"Christen und Juden sollen sich deutlicher zu Ihrer Religion und Kultur bekennen"

CNA-Interview mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern – Dialog mit der Kirche "hervorragend"

Dr. Charlotte Knobloch am 30. Mai 2011 in München
Michael Lucan via Wikimedia (CC-BY-SA 3.0)

Wie gut ist es bestellt um unsere Religionsfreiheit? Ist es wahr, dass 70 Jahre nach dem Holocaust die Juden Europa wieder verlassen, aus Angst vor neuer Verfolgung? Wie steht es mit dem Verhältnis zur katholischen Kirche? Kann dieses eine Rolle im Kampf gegen die neue Intoleranz gegenüber – und wachsende Verfolgung – beider Religionen spielen? Fragen an Charlotte Knobloch ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Die mehrfach ausgezeichnete und international gewürdigte Frau war jahrelang Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. 

CNA: Frau Dr. Knobloch, in Anbetracht des wachsenden Terrors in Frankreich zieht es jüdische Mitbürger zumindest dort verstärkt nach Israel. Befürchten Sie einen "langsamen Exodus" aus Europa, oder ist Frankreich ein Einzelfall?

KNOBLOCH: Von einem "Exodus" würde ich weder in Frankreich noch im Rest von Europa sprechen. Fakt ist: Aufgrund des islamistischen Terrors ist jüdisches Leben in Europa 70 Jahre nach dem Holocaust wieder in extremem Maße bedroht. Jüdische Einrichtungen und Menschen müssen besonders geschützt werden. Und das ist eine sehr traurige Entwicklung, die vielen Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft beunruhigt. Aber die Auswanderung nach Israel ist allerdings keine Lösung. Jüdisches Leben ist ein fester Bestandteil der europäischen Kultur und Geschichte. Politik und Sicherheitsbehörden müssen den Schutz aller Bürger gewährleisten und entschlossen gegen die Terroristen vorgehen. Ihre Ideologie des Hasses gefährdet ja nicht nur Juden, sondern die Freiheit und die Demokratie in Europa.

CNA: Frankreichs Premier Manuel Valls hat die Juden Frankreichs aufgefordert, im Land zu bleiben. Ist diese Forderung legitim? Welchen Beitrag können gerade jüdische Erfahrungen und Einsichten leisten, um religiöse Vielfalt, Freiheit und Frieden zu sichern? 

KNOBLOCH: Das ist legitim. Wenn jemand das Land verlassen möchte, wird er sich wohl nicht davon aufhalten lassen, aber der Wunsch, das jüdische Leben in Europa zu bewahren ist absolut essentiell. Ich hoffe, dass alle europäischen Regierungen diesen Wunsch verfolgen und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, dass jüdisches Leben in Europa sicher und blühend stattfinden kann.

CNA: Der Islamismus, und mit ihm der Antisemitismus, wächst nicht nur in Frankreich, sondern allen Ländern West-Europas. Dabei war er schon vorher ein Problem, gerade in Deutschland. Wie bewerten Sie die derzeitige Situation der Gemeinde in München, bzw. in der Bundesrepublik? 

KNOBLOCH: Wir sind sensibilisiert, aber nicht panisch. Allerdings darf man sich nicht daran gewöhnen, dass jüdisches Leben nur unter Polizeischutz möglich ist. Synagoge, Kindergaren, Schule et cetera stehen unter besonderem Schutzaufgebot. Das ist kein Zustand, den ich mir für die nächste Generationen wünsche. 

CNA: Die katholische Kirche, allen voran Papst Franziskus, hat zusammen mit Vertretern des jüdischen Glaubens dieser Tage das 50-jährige Jubiläum von Nostra Aetate gewürdigt, und in einem neuen Dokument noch einmal die guten Beziehungen und das gegenseitige Verständnis betont. Sind Sie zufrieden über das Verhältnis zwischen der Kirche und dem Judentum bei uns im Land?

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KNOBLOCH: Der Dialog mit der Katholischen Kirche wie auch mit der Evangelischen ist hervorragend. Gerade hier in München auf persönlicher Ebene mit den herausragenden Vertretern. Seitens des Vatikans hätte ich mir gewünscht, dass man sich nicht nur von der Judenmission verabschiedet, sondern auch von der Freitagsfürbitte mit dem Einleitungssatz "Für die Erleuchtung der Juden". Ich hoffe, dass das unter Papst Franziskus noch geschieht, der ja von Beginn seiner Amtszeit an den Dialog und die Partnerschaft auf Augenhöhe mit den älteren Geschwistern – den Juden – betont hat. Nicht zuletzt angesichts des wachsenden muslimischen Fundamentalismus ist es entscheidend, dass sich auch Christen und Juden in der breiten Mitte der Gesellschaft wieder deutlicher und leidenschaftlicher zu ihrer Religion und ihrer Kultur bekennen. Die christlich-jüdische Zusammenarbeit ist hier von großer Bedeutung, der Dialog und das Hervorheben von Gemeinsamkeiten, anstatt den Fokus auf die Unterschiede zu lenken.