Anlässlich des 20. Todestages von Josef Pieper hat Berthold Wald, der an der Universität Paderborn Systematische Theologie lehrt, eine Reihe von Aufsätzen und Ansprachen des Denkers, die zu verschiedenen Anlässen publiziert wurden, in dem Band "Christliches Menschenbild" gebündelt, um Wege zu Josef Pieper aufzuzeigen und Interesse für diesen vielfach gelesenen, universitär aber unzureichend reflektierten Philosophen zu wecken.

Wald stellt fest, dass Verständlichkeit im sprachlichen Ausdruck nicht als Vorzug gesehen – Lesefreundlichkeit ist auch Leserfreundlichkeit –, sondern als Mangel an Tiefgründigkeit aufgefasst wird. Liegt dies mit daran, dass eine Art "akademische Selbstzensur" stattgefunden hat? Wurde Piepers "Philosophie für das Leben" wissenschaftlich nur bedingt ernst genommen, weil der Philosoph sich mit den Moden des Zeitgeistes nicht gemein machte und die Philosophie Kants kritisch reflektierte aufnahm? Josef Pieper lehnte den "naturphilosophischen Reduktionismus seiner Zeit" ebenso ab wie den "prinzipienlosen Pluralismus einer philosophisch argumentierenden Sophistik". Er sträubte sich gegen den "heute vorherrschenden Konstruktivismus, für den es nur selbsterzeugte Bilder als Wirklichkeit, aber keine Wirklichkeit als solche gibt, die menschlichem Erkennen zugänglich wäre". Pieper traute sich, die Wahrheitsfrage zu stellen, und er blieb dabei, konsequent und unbeirrt. In der Philosophie wie in der Theologie, bis in die Exegese hinein, existieren konstruktivistische Modelle und Betrachtungsweisen, die ersichtlich subjektzentriert gebildet, damit bloße Projektionen eines denkenden Ichs sind. Dennoch soll mit solchen Fantasiebildern die Wirklichkeit erklärt werden. Pieper widerspricht den machtvollen Strömungen des Relativismus und sympathisiert mit dem Denken von Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin. Er verliert sich nie in der irrlichternden Beliebigkeit, die heutigentags unbegreiflicherweise als Vielfalt enthusiastisch begrüßt wird – und doch nur, bezogen auf den Titel dieses Bandes, die Zersplitterung des christlichen Menschenbildes bezeugt. Wald zeigt, dass sich Karl Jaspers und Josef Pieper in vielem nahe waren, auch als verständlich formulierende Philosophen, die von den Universitäten zuweilen geringgeschätzt wurden. Sie waren beide gesprächsfähig, weil sie zuhören konnten und erkannten, dass die "Selbstgefährdung des Philosophierens durch die Philosophie" mit verursacht ist und die postmoderne Gegenstandslosigkeit der Reflexion jeglichen Ernst des Denkens vermissen lässt: "Wirklich miteinander zu reden – auch über philosophische Fragen – kann sich nicht darauf beschränken, lediglich festzustellen, was andere denken oder gedacht haben; es schließt eine Stellungnahme ein, welche den Wahrheitsanspruch des Anderen durch Bezugnahme auf die eigene Position ernstnimmt und diskutiert." Jaspers jedoch möchte – kantisch geprägt – der Vernunft die "letzte Entscheidung" überlassen. Im Gegensatz dazu hält es Pieper für eine "Schwäche", ausschließlich der "eigenen Vernunft vertrauen zu wollen, die, wenn doch der Gehalt des Geglaubten jenseits des Wißbaren liegt, notwendig ohne Wahrheitskriterium sein muß". Mit dem heiligen Thomas von Aquin unterscheidet er ontologisch zwischen Wahrheit und Irrtum. Es genüge nicht, eine "unterstellte Kohärenz eines Sinnzusammenhangs am Text" nachzuweisen. Die Erkenntnis fokussiert somit nicht ein historisches Verständnis, sondern stellt notwendig die Wahrheitsfrage: "Eine Aussage kann historisch durchaus richtig interpretiert sein und als philosophische Aussage dennoch falsch, sofern es sich mit dem ausgesagten Sachverhalt anders verhält. Das ausschlaggebende Wahrheitskriterium ist nicht schon die textimmanente Stimmigkeit, sondern die Stimmigkeit im Verhältnis zur Sache: die Korrespondenz von Aussage und Wirklichkeit." Bezogen auf unsere Zeit ließen sich konstruktivistische Ansätze aufweisen, ob der Philosophie, der Systematischen Theologie oder der Exegese entstammend, die in sich stimmig sein mögen, aber trotzdem objektiv falsch sind. Eine innere Plausibilität lasse sich vielleicht feststellen. So können ein Philosoph und ein Theologe einiges denkend nachvollziehen, dieses aber weder gutheißen noch rechtfertigen. Eine Theorie, die sich vom Gegenstand entfremdet oder den Gegenstand nur noch als subjektiv geformte Anschauungsweise auffasst, hat sich von der Wahrheit selbst entfremdet.

Tugendhaftigkeit sei etwa, so Wald, auch nicht im protestantischen Sinne als eine "moralische Nachbesserung des Menschen" zu verstehen. Diese reformatorische Sichtweise beherrsche die Moralphilosophie fast vollständig. Jedoch sei das "Defizit an sittlicher Vollkommenheit" nicht als "zu behebendes moralisches Defizit" zu denken, sondern als "ontisches Defizit einer auf Erfüllung und Vollendung ausgerichteten menschlichen Natur": "Tugend meint demgemäß vor allem die Entfaltung naturgemäßer Existenzmöglichkeiten und nicht deren Unterdrückung, – die Fortsetzung von etwas, das längst begonnen hat und im richtigen Handeln sein Ziel erreichen soll." Mit Pieper lehnt Wald die "überzogenen Vorstellung von der Autonomie des Willens" ab. Diese sei die "Wurzel" für die "kulturprägenden Reaktionen von Luther und Kant": "Piepers Auffassung vom christlichen Menschenbild geht hinter diese theologischen und philosophischen Transformationen zurück auf eine Lehre vom Menschen, die er bei Thomas von Aquin aus der Verbindung von exemplarischen Glauben und philosophischer Vernunft exemplarisch formuliert sieht."

Berthold Wald stellt facettenreich Josef Piepers Denkwege vor. Er lädt zum Denken mit dem Philosophen ein, der heute neu und vertieft gelesen werden sollte. Der "Ausgangspunkt der Philosophie", so Wald, sei das "Hören auf die Sprache, nicht Sprachkritik", vielleicht können wir sagen: Josef Piepers Philosophie hilft uns, dass wir uns mit einem hörenden Herzen dem "Logos" öffnen, der Fleisch geworden ist, und führt ein in die Weite der Vernunft. Katholische Philosophen wie Josef Pieper werden heute dringend gebraucht. Dasselbe können wir über den verdienstvollen Pneuma Verlag sagen, der in den vergangenen Jahren so viele kostbare geistliche Bücher veröffentlicht hat. 

 

Berthold Wald: "Christliches Menschenbild. Zugänge zum Werk von Josef Pieper" ist im Pneuma Verlag erschienen und hat 280 Seiten.

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