Noch immer suchen Pilger seine Nähe. Beter säumen die Grabstätte Johannes Pauls II. im Petersdom und verharren dort in stiller Andacht. Einige mögen ein wenig sehnsüchtig an die Zeit zurückdenken, als sie im Gebet an seinem Grab in den vatikanischen Grotten verweilen durften. Wer sich heute an sein langes Pontifikat dankbar erinnert, dem ist vielleicht besonders die Katechese seines Leidens gegenwärtig. Wir denken an die Tage, als Johannes Paul II. im Abschied von der Welt das letzte Osterfest seines Lebens feierte, stumm und von Schmerzen gezeichnet vom Fenster seines Arbeitszimmers im Apostolischen Palast die Stadt Rom und den Erdkreis segnete, ehe er am Vorabend des Sonntags der Göttlichen Barmherzigkeit für immer nach Hause gehen durfte. Sein Zeugnis, dass das Geschenk des Lebens – von der Empfängnis bis in die Sterbestunde hinein – schutzwürdig und wertvoll ist, gehört zu den kostbarsten Momenten und Lehren dieses Heiligen.

In diesem Herbst denken wir besonders in Deutschland an den 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. Ich selbst erinnere mich noch deutlich an einen Besuch in Berlin im Juni 1989, als ich einige Male die Mauer ratlos abwanderte. Nie vergessen werde ich die Grenzkontrollen und auch nicht die Eindrücke des Tages, den ich im Ostteil der Stadt verbrachte. Wiedervereinigung? Mir kam seinerzeit in den Sinn, was ein Mitschüler einmal gesagt hatte: „Nicht realistisch.“

Der damalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hatte 1987 noch als Bischof von Berlin auf dem Dresdner Katholikentreffen in der Predigt gesagt: „Wir bleiben als Christen hier vor Ort, aber wir wollen dabei keinem anderen Stern folgen als dem Stern von Bethlehem.“ Nach dem Tod von Kardinal Höffner war es die feste Absicht Johannes Pauls II., Kardinal Meisner dessen Bischofsstuhl in Köln anzuvertrauen. Doch Meisner sträubte sich: „Der Vorsitzende der Bischofskonferenz mahnt zum Bleiben, und er ist der Erste, der davongeht.“ Er schildert dann, wie der Papst in aller Ruhe zuhörte und sich bemühte, Meisners Sorgen zu zerstreuen. Er werde der erste Ostdeutsche sein, der nach Westdeutschland gehe, und das System werde kippen. Der Papst sagte, er spreche zwar nicht »ex cathedra«, habe aber doch recht. Kardinal Meisner fragte, ob er Geheimdienstinformationen habe. Johannes Paul II. schmunzelte und deutete zum Himmel: „Dort oben ist mein Geheimdienst.“ Der Untergang des Kommunismus, so Meisner, sei wesentlich ihm zu verdanken: „Johannes Paul II. verkündete freimütig mit aller inneren Konsequenz die Botschaft von der Gottebenbildlichkeit des Menschen.“ Er sprach von den unverfügbaren Rechten des Menschen, die keiner gesellschaftlichen Bestätigung bedürften, vom Recht auf Freiheit, vom Recht auf Selbstbestimmung und von der Pflicht zur Solidarität mit den Mühseligen und Beladenen: „Mit dieser Botschaft hatte der Papst dem Kommunismus gleichsam den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Menschen lehnten in der überwältigenden Mehrheit den Kommunismus ab. Das betraf gerade seine Landsleute in Polen. Sie bekannten sich zum lebendigen Gott, dem man mehr zu gehorchen hat als den Menschen. Deshalb verstanden sie ihren päpstlichen Landsmann am besten und der Untergang des Kommunismus begann in seiner polnischen Heimat und setzte sich dann in den anderen Staaten des Ostblocks fort. Es hat in der Weltgeschichte kaum einen Papst gegeben, der eine solch intensive Außenwirkung in der Welt und bei den Menschen hatte.“ (Joachim Kardinal Meisner: Er war mein Freund. Ein Zeugnis aus der Nähe. München 2007, 24-27)

Johannes Paul II. hat tiefe Spuren hinterlassen im Leben so vieler Menschen, bei Katholiken auf der ganzen Welt, ebenso bei den Christen in den reformatorischen Kirchengemeinschaften sowie bei Anders- und Nichtgläubigen, auf eine staunenswerte Weise dann auch bei Personen, die ihm nie persönlich begegnen durften und weder seine Enzykliken noch seine philosophischen Werke oder literarischen Texte kennen. Überall auf der Welt vertrauen heute Menschen auf seine Fürsprache. Ich habe mir schon als Kind gedacht: Diesem Papst kannst du vertrauen. Jahre später dann: Er geht dir nach wie der gute Hirte – wenn es sein muss, bis in die tiefste Nacht deines Daseins.

Johannes Paul II. hat uns gezeigt, Zeitgenossen wie Nachgeborenen, was Heiligkeit bedeutet und bewirkt, vor den Augen der Welt, aber auch im Verborgenen. Er hatte keine Berührungsängste. Wer sich von Christus geliebt, berührt und geführt weiß, der mag für sich erfahren, was es bedeutet, geborgen im Glauben der Kirche zu leben und zu sterben. Wir dürfen mit Blick auf den heiligen Johannes Paul II. darauf vertrauen – ähnlich wie es der emeritierte Papst Benedikt XVI. in einer Erinnerung an ihn einmal gesagt hat –, dass seine Güte uns auch heute begleitet und sein Segen uns beschützt. Wir können gewiss sein, dass er droben für uns betet – für die Kirche in Deutschland und für jeden Einzelnen von uns, der auch, aber nicht nur am 22. Oktober sagen mag: Heiliger Johannes Paul II., bitte für uns!    

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