perspektive ins Jenseits hinein einen anderen Blick auf die Würde und den Wert des Lebens. Daraus lassen sich Konsequenzen für unser Leben ziehen. Und damit können wir Gesellschaft gestalten.

Der Motor der Erneuerung in Utopia ist "Bischof Martin". Welche Rolle spielen die Bischöfe in der Erneuerung?

Der Bischof ist der Hirte, der vorangeht. Ich denke die Kirche als Miteinander von Bischöfen, Priestern und Gläubigen. Das ist auch in der Utopie so. Ich  bin kein Kirchenrevolutionär (lacht), es muss ein Miteinander sein. Aber es braucht mutige Bischöfe, die entsprechende Schritte nach vorn gehen. Und - durch sie - braucht es Freiräume für die glaubwürdigen Charismen der Gläubigen.

Können Sie sich auch andere Wege nach Utopia vorstellen?  Zum Beispiel den synodalen?

Zweifellos gibt es verschiedene Wege in Richtung Utopia. Sie müssen aber  vor allem das Ziel im Blick haben. Diskussionsrunden, wie sie der synodale Weg in den Mittelpunkt stellt, können schnell falsche Erwartungen wecken, die nicht erfüllbar sind. Das bindet viel Kraft, erzeugt Frustration und entfesselt nicht die ausstrahlende Kraft eines gewinnenden Glaubens. Das zentrale Ziel ist vor allem, eine glaubwürdige Kirche zu sein, die Menschen wieder für Jesus Christus begeistern kann. Diesen Akzent einer Neuevangelisierung haben etwa Kardinal Rainer Maria Woelki, Bischof Rudolf Voderholzer  und andere zu Recht eingefordert.

Wieviel Professor Nass steckt im Bistum Utopia?

Ehrlich gesagt, ich habe diese Form des Buches gewählt, um gerade nicht meine persönliche Meinung als die allein selig machende darzustellen. Es gibt unterschiedliche Positionierungen zu manchen Fragen, zum Beispiel des Zölibats. Ich persönlich stehe zum Zölibat. Manche sehen das anders, aber darüber kann man ja im Dialog bleiben. Doch ich glaube, das ist nicht die zentrale Frage. Selbst wenn man an den Zugangsvoraussetzungen etwas ändern würde, wäre die Glaubwürdigkeitskrise nicht gelöst, was wir ja auch in der evangelischen Kirche beobachten. Die Krise sitzt tiefer. Da müssen wir ansetzen, das ist meine Leidenschaft.

Zum Schluss:  Wie kann der Einzelne sich aufmachen, um an Utopia mitzuarbeiten?

Der Ansatz für den Einzelnen und auch für mich liegt immer bei mir und in meinem Umfeld. Wir können nicht die ganze Weltkirche verändern…, aber Mitstreiter gewinnen, die vielleicht ähnliche Interessen oder Ideen haben. Wir sollten Glauben auch im kleinen Kreis diskutieren, glaubwürdig leben und versuchen, in den eigenen Gemeinden oder Verbänden andere für die Botschaft Jesu zu begeistern. Ich möchte angesichts der großen Herausforderungen, die wir haben, jeden ermutigen, nicht zu resignieren, sondern -im Gegenteil- anzufangen, kleine Schritte zu gehen. Wenn das viele machen, wird Utopia Wirklichkeit.

Elmar Nass, "Utopia christiana – Vom Kirche-und Christsein heute. Zwei kirchenutopische Dialoge", ist im LIT-Verlag Münster erschienen.

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