Gottes Leidenschaft für das Leben: Die Osterpredigt von Kardinal Kurt Koch

Um 1350 malte der Meister von Hohenfurth (Vyšší Brod) diese Auferstehungsdarstellung (Ausschnitt)
EWTN.TV / Hildegard Schumann

Wie geht es weiter nach dem Tod, und was sagt dem modernen Menschen die christliche Hoffnung? Zum Ostersonntag hat darüber Kardinal Kurt Koch gepredigt, Präsident des Rates für die Einheit der Christen.

CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut der Predigt mit freundlicher Genehmigung.

Gottes Leidenschaft für das Leben

Von Jean-Paul Sartre, dem bekannten französischen existenzialistischen Philosophen und erklärten Atheisten, wird berichtet, er soll auf seinem Sterbebett von einem Freund gefragt worden sein, ob er nicht doch an ein Leben nach dem Tode glaube. Entgegen seiner bisher konsequent vorgetragenen Überzeugung, dass mit dem Tod alles aus sei, soll er jetzt kurz vor seinem Sterben mit einem Wort geantwortet haben: "Peut-être" – "Vielleicht". Mit diesem Peut-être-Glauben steht Sartre freilich nicht allein; er steht vielmehr für viele Menschen und selbst Christen in der heutigen Zeit. Sie scheinen in ihrer Deutung des Todes und dessen, was danach kommt, sehr unsicher geworden zu sein.

Feuerprobe des österlichen Glaubens

Nach neueren Untersuchungen dominiert in der europäischen Bevölkerung hinsichtlich des Glaubens an ein ewiges Leben nach dem Tod eher ratlose Ungewissheit. Es liegt eine grosse Vielfalt von Deutungen vor: Für die einen ist mit dem Tode alles aus, andere hoffen über den Tod hinaus, vor allem in der Gestalt von Wiedergeburt und Reinkarnation. Viele können sich unter einem Leben nach dem Tod nur wenig vorstellen. Nicht wenige bringen es kaum weiter als zu einem "peut-être" à la Sartre. Und einzelnen dürften angesichts ihres eigenen Todes die letzten Worte des sterbenden Rabelais auf die Lippen kommen: "Ich gehe also das grosse Vielleicht zu sehen." Solche Untersuchungen und die mit ihnen zu Tage tretende Ungewissheit über ein Leben nach dem Tod dokumentieren, dass es der christlichen Verkündigung nur noch schwer gelingt, ihre Deutungen vom Tod und vor allem von einem Leben nach dem Tod den Menschen der heutigen Zeit zu vermitteln.

Darin unterscheidet sich die heutige Situation der Kirche von derjenigen der frühen Kirche massgeblich. Die Verkündigungstexte des heutigen Osterfestes legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Mit grosser Freude verkünden sie, dass Gott den am Kreuz hingerichteten Jesus auferweckt hat und dass diejenigen, die an ihn glauben, an seiner Auferstehung Anteil erhalten. Was die Osterberichte so anschaulich erzählen, dies wird vom Apostel Paulus in einer einzigen Glaubensüberzeugung verdichtet: Er hat den Korinthern, die den Glauben an ihre eigene Auferweckung offensichtlich nicht annehmen wollten, mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit ins Stammbuch geschrieben: "Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos" (1 Kor 15, 13f.). Gleich anschliessend betont Paulus ebenso unmissverständlich: "Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden" (15, 16f.).

Dieselbe Grundüberzeugung hat die frühe Kirche in der Kurzformel verdichtet: "Nimm die Auferstehung hinweg, und auf der Stelle zerstörst du das Christentum." Die frühe Kirche ist voll und ganz der Überzeugung gewesen, dass es sich beim christlichen Glauben an die Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod in das neue und ewige Leben bei Gott um einen radikalen Ernstfall für diesen Glauben handelt. Den ersten Christen ist mit Klarheit bewusst gewesen, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi und deshalb an das ewige Leben des Menschen den Kerngehalt ihres Bekenntnisses bildet und dass es sich bei ihm nicht bloss um einen mehr oder weniger wichtigen Zusatz zu ihrem Gottesglauben handelt, sondern um seine Radikalisierung, gleichsam um die Feuerprobe, die der christliche Glaube zu bestehen hat, und zwar in verschiedener Hinsicht.

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Ernstfall des Osterglaubens

Der österliche Glaube an das ewige Leben nach dem Tod macht zunächst radikal ernst mit dem Glauben an Gott. Dies leuchtet dann ein, wenn man sich radikalen Fragen aussetzt: Was wäre dies denn für ein Gott, der Jesus, seinen eigenen Sohn, der die Liebe seines Vaters zum Leben verkündet hat, im Tode gelassen hätte? Was wäre dies für ein Gott, der den Glaubenden, die seinem Sohn nachgefolgt und seiner Verheissung eines Lebens in Fülle vertraut haben, die Erfüllung ihrer Hoffnung vorenthalten würde? Und was wäre dies für ein Gott, der den Menschen nur zeit ihres relativ kurzen Lebens auf der Erde die Treue halten, der aber vor ihrem Sarg kapitulieren und ihnen beim Tod die Treue aufkündigen würde? Dies wäre gewiss ein erbärmlicher Götze, nicht aber der Gott des Erbarmens, den der christliche Glaube verkündet.

Der an Ostern offenbare Gott stellt seine Treue vielmehr auch und gerade über das menschliche Grab hinaus unter Tatbeweis. Der Gott des Lebens ist und bleibt bei uns Menschen, wenn wir in unserem Tod völlig einsam geworden sein werden. Er behütet uns, wenn wir "fortgehen und wiederkommen", wie Psalm 121 diese tröstliche Verheissung sehr schön ausdrückt: "Er lässt deinen Fuss nicht wanken; er, der dich behütet, schläft nicht. Nein, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht" (Ps 121, 4-5). Mit diesen Worten ist in Israel der Pilger aus dem Heiligtum entlassen worden. Denn an der Schwelle des Heiligtums sollte Gottes Schutz nicht enden; er sollte den Pilger vielmehr auch dann begleiten, wenn er sich auf den Weg zurück in sein alltägliches Leben macht. Erst recht wird Gottes Schutz nicht enden, wenn der Mensch sich auf den letzten Weg zu seinem endgültigen und ewigen Leben macht. Gerade dann, wenn der Mensch ent-schläft, darf er hoffend wissen, dass Gott nicht schläft, sondern hellwach ist und über die Lebenden und Toten wacht.

Der christliche Auferstehungsglaube stellt deshalb auch einen radikalen Ernstfall für die Tragfähigkeit der menschlichen Hoffnung dar. Um dies zu verstehen, muss man sich wiederum radikalen Fragen aussetzen: Was wäre dies denn für eine Hoffnung, die allein für unser jetziges Leben tragen würde und deren alleinige Kraft letztlich darin bestünde, uns dem Tod-sicheren Ende unseres Lebens im Grabe näher zu bringen? Dann wären wir in der Tat, wie Paulus mit Recht urteilt, "erbärmlicher dran als alle anderen Menschen" (1 Kor 15, 19). Christliche Hoffnung aber, die diesen Namen verdient, hat den viel längeren Atem. Sie bewährt sich auch und erst recht über den Tod hinaus. Denn wirkliche Liebe will Ewigkeit, wie der französische Dichter Gabriel Marcel mit Recht betont hat: Einen Menschen wirklich lieben, dies heisst zu ihm sagen, dass er nicht sterben werde. Wahre Hoffnung bewährt sich in der Tat darin, dass wir den Toten ewiges Leben gönnen. Erst recht will die unendliche Liebe Gottes Ewigkeit für jeden Menschen. Darin besteht die grosse Hoffnung des österlichen Glaubens, wie sie Papst Benedikt XVI. sehr schön formuliert hat: "Ich bin definitiv geliebt, und was immer mir geschieht – ich werde von dieser Liebe erwartet."

Die Hoffnung auf das Leben glaubwürdig bewähren

Der österliche Glaube an das ewige Leben ist deshalb auch ein entscheidender Ernstfall für die unantastbare Würde des menschlichen Lebens in der heutigen Gesellschaft. Dies lässt sich bereits an der geschichtlichen Entwicklung der jüdisch-christlichen Hoffnung auf ein ewiges Leben ablesen. Wie sehr es uns heutige Christen immer wieder erstaunen mag, so erweist sich der Glaube an ein Leben nach dem Tod als eine in der biblischen Tradition relativ späte Überzeugung. Ihre Entstehung hängt vor allem mit der Vereinzelung des Individuums gegenüber dem Volksganzen in der nachexilischen Zeit zusammen. Der entscheidende Ausgangspunkt für das Erwachen der Auferstehungshoffnung  ist die "Verselbständigung des einzelnen gegenüber der Gesellschaft, eine Einstellung zum Leben, die den einzelnen nicht aufgehen lässt im gesellschaftlichen Lebenszusammenhang, sondern einen eigenen Lebenssinn für das individuelle Dasein fordert, einen Sinn, der sich am einzelnen selbst erfüllt". Mit dieser Überzeugung bahnte sich die revolutionäre Wende zu jener Auffassung vom unendlichen Wert des einzelnen Menschen vor Gott an, die eine unzerstörbare Würde des einzelnen auch der Gesellschaft gegenüber begründet. Die Überzeugung von der unzerstörbaren Würde des einzelnen auch der Gesellschaft gegenüber hängt auf das Engste zusammen mit der Hoffnung auf ein Leben des Menschen über den Tod hinaus.

Der geschichtliche Zusammenhang zwischen der Auferstehungshoffnung und der Überzeugung von der Würde des einzelnen Menschen provoziert umgekehrt das bedrängende Urteil, dass das heutige Verdunsten des österlichen Glaubens an ein Leben nach dem Tod und damit die Abwendung von den religiösen Lebensfragen nach Tod und ewigem Leben auch für die Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft alarmierende Phänomene darstellen und gefährliche Erosionen der Grundlagen der individuellen Freiheit des einzelnen Menschen und seiner Würde implizieren. Denn letztlich vermag nur die Hoffnung auf ein ewiges Leben eine tragfähige Basis abzugeben für die Freiheit des einzelnen Menschen gegen allen gesellschaftlichen Zwang und auch und gerade für die Respektierung des menschlichen Lebens von seiner Zeugung bis zum letzten Atemzug.

Christen, die an den österlichen Sieg Gottes über den Tod und seine Liebe zum Leben glauben, sind deshalb berufen, für das Leben gegen den Tod Partei zu ergreifen. Die entscheidenden Konsequenzen, die sich aus der Osterbotschaft ergeben, haben bereits die ersten Christen in einer glaubwürdigen Art und Weise in ihrer Zeit gezogen, in der im politischen Umfeld der damaligen Gesellschaft das Leben des einzelnen Menschen nicht viel wog und in der nicht nur die Abtreibung, sondern auch die Aussetzung von neugeborenen Kindern ein weit verbreiteter Brauch gewesen ist. In dieser gesellschaftlich vergifteten Atmosphäre haben die ersten Christen ihren österlichen Glauben an das Leben nach dem Tod unter Tatbeweis gestellt durch die prinzipielle Ablehnung der Abtreibung und der menschenverachtenden Praxis, neugeborene Kinder wehr- und schutzlos auszusetzen.

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Andere Konsequenzen, wenn auch unter gewandelten Bedingungen und angesichts von neuen Lebensbedrohungen, können auch wir Christen heute nicht aus unserer österlichen Hoffnung auf das Leben nach dem Tod ziehen. Weil wir an ein Leben nach dem Tod glauben, wissen wir uns verpflichtet, uns einzusetzen gegen den Tod für das Leben von seinem Beginn bis zu seinem natürlichen Ende, gegen die Ausbeutung für Gerechtigkeit, gegen die Zerstörung für die Bewahrung der Schöpfung, gegen den Hass für Versöhnung und gegen den Krieg für den Frieden. Als Christen sind wir uns dessen bewusst, dass wir während unseres Lebens nie genug gegen den Tod und seine Komplizen in der heutigen Welt tun können, weil wir im Sterben gar nichts mehr gegen ihn tun können, dann aber allen Grund haben, auf die rettende Hand Gottes zu bauen.

Wenn wir Christen aus der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod leben, diese Hoffnung mit unserem Leben glaubwürdig bezeugen und mit unserem Einsatz für das Leben bewähren, dann werden wir in frischer Weise entdecken, dass mit Ostern unser Christsein steht oder fällt. Und dann werden wir auf die Osterbotschaft, die uns mit den heutigen Verkündigungstexten in einer schönen und tiefen Weise als Botschaft von der österlichen Leidenschaft Gottes für das Leben geschenkt ist, gewiss nicht mit einem "peut-être" à la Jean-Paul Sartre antworten, sondern mit einem beherzten und dankbaren "Amen. Halleluja."

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