„Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab“ ( Joh 20, 1). Mit diesem unscheinbaren Inhalt beginnt das Evangelium, das über das grösste Ereignis in der Weltgeschichte geschrieben worden ist. Im Mittelpunkt steht dabei eine Frau, und das Evangelium lädt uns ein, dieser Frau auf ihrem Weg zu folgen. Dies gilt auch dann, wenn sie uns nicht zu diesem grossen Ereignis hinführt, sondern uns gleichsam auf Abwege bringt. Denn sie kommt, um das Grab Jesu zu besuchen. Sie sucht Jesus nirgendwo anders als im Grab. Als sie wahrnimmt, dass der Stein vom Grab weggenommen ist, denkt sie an nichts anderes als an Leichenraub und sagt zu Simon Petrus, zu dem sie schnell gelaufen ist: „Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Selbst als sie dem auferstandenen Herrn begegnet, hält sie ihn für den Gärtner, dem sie unterstellt, den Leichnam fortgebracht zu haben. 

Diese Frau Maria von Magdala ist gewiss keine Träumerin, sondern eine Realistin. Sie rechnet mit der harten Wirklichkeit des Grabes als des unfehlbaren Zeichens verlorener und begrabener Hoffnung. Von daher kann man verstehen, dass sie weint. Sie weint über den endgültigen Verlust ihres Herrn. Und mit ihrem Weinen bestätigt sie, dass sie ihre Hoffnung aufgegeben hat und sich mit dem todsicheren Ende des Lebens ihres Herrn und Meisters im Grab abgefunden hat.

So ohne Trost und Hoffnung beginnt das Festevangelium an Ostern. Es verhält sich wohl so, damit es uns leicht fällt, uns in der Frau Maria von Magdala wiederzufinden. Denn auch wir Menschen heute stehen oft ratlos vor dem Ostertag und wissen nicht, was wir mit diesem Fest anfangen sollen. Auch uns gilt die Frage, mit der gemäss dem Evangelisten Lukas zwei Männer in leuchtenden Gewändern die Frauen, die am ersten Tag der Woche mit wohlriechenden Salben zum Grab Jesu gekommen sind, konfrontiert haben: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lk 24, 6a)

Suchen in der Tat nicht auch wir Menschen heute oft den lebenden Christus bei den Toten? Das Bild vom Stein, der vor dem Grab steht, spricht im Evangelium eine deutliche Sprache. Der Stein verriegelt das Grab und will Christus für immer in die Vergangenheit verbannen, indem er ihn zu einem Gewesenen und Verwesenen macht. Dieser Stein gebärdet sich heute auch gerne wissenschaftlich, indem darauf hingewiesen wird, die Naturgesetze würden die Auferstehung eines Toten gar nicht zulassen und so etwas wie eine Auferstehung eines Toten sei deshalb gar nicht möglich. Der Stein kann auch geschichtlich geprägt sein, indem man Jesus als eine wichtige historische Person anerkannt, die in der Geschichte Bedeutendes geleistet hat, aber eben der Vergangenheit angehört.  

Ein Stein, der heute selbst in der Kirche anzutreffen ist, besagt, dass Christus zwar über seinen Tod hinaus lebe, aber nur in seinem Geist, während sein Leib im Grab geblieben sei. Dahinter steht die Meinung, Gott könne allein in den Geist des Menschen hinein handeln, mit der Materie könne er sich aber nicht befassen. Diese Mentalität, die das Handeln Gottes nur im Geistigen zulässt, ihm aber das Materielle und Leibhaftige nicht zugesteht, hat Papst Benedikt XVI. treffend als „subtilen neuen Gnostizismus“ beurteilt, der Gott und seiner Macht die Materie entzieht und der heute ausgerechnet trotz und bei aller Lobpreisung des Materiellen und Leiblichen propagiert wird: „Gott wird letztlich auf die Innerlichkeit unserer Subjektivität reduziert… Aber die Welt der Materie – die objektive Welt, die gehorcht anderen Gesetzen, da hat Gott nichts zu suchen.“

Ausgang ins Nichts oder Beginn der Ewigkeit?

Wenn diese Steine wirklich wahr und gleichsam der Stein des Weisen wären, dann hätte der Tod das letzte Wort. Denn wenn Christus nicht leibhaft auferstanden wäre, dann hätte seine Geschichte am Karfreitag geendet. Und wenn es keine Auferstehung der Toten geben kann, dann wäre auch unser menschliches Leben in der Welt nichts anderes als ein Warteraum, der ins Nichts führt, wie es der jüdische Dichter Franz Kafka in seinen Erzählungen „Das Schloss“ und „Der Prozess“ meisterhaft tragisch beschrieben hat, in denen er das menschliche Leben als ein endloses und vergebliches Warten deutet, das keinen Ausgang mehr findet. 

Dass es aber einen Ausgang gibt, das ist die frohe und froh machende Botschaft von Ostern. Sie verkündet, dass Jesus wirklich auferstanden ist, weil die Macht Gottes bis in seinen Leib hinein reicht. Denn der Gott, der seinen Sohn aus dem Tod ins neue Leben hinein geholt hat, ist derselbe Gott, der die materielle Welt aus dem Nichts erschaffen hat. Ostern verheisst deshalb auch uns, dass das Leben nicht der Warteraum ist, der ins Nichts führt, sondern der Raum, in dem das ewige Leben beginnt. Ostern verheisst, dass Gott dem Tod nicht das letzte Wort zugesteht, dass er es vielmehr zum zweitletzten Wort depotenziert und sich das letzte Wort vorbehält, das Leben heisst. Und Ostern verkündet, dass die Kraft Gottes sehr viel mächtiger ist als alle Steine, die menschliches Leben in die Vergangenheit einschliessen möchten.

Diese grandiose Botschaft des Lebens ist in der Heiligen Schrift in dem unscheinbaren Hinweis zusammengefasst, dass die Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod „am dritten Tag“ stattgefunden hat. In den Schilderungen von dem Bund, den Gott mit seinem erwählten Volk Israel am Sinai geschlossen hat, bedeutet der dritte Tag den Tag der Theophanie, den Tag des Erscheinens Gottes in seiner ganzen Herrlichkeit. In diesem biblischen Licht betrachtet besagt die zeitliche Angabe, dass Christus am dritten Tag auferstanden ist, dass Gott endgültig in die Geschichte hinein gekommen ist, dass Gott seine Macht über die Geschichte in seiner Hand behält und dass deshalb das universale Gesetz des Todes nicht die letzte Macht in der Welt ist, sondern dass Gott selbst der Letzte ist, und zwar deshalb, weil er auch der Erste ist. Die Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod ist die endgültige Theophanie und damit die tragfähige Antwort auf die Frage, wem das letzte Wort gehört: dem Tod oder dem Leben.

Von daher lässt sich die Botschaft von Ostern ganz einfach in zwei kleinen Wörtern zusammenfassen: „Gott ist“. Ostern stellt uns damit die sehr ernste Frage, ob wir an Gott wirklich glauben. Denn Ostern stellt einen radikalen Ernstfall für unseren Glauben an Gott dar. Was wäre dies denn für ein Gott, der Jesus, seinen eigenen Sohn, der uns Menschen die Liebe seines Vaters zum Leben verkündet hat, im Tod gelassen hätte? Was wäre dies für ein Gott, der die Glaubenden, die seinem Sohn nachgefolgt und seiner Verheissung des Lebens in Fülle vertraut haben, die Erfüllung dieser Verheissung vorenthalten würde? Und was wäre dies für ein Gott, der uns Menschen nur zeit unseres relativ kurzen Lebens auf Erden die Treue halten, der aber vor unserem Sarg kapitulieren und uns beim Sterben die Treue aufkündigen würde? Dies wäre nicht der Gott der Liebe, wie ihn uns der christliche Glaube verheisst. Denn wirkliche Liebe will Ewigkeit, wie der französische Dichter Gabriel Marcel sehr schön betont hat: Einen Menschen wirklich lieben, dies heisst zu ihm sagen, dass er ewig leben werde. Wahre Liebe bewährt sich in der Tat darin, dass wir den Menschen ewiges Leben gönnen. Erst recht will die unendliche Liebe Gottes Ewigkeit für jeden Menschen. Der im christlichen Glauben offenbare Gott stellt seine Liebe auch und gerade über das menschliche Grab hinaus unter Tatbeweis. Denn Gottes Liebe will nicht nur Ewigkeit, sondern Gott wirkt sie auch und ist sie selbst. Wir Menschen als Geschöpfe Gottes können deshalb nicht verloren gehen, sondern werden ewig leben, weil Gott der Gott der Lebenden ist und sein Geschöpf, den Menschen, in Liebe bei seinem Namen ruft. 

Ernstfall von Liebe und Hoffnung

Dass sich in dieser Weise Ostern ereignet, wird sehr schön im heutigen Evangelium sichtbar: Maria von Magdala, die am ersten Tag der Woche zum Grab gekommen ist, hat zwar wahrgenommen, dass der Stein vom Grab weggenommen worden ist, sie ist aber auf keinen anderen Gedanken als den gekommen, dass jemand den Leichnam weggenommen hat. Den auferstandenen Herrn, der vor ihr stand, hat sie aber erst erkannt, als er nur ein Wort gesagt, nämlich ihren Namen ausgesprochen hat: „Maria“. Nur die Liebe führt zur Erkenntnis, weil sie den Geliebten beim Namen ruft. So hat sich damals Ostern ereignet, und so will sich auch heute Ostern ereignen, wenn wir uns vom auferstandenen Herrn beim Namen rufen und uns persönlich ansprechen lassen.

In der persönlichen Begegnung mit dem auferstandenen Herrn und in der Wahrnehmung, dass er lebt, ist Maria von Magdala zum Glauben gekommen und hat neue Hoffnung geschöpft, und zwar die tiefste Hoffnung, die es überhaupt geben kann. Denn der Osterglaube ist der eigentliche Ernstfall menschlicher Hoffnung. Dies leuchtet wiederum ein, wenn man sich elementaren Fragen aussetzt: Was wäre denn dies für eine Hoffnung, die allein für unser irdisches Leben tragen würde und deren alleinige Kraft darin bestünde, uns dem Tod-sicheren Ende unseres Lebens im Grabe näher zu bringen? Dann wären wir in der Tat, wie Paulus sagt, „erbärmlicher dran als alle anderen Menschen“ (1 Kor 15, 19). Christliche Hoffnung, die diesen Namen wirklich verdient, hat den viel längeren Atem. Sie bewährt sich auch und erst recht über den Tod hinaus.

Hoffnung gibt es letztlich deshalb, weil Gott ist und weil Gott uns liebt. Dies ist die schöne Botschaft des Osterfestes, die unser Leben verwandelt wie dasjenige der Maria von Magdala. Diese Frau, die zum Grab Jesu gekommen ist und ob des schrecklichen Verlustes ihres Freundes und Herrn weint und damit ihrem innersten Schmerz äusseren Ausdruck verleiht, sie begegnet dem Auferstandenen und in der persönlichen Begegnung erkennt sie, dass der Totgeglaubte lebt. Trauer und Schmerz verwandeln sich in Hoffnung und Freude, die sie ermutigt, zu den Jüngern zu gehen und ihnen zu erzählen, dass sie den auferstandenen Herrn gesehen hat. 

So können auch wir Christen die Osterfreude nicht für uns behalten, sondern sind berufen, sie weiterzugeben und zu den Menschen zu tragen und ihnen die gute Nachricht zu bringen, dass das letzte Wort Gottes immer Leben und nie Tod heisst. Auf diese Botschaft wartet die heutige Welt, in der Hass und Gewalt alltäglich zu werden drohen und in der die Würde des Menschen am Beginn, während und am Ende seines Lebens immer mehr in Frage gestellt wird. Die Würde des Menschen ist aber nur dann gut aufgehoben und die menschliche Hoffnung nur tragfähig, wenn die Wahrheit von Ostern gilt, dass Gott ist und dass er uns liebt. Folgen wir deshalb in Dankbarkeit und Freude dem Aufruf, den Paulus an die Kolosser gerichtet hat: „Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische! Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“ Amen.

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