Kardinal Müller im Gespräch über die Glaubenskongregation und ihre Reform

Kardinal Gerhard Ludwig Müller
Julia Wächter

Papst Franziskus hat im Rahmen der von ihm initiierten Kurienreform durch die Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium die Struktur der Kongregationen und Sekretariate reformiert. Der leitende Gedanke ist darin zu sehen, dass die Kirche im Wesentlichen durch Synoden, nicht mehr durch das Kardinalskollegium fortentwickelt werden soll. Dadurch wurde der Kongregation für die Glaubenslehre die Vorrangstellung in der Kurie – die suprema – genommen und sie wurde zu einem Dikasterium heruntergestuft. Sie wurde darüber hinaus der Behörde für die Evangelisierung nachgeordnet. Mit dieser Herabstufung hat der Papst festgelegt, dass die Neuevangelisierung für die Kirche wichtiger sei als die Wahrung der Lehre und damit die Einhaltung der theologischen und philosophischen Grundlagen der Religion. Lothar C. Rilinger hat mit dem ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft dieses Dikasteriums erörtert.

Das neue Dikasterium der Glaubenslehre hat eine lange Geschichte, in der immer wieder die Bezeichnung der vatikanischen Behörde geändert worden ist. Können Sie in aller Kürze einen historischen Abriss geben?

Die Glaubenskongregation hat die Aufgabe, Fragen des Glaubens und der Sitte zu entscheiden, um die Lehre Christi und der Apostel (Lk 1,1-3; Apg 2,42), die seitens des Papstes und der Bischöfe verkündet wird, zu wahren (II. Vat., Dei verbum 7-10). Im 12. und 13. Jahrhundert oblag es der Inquisitionsbehörde, die Lehre von Ketzerbewegungen in einem geordneten Gerichtsverfahren zu bewerten. Das kanonische Grundprinzip der Behörde Inquisition war die Untersuchung, also die Inquisition des Falles, was als eine Modernisierung des Rechtssystems anzusehen ist. Nicht mehr das Gottesurteil oder Verdächtigung wurden zur Verurteilung herangezogen, sondern die einzelnen Fälle wurden aufgearbeitet, um nach Abwägung der Argumente ein Urteil fällen zu können. Wie in der damaligen Zeit üblich, griff auch die Inquisition auf die Folter zurück, was aber im Nachhinein als verwerflich anzusehen ist. Allerdings war und ist die Folter ungeeignet, jemanden zum Glauben zu bekehren. Der Glaube kann nur freiwillig angenommen werden.

Die römische Inquisition wurde schon vor 200 Jahren aufgehoben und hat mit der jetzigen Glaubenskongregation nichts zu tun. Diese ist keine Rechtsnachfolgerin, sondern eine vollkommen neue kirchliche Behörde, um Straftaten gegen den christlichen Lebenswandel und Lehren gegen die Wahrheit der Offenbarung zu untersuchen und Urteile zu fällen.

Ihre Aufgabe besteht darin, den Glauben der Kirche weltweit zu fördern, indem sie im Rahmen der ad-limina-Besuche der Bischöfe mittels Gesprächen und theologischen Symposien theologische und anthropologische Fragen und Probleme erörtert. Darüber hinaus ist die Glaubenskongregation das Oberste Apostolische Tribunal, das über alle Formen der Häresie, des Schismas und der Apostasie, also des Glaubensabfalls sowie in Sachen von Verstößen gegen die Sakramente zu entscheiden hat. Hierunter fallen Verstöße gegen das Beichtgeheimnis oder wegen sexuellen Missbrauchs von Heranwachsenden durch Kleriker. Ein Letztes fällt noch in den Zuständigkeitsbereich der Glaubenskongregation. Sollten sich in der Ehe von zwei ungetauften Personen eine entscheiden, sich taufen zu lassen, besteht die Möglichkeit, die Ehe, die ja nicht sakramental war, aufzulösen. Der getaufte Ehepartner kann eine kirchliche Ehe mit einem anderen Partner eingehen. Es kann aber auch die bisherige natürliche Ehe als sakramental anerkannt werden, wenn der Ehewille vorhanden ist oder von Anfang an da war.

Die Inquisition wird immer mit der spanischen verbunden. Es gab aber auch die römische Inquisition. Können Sie den Unterschied erläutern?

Die spanische Inquisition war eine staatliche Einrichtung und arbeitete im Interesse des Staates, auch wenn sie von Geistlichen getragen wurde. Sie hatte die Aufgabe, die Interessen des konfessionell einheitlichen Staates zu verfolgen. Was in den deutschen Fürsten-Staaten unter dem Prinzip des cuius regio, eius religio in den jeweiligen Ländern galt, wurde auch im Einheitsstaat Spanien angewandt: Wer das Land regierte, konnte auch die Religion bestimmen. Bis weit nach dem Westfälischen Frieden von 1648 galt dieser Grundsatz in Europa. Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland gilt immer noch die Regelung, dass kein Katholik zum König gekrönt werden dürfe. Zwar wird die Inquisition – gemalt in den grellen Farben der Schwarzen Legende – nur mit Spanien verbunden, doch wurden auch in anderen Ländern ähnliche Behörden eingerichtet, die auf der Grundlage verwerflicher Rechtsordnungen geurteilt haben. Ich erinnere an die penal laws in England, mit denen gegen die Katholiken vorgegangen wurde und die die Todesstrafe für die Feier der hl. Messe vorsahen. Sie wurde ungefähr dreihundertmal ausgeurteilt.

Die römische Inquisition wurde 1542 gegründet, um dem Vordringen des Protestantismus in Italien Einhalt zu gebieten. Erst später wurde ihre Aufgabe mit dem Lehramt des Papstes verbunden und auf die ganze Kirche ausgedehnt.

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Die Glaubenskongregation besteht aus den vom Papst benannten Mitgliedern, die sich aus dem Kreis der Kardinäle und Bischöfe zusammensetzen. An ihrer Spitze steht der Präfekt, der als primus inter pares seine Aufgaben wahrnimmt. Er leitet die Sitzungen, sammelt die Ergebnisse und trägt sie dann auch dem Papst vor. Die Kongregation tagt alle vier Wochen. In der Zwischenzeit führt der Präfekt mit dem Sekretär, dem Untersekretär und den Arbeitsabteilungen die laufenden Geschäfte. Die Kongregation ist in drei Abteilungen organisiert. Eine ist für Glaubensfragen zuständig, eine andere für Disziplinarverfahren, die auch die Missbrauchsfälle bearbeitet. In der dritten Abteilung werden Fragen des kanonischen Eherechts bearbeitet. Da die Kirche eine Weltkirche ist, wird diese Vielgestaltigkeit auch in der Zusammensetzung der Mitarbeiter abgebildet.

Sie haben ausgeführt, dass die Glaubenskongregation auch die Aufgabe hat, Missbrauchsfälle aufzuklären und die Täter einer Verurteilung zuzuführen. Werden nur kirchenrechtliche Konsequenzen gezogen oder werden die Täter auch den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zugeführt?

Geistliche unterliegen wie alle anderen Staatsbürger auch der staatlichen Justiz. Wenn ein Geistlicher gegen eine staatliche Strafnorm verstoßen hat, muss er sich auch vor der staatlichen Justiz verantworten. Die Kirche ist als eine Glaubensgemeinschaft mit einer korporativen Verfassung zu verstehen. Grundlage dieser Verfassung ist auch die kirchliche Sittenlehre in Form des Dekalogs, die von Gott geoffenbart worden ist. Sollte ein Geistlicher gegen diese Sittenlehre verstoßen, wird er sich auch vor kirchlichen Gerichten verantworten müssen.

Das kanonische Strafrecht ist schärfer gefasst als das staatliche, so dass nach dem kirchlichen Strafrecht strafbar sein könnte, was nach dem staatlichen Recht noch erlaubt ist. Danach gilt, dass – um ein Beispiel zu nehmen – nach staatlichem Recht sexueller Missbrauch von Personen unter 16 Jahren als strafbar angesehen wird, im kirchlichen Recht hingegen ist die Altersgrenze auf 18 Jahre festgelegt worden. Zuständig für die Verfolgung dieser Straftaten ist der jeweilige Ortsbischof, schließlich fungiert der Bischof als Dienstgeber der Geistlichen. Der Glaubenskongregation obliegt dann subsidiär die Aufgabe, zu überprüfen, ob die Verfahren nach geltendem Recht durchgeführt worden sind. Danach schlägt die Kongregation dem Bischof vor, welche Strafe ausgesprochen werden muss. Unter bestimmten Umständen wird das Strafmaß auch vorgeschrieben.

Es besteht, wie für jeden Staatsbürger, auch für kirchliche Behörden die sittliche Pflicht, bekannt gewordene Straftaten der jeweiligen Staatsanwaltschaft oder Polizei zu melden. Diese Verpflichtung ist aber erst vor einiger Zeit rechtlich näher geregelt worden. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat die sogenannte MHG-Studie in Auftrag gegeben, um die Missbrauchsfälle im Bereich der DBK in den letzten 70 Jahren zu erfassen. Dabei wurde festgestellt, dass 1.370 Priester, Diakone oder männliche Angehörige von Orden als Täter in Frage kommen können. Allerdings wurden nicht allen Personen der Missbrauch rechtskräftig nachgewiesen. Die Anzahl der Täter aus der Geistlichkeit muss aber ins Verhältnis zu den Tätern insgesamt gesetzt werden. In jedem Jahr gibt es in Deutschland allein in den letzten Jahren rund 16.000 Strafprozesse wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, was – auf 70 Jahre bezogen – eine Anzahl erschreckenden Ausmaßes ausmacht. Der Anteil von Geistlichen als Täter verbleibt dabei im Promillebereich. Allerdings hilft den Opfern kein Verweis auf Statistiken. Es ist jedoch legitim, Vorstellungen vom Ausmaß dieser schrecklichen Verbrechen im gesamtgesellschaftlichen Rahmen aufzuzeigen. Es ist falsch, von systemischem Missbrauch im Bereich der Geistlichkeit zu sprechen und dies aus ideologischen Vorurteilen mit dem Zölibat zu begründen oder auch durch kirchliche Strukturen. Denn diese Behauptungen sind nicht begründbar, wenn wir uns die Häufigkeit der Verbrechen innerhalb einer Gesellschaft vor Augen führen und den prozentualen geringen Anteil von Geistlichen daran zur Kenntnis nehmen. Auch in den evangelischen Kirchen, im jüdischen und muslimischen Bereich treten Fälle von Missbrauch auf – überall dort, wo Erwachsene mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommen. Verschwiegen werden soll auch nicht, dass über 90 Prozent der Fälle von sexuellem Missbrauch in den Familien auftreten. Trotzdem können wir nicht den Umkehrschluss ziehen, dass in den meisten Familien solche Verbrechen begangen werden oder Ehe und Familie ein systemisches Versagen darstellen würden.

Momentan dienen rund 12.500 Priester der Römisch-Katholischen Kirche in Deutschland, wobei noch Diakone und männliche Ordensangehörige hinzugezählt werden müssten. Im Durchschnitt wurden jährlich 22 Priester, Diakone oder männliche Ordensangehörige in den letzten 70 Jahren straffällig. Auch wenn jede Tat fürchterlich ist – rechtfertigt der Missbrauch den vollständigen Wandel der kirchlichen Strukturen durch den sogenannten Synodalen Weg?

Dem Gedanken, der zur Durchführung des sogenannten Synodalen Weges führte, liegt der Versuch zu Grunde, die Sexualdelikte der Geistlichen aufzuarbeiten und zukünftigen Taten vorzubeugen. Allerdings wird diese Begründung nur vorgeschoben. Die Fragen, die erörtert werden, stehen in keinem Zusammenhang mit der Prävention gegen Sexualdelikte. Präventivmaßnahmen sind erfahrungsgemäß geeignet, Straftaten zwar nicht vollständig zu verhindern, aber diese zumindest einzuschränken. Letztlich ist der Täter selbst verantwortlich, wenn auch die individuellen und sozial bedingten Faktoren seiner Persönlichkeitsentwicklung zu berücksichtigen sind. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es keine vollkommene Gerechtigkeit auf Erden geben kann, weil allein Gott Einblick in die Herzen und Gedanken der Menschen hat. Aber wir alle erhoffen vom Jüngsten Gericht die Wiederherstellung der vollen Gerechtigkeit für jeden Menschen.

Lassen Sie uns auch noch über die Aufgaben des Präfekten der Glaubenskongregation sprechen. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Papst und dem Präfekten einer Kongregation ausgestaltet?

Der jeweilige Präfekt ist zwar für den Papst tätig, doch erfolgt die Zusammenarbeit nicht auf Grund eines Arbeitsvertrages, denn als Bischof ist er mit dem Papst im Episkopat brüderlich verbunden. Das Verhältnis kann als ein kollegiales bezeichnet werden, so dass der Präfekt nicht als ein Angestellter des Papstes oder der Kirche angesehen werden kann. Die Aufgabe des Präfekten liegt darin, dass er die Arbeit des Papstes unterstützen muss, damit das Pontifikat als ein gelungenes in die Geschichte eingeht.

Die Präfekten werden für einen Zeitraum von fünf Jahren bestellt. Diese zeitliche Befristung verlängert sich aber üblicherweise um immer wieder fünf Jahre. In Ihrem Fall hat Papst Franziskus die erste Frist ausdrücklich nicht verlängert. Können Sie schildern, wie der Papst Ihnen gegenüber geäußert hat, dass die Frist nicht verlängert wird?

Nach einer der üblichen Arbeitssitzungen, die am letzten Tag der fünfjährigen Berufung stattfand, hat Papst Franziskus mir gegenüber geäußert, dass ich ab morgen nicht mehr sein Präfekt der Glaubenskongregation sein werde. Allerdings hat er sich dann noch gewünscht, dass ich nicht vergessen solle, für ihn zu beten.

Es war das erste Mal in der Geschichte der Glaubenskongregation, dass die Amtszeit eines Präfekten nach nur fünf Jahren endete. Es ist allgemein üblich, dass die Begrenzung der Bestellung nur eine Formalie ist, so dass sich regelmäßig die Frist bis zum 75. Lebensjahr verlängert. Grundsätzlich könnte auch dann noch die Amtszeit verlängert werden. Der Präfekt der Glaubenskongregation ist der erste theologische Berater des jeweiligen Papstes. Die Zusammenarbeit zwischen Papst Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger gilt in der Geschichte dieser Kongregation als vorbildhaft.

Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. hatte der Nachfolger, Papst Franziskus, Sie wiederum als Präfekten der Glaubenskongregation eingesetzt. Wie haben Sie das Verhältnis zu dem neuen Papst empfunden?

Nach dem Tod eines Papstes oder nach dessen Rücktritt erlöschen für die Präfekten der Kongregationen alle Funktionen. Da mich aber Franziskus wiederum als Präfekten eingesetzt hatte, zeigte er, dass er mit meiner Arbeit zufrieden war. Deshalb war unser Verhältnis anfänglich auch sehr gut, was offensichtlich auch Franziskus so empfunden hat. Die Muttersprache von Franziskus ist spanisch. Auch durch meine Kenntnisse der spanischen Sprache habe ich mich mit Franziskus gut verstanden. Doch dann traten theologische Differenzen über die Unauflöslichkeit der Ehe auf. Ich habe gespürt und Franziskus hat es mir gegenüber auch offen bekundet, dass viele dem Papst nahestehende Personen gegen mich intrigiert und begonnen haben, für mich Abträgliches Franziskus gegenüber vorzutragen.

Im Gegensatz zur Orthodoxen Kirche ist die römische Kirche nicht autokephal aufgebaut. Wir haben die Ortskirchen, die in Kirchenprovinzen zusammengefasst sind, also gleichsam Regionalkirchen, und die Weltkirche. Besteht die Möglichkeit, dass die Weltkirche den Ortskirchen Macht abgibt, damit diese gestärkt werden?

Jesus Christus hat die Kirche als Weltkirche gestiftet, die „in und aus den Ortskirchen“ (II. Vat. Lumen gentium 23) besteht. Zwar sind einige (östliche) Ortskirchen zu Regionalkirchen (Patriarchaten) zusammengefasst, doch handelt es sich lediglich um Verwaltungszusammenschlüsse und kulturelle Einheiten, nicht um eine Zwischenstufe zwischen Universalkirche und Ortskirche. Der Papst und die Bischöfe tragen die Verantwortung für die Universalkirche. Der Papst kann die ihm auf Grund göttlichen Rechts übertragene Autorität nicht delegieren. Er kann sich mit Hilfe der Kurie beraten lassen, um seine Aufgaben wahrzunehmen. Diese Autoritätsverteilung basiert auf göttlichem Recht und kann deshalb nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Autorität des Papstes kann deshalb nicht auf die Bischöfe übertragen werden, wie es momentan in Deutschland im Rahmen des sogenannten „Synodalen Weges“ diskutiert wird. Den Bischöfen sind kraft kirchlichen Rechtes Aufgaben zugewiesen worden, die aber nicht beliebig erweitert werden können. Das göttliche Recht hat die Aufgabengebiete des Papstes und der Bischöfe festgelegt.

Der „Synodale“ Weg, der kirchenrechtlich nicht legitimiert ist, versucht, das von Jesus Christus vorgegebene göttliche Recht außer Kraft zu setzen, um eine andere Kirche zu etablieren – eine Kirche, die sich modern gibt und den mainstream, der gerade herrscht, zur eigentlichen Grundlage ihrer eigenen Vorstellungen von Kirche erhebt. Diese Vorstellung spiegelt aber exakt das Gegenteil von Kirche wider und ist deshalb nicht mit den theologischen Grundlagen der Kirche vereinbar. Maßgebend ist dagegen die Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, die von der höchsten Autorität eines ökumenischen Konzils, nämlich des Zweiten Vatikanums, getragen wird. Allerdings werden die Stimmen, die auf diesen Widerspruch mit dem göttlichen Recht hinweisen, totgeschwiegen, und die Vertreter dieser Meinung werden persönlich attackiert und diffamiert. Bischöfe, die den „Synodalen Weg“ als Holzweg verurteilen, als einen Weg, der in der Deformation der Kirche endet, werden mit Drohbriefen eingedeckt und öffentliche Aktionen werden gegen sie organisiert. In der Zeit von Zollitsch, Marx und Bätzing als Präsidenten der Deutschen Bischofskonferenz sind seit 2008 rund 2,7 Millionen Katholiken formell aus der Kirche ausgetreten. Darüber hinaus hat sich die Zahl der Sonntagsmessbesucher von 25% auf 5% reduziert und die Priesterseminare haben sich – wegen einer verfehlten Berufungspastoral – drastische geleert. Obwohl in der Apostelgeschichte darauf hingewiesen wird, dass die Gemeinschaft der Gläubigen eines Herzens und einer Seele sein soll (Apg 4,32), wird die Kirche durch die innerkirchlichen Machtkämpfe und glaubensfeindliche Ideologien gespalten.

Bischöfe meinen, über die Autorität zu verfügen, um eine neue Kirche zu gründen, doch sie verlieren diese in dem Moment, in dem sie sich gegen göttliches Recht wenden. Einem häretischen oder schismatischen Bischof braucht kein gläubiger Katholik zu folgen. Ja, wir sind aufgefordert, Widerstand zu leisten, um die wahre Kirche zu verteidigen.

Der sogenannte „Synodale Weg“ scheint eine Forderung des Konzils von Trient aufzugreifen. Dieses Konzil hat beschlossen, dass die Synodalität der Kirche gestärkt werden solle. Wir haben die Prinzipien der Autokephalie und der Synodalität in den Ostkirchen, wir haben aber auch das Prinzip des Primates des Papstes. Wie sehen Sie unter Berücksichtigung dieser Prinzipien die Zukunft der römischen Kirche?

Die Katholische Kirche basiert auf dem Prinzip des Primates des Papstes und der Kollegialität der Bischöfe. Neuerdings wird jetzt auch – zumindest in Deutschland – von einer Synodalität gesprochen. Selbstverständlich werden in der Kirche Synoden abgehalten, was mit einem lateinischen Begriff als Konzil benannt wird. Allerdings folgt hieraus nicht, dass die tradierten Prinzipien durch eine Synodalität abgelöst worden wären. In den evangelischen Kirchen hat man nach dem Zusammenbruch der Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges nach einer neuen Kirchenverfassung gesucht, um den vakanten Platz der Landesherren aufzufüllen, wobei man sich für „Synoden“ als Leitungsorgane entschieden hat. Freilich haben diese Synoden nichts mit den katholischen Synoden gemein. Während im Bereich der evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gewählte Vertreter aus dem Kreis der Gläubigen, also Laien und Geistliche, entscheiden, beschränken sich katholische Synoden auf eine Zusammenkunft von Klerikern, die im Rahmen eines Plenar- oder Regionalkonzils theologische Fragen erörtern. Es geht immer wie bei den Konzilen und Synoden der Kirche in der Zeit der Kirchenväter um die treue Darlegung des apostolischen Glaubens und die Wahrung des sakramentalen Lebens in der Communio der Universalkirche.

Die Anpassung an den mainstream kann der Kirche keine Zukunft eröffnen. Dieser Prozess wird zwar Liberalisierung genannt, doch verbirgt sich hinter diesem Modewort die Relativierung des Glaubens und der Offenbarung. Hierauf hat Kardinal John Henry Newman (1801–1890) eindrücklich hingewiesen. Liberal bedeutet hier im modernistischen Sinn den von Gott geoffenbarten Glauben an die Forderungen der Gläubigen anzupassen und sich damit die Auffassungen der rein naturalistisch-immanenten Weltsicht nach dem „Tod Gottes“ (Nietzsche) zu eigen zu machen.

Die Folge dieser Liberalisierung ist, dass immer mehr Personen aus der Kirche austreten, da sich durch die Anpassung an den mainstream die Definition des Menschen als „Menschen ohne Gott“ die Einzigartigkeit der Kirche auflöst. Die Gläubigen suchen in der Kirche mehr als das, was ihnen an Gemeinplätzen und Banalitäten durch die Politiker und Medienschaffenden geboten wird. Wird dann, um die Gläubigen am Austritt zu hindern, noch mehr Liberalisierung durchgeführt, liefert man diesen Personen nur noch mehr Gründe, dass sie der Kirche Christi den Rücken kehren.

Durch das Beschreiten des „Synodalen Weges“ haben sich innerhalb der deutschen Ortskirchen Fraktionen gebildet, die scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen und somit der Vorstellung von Einheit der Kirche widersprechen. Besteht deshalb die Gefahr, dass die Einheit der Universalkirche bedroht ist?

Fraktionsbildungen sind immer gegen die Einheit der Kirche gerichtet, die trinitarisch in der Einheit des Sohnes mit dem Vater im Heiligen Geist gründet (Joh 17,21). Hierauf hat schon Paulus im 1. Brief an die Korinther hingewiesen. Allerdings kann ein Papst nicht der Vorsitzende einer Fraktion sein – er ist immer der Vorsitzende der Einheit in Christus. Deshalb sind Fraktionsbildungen gegen die Kirche an sich gerichtet. Der Tod Jesu Christi trennt uns nicht, sondern vereinigt uns im Glauben an ihn. Der Glaube wird uns durch den Heiligen Geist als Gabe von oben zuteil. Die Ideologie hingegen, die gegen den Glauben gerichtete Sichtweise, ist das menschliche Produkt, das von fehlbaren menschlichen Vorstellungen gespeist wird.

Auch wenn Papst Franziskus meint, dass er ein Schisma in der Kirche nicht fürchte – worin ihn Kardinal Kasper unterstützte und doch jüngst aus Sorge um die Kirche in Deutschland kräftig zurückruderte – bin ich davon nicht beruhigt. Ich sehe eine Gefahr. Franziskus wird in seiner Auffassung von ihm nahestehenden Personen gestärkt, die in den bewahrenden und der Lehre verpflichteten Theologen eher Gegner sieht, die ihn angreifen wollen.

Es ist eine herausragende Aufgabe der Bischöfe, diesen Befürchtungen entgegenzutreten und immer wieder versuchen, die Wogen zu glätten und die widerstreitenden Vorstellungen zusammen zu bringen. Denn nur in der Einheit des dreifaltigen Gottes kann der Kirche Zukunft geschenkt werden – nur wenn sie wie in den vergangenen Jahrhunderten die Einheit als konstitutives Element ansieht. Nur aus dieser Einheit heraus hat die Kirche die Kraft, in der Welt zu wirken, so wie es ihr in den vielen Jahrhunderten zuvor möglich war.

Im März 2022 hat Papst Franziskus die neue Verfassung des Vatikans unter dem Namen Praedicate Evangelium vorgestellt. Damit wurde die Organisation der bisherigen Kongregationen, Räte und Dikasterien in eine einheitliche Organisationform als Dikasterien reformiert. Grundsätzlich soll gelten, dass alle Dikasterien als gleichrangig anzusehen sind. Zwar soll auch das Dikasterium der Evangelisierung gleichrangig mit den anderen angesehen werden, doch ist seine Stellung gleichwohl herausgehoben, da der Papst selbst die Leitung übernimmt, um die überragende Bedeutung dieses Dikasteriums zu dokumentieren. Damit soll auch zum Ausdruck gebracht werden, dass entscheidende Grundlage der Kirche nicht mehr die Lehre sein soll, sondern die Evangelisierung. Können Sie diesen Paradigmenwechsel nachvollziehen?

Dem Ganzen fehlt die einheitliche Grundidee, aus der sich die einzelnen Elemente organisch zusammenfügen. Viele Köche verderben den Brei. Die Neunergruppe von Kardinälen, die dieses Dokument erarbeiten sollte, war zu heterogen zusammengesetzt. Auch fehlten wirklich kompetente Vertreter der dogmatischen Theologie, die den Sinn des Kardinalskollegiums als Medium der Repräsentantion der römischen Kirche und denjenigen der Kurie als eines kirchlichen Organs aus der Ekklesiologie von Lumen gentium hätten erarbeiten können. Völlig daneben ist die Idee, die Kurie sei ein Modell für die Diözesen oder gar die Weltkirche. Die Kardinäle der römischen Kurie mit ihren Mitarbeitern sind nur dazu da, den Papst in seinem besonderen Dienst für die Einheit der Kirche im Glauben und der Gemeinschaft der Bischöfe und aller Gläubigen zu unterstützen. Man redet viel von Synodalität und hüllt dies in eine biblisch-spirituelle Sprache von Dienen, Zusammengehen etc. ein. Was aber herausgekommen ist, ist eine Kurie, die ganz zugeschnitten ist auf die Person des Papstes und seine persönlichen Vorstellungen auch zu nicht glaubensrelevanten Themen, so dass die Wahl des nächsten Papstes mehr von den Zwängen dieser Kurienneuordnung als von dem Willen Jesu zum Petrus-Dienst bestimmt wird. Doch die Kardinäle müssen einen Papst wählen nicht mit der Frage, ob er gut in das neu Kuriensystem hineinpasst, sondern wer vom Heiligen Geist bestimmt und befähigt ist, der universale Hirte der Kirche, der Stellvertreter Christi und der Nachfolger des hl. Petrus zu sein (Lumen gentium 18; 23).

In dem Prinzip der Öffnung der Kirche der Welt gegenüber könnte auch die Verweltlichung der Kirche gesehen werden. Damit könnte durch diesen Prozess die gewollte Entweltlichung der Kirche in den Hintergrund gedrängt werden. Sehen Sie diese Befürchtung?

Hier gibt es viele Phrasen, die durch Wiederholung auch nicht wahrer werden. Die endlose Verwendung von Allgemeinplätzen und Stereotypen verrät nur den Mangel an einer tiefgründigen Kenntnis der Problematik, die der Einäugige mit Verve vor den Blinden auszubreiten pflegt. Bekanntlich ist die Verwendung des Begriffs „Welt“ in der Heiligen Schrift vielfältig. Die Welt ist von Gott gut geschaffen worden und aus Liebe zu uns hat der Vater seinen Sohn dahingeben, damit wir durch den Glauben an ihn das ewige, d. h. göttliche Leben haben. Die Welt ist aufgrund der Sünde des Menschen und der Verführung des Bösen auch der Inbegriff des Unheils in einer von Gott entfremdeten Lebenswirklichkeit. Seit der Aufklärung gibt es auch das Narrativ von der theozentrischen Gedankenwelt des mittelalterlichen Menschen, die nun abgelöst wird von der Zuwendung zur realen, materiellen Welt des Diesseits. Der fatalen Logik dieses Diesseits-Jenseits-Schemas kann die Kirche aber nicht entkommen, indem sie sich umdefiniert als Hilfsorganisation zur Verbesserung der diesseitigen Lebensverhältnisse oder indem sie das falsche Bild von dem Christentum als Jenseitsreligion starrsinnig verteidigt. Stattdessen müssen wir die originale christliche Sicht des Menschen in seiner Gottorientierung und Weltverantwortung jenseits dieser Diesseits-Jenseits-Dialektik und des idealistisch-materialistischen Dualismus aufzeigen, wie wir es in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanums nachvollziehen können. Denn aufgrund der Schöpfung der Welt durch Gott ist die Welt ein Spiegelbild der Gutheit Gottes. Der Mensch wird nicht durch Vergeistigung und Weltflucht erlöst, sondern dadurch, dass Gottes Sohn durch die Menschwerdung in diese Welt gekommen ist und als einer von uns unser Schicksal bis zum Tod geteilt hat. Wir erwarten auch nicht eine Erlösung vom Leib, sondern die Erlösung des Leibes in der endzeitlichen Auferstehung des Leibes mit der Erschaffung eines Neuen Himmels und einer Neuen Erde.

Die Stellung der Laien in der Kirche soll durch die Reform gestärkt werden. Können Sie sich vorstellen, dass zukünftig auch Laien den verschiedenen Dikasterien, einschließlich des Dikasteriums für die Evangelisation, vorstehen, wobei für diese Behörde neben dem Papst nur Co-Vorsitzende in Frage kommen?

Wenn durch Taufe und Firmung ein Mensch in ein personales Verhältnis zu Gott kommt und Glied am Leib Christi, der Kirche, wird, kann niemand beanspruchen, die Rolle der Laien in der Kirche zu stärken oder aufzuwerten. Niemand ist Christ aus Gnaden von Papst und Bischöfen, die irgendwelche kirchlichen Berufe und Ehrenstellungen zuweisen. Wenn es hauptamtliche Dienste von Laien in der Kirche gibt, dann aufgrund ihrer sakramentalen Kirchengliedschaft und konkret wegen ihrer Fachkompetenz, wie in der Pastoral, im Schuldienst oder der Caritas/Diakonie etc. Wer als Laie, ob Mann oder Frau, einen Posten im weltlichen Staat des Vatikans, erhält, sollte das nicht mit dem fragwürdigen Programm der „Aufwertung der Laien“ in der Kirche in Verbindung bringen. Es gibt aber Ämter in der Kurie, die ihrer Natur nach zwingend das Amt des Bischofs und Priesters voraussetzen. Wenn man die Kurie hingegen wesensfremd nur als ein weltliches Verwaltungsorgan ansieht, dann kann man in einer so säkularisierten römischen Kirche natürlich mit der Ernennung von Frauen in Leitungspositionen bei einem fachfremden Publikum nur punkten und sich des Sensationserfolges sicher sein.

Geht durch die Möglichkeit, dass auch Laien Vorsitzende der Dikasterien werden können, die bisherige bischöfliche Kollegialität verloren, die oft genug eine Einigung ermöglichte?

Die Kardinäle bilden ein Kollegium, das die heilige römische Kirche in ihrem synodalen Mitwirken mit dem päpstlichen Primat repräsentiert. Dieses Amt geht aus der Versammlung der ranghöchsten römischen Kleriker, also der Kardinäle, historisch hervor. Es hat also eine Basis im Weihesakrament. Nur ein verweltlichtes Denken findet es angemessen, die Kurie nach den Maßstäben moderner Verwaltungsorgane umzumodeln und sie ihrer ureigenen kirchlichen Rolle als Organ der römischen Kirche zu entfremden. Es ist bestürzend, wenn Bischöfe ihre mangelnde Kompetenz in der Theologie durch externe Berater aus Anwaltskanzleien, der Finanzwelt, den Politik- und Sozialwissenschaften etc. ausgleichen wollen, wo es um ihre eigene Kernkompetenz geht, nämlich um die göttliche Offenbarung, den Glauben und die sakramentale Heilsvermittlung.

Bischofsernennungen sollen künftig unter Beteiligung der Laien erfolgen. Halten Sie diese Demokratisierung der Ernennung von leitenden Personen in der Kirche mit den Vorgaben der Schrift und der Lehre vereinbar?

Bisher haben Laien schon bei der Suche nach geeigneten Kandidaten mitgewirkt, wenn die Nuntien sie gemäß ihrer Kompetenz befragt haben, ob sie jemanden für würdig und fähig halten, das Bischofsamt auszuüben. Das Bischofsamt selbst wird aber durch Christus in der Heiligen Weihe mittels der sakramentalen Handauflegung und des konsekratorischen Gebetes seitens der weihenden Bischöfe – in Kommunion mit dem Episkopat und dem Papst an seiner Spitze – übertragen. Sollten aber Laien Mitglieder – nicht Mitarbeiter – einer Kardinalskongregation sein können, dann wäre es nur möglich nach einer Umfunktionierung der Kongregationen. Sie, die bisher bisher Teilkonsistorium des Kardinalskollegiums waren, würden in eine profane Kommission zu Kandidatenfindung für profane Berufe umgewandelt werden müssen. Damit würde das Bischofsamt profanisiert und der Bischof würde zum Leiter einer kirchlichen Behörde degradiert. Der Bischof wäre dann nicht mehr primär von Christus bestellt, die Gläubigen zu lehren, zu leiten und zu heiligen, wie es das Zweite Vatikanum festgelegt hat (Lumen gentium 28), sondern er wäre nur noch Chef der Diözesanverwaltung. Er würde sich dann kaum mehr von einem staatlichen Minister oder dem Boss eines großen Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmens unterscheiden. Ich bezweifle, dass die Akteure dieser „Kurienreform“ sich über die Konsequenzen ihres recht verweltlichten Ansatzes klar sind. Denn sie reagieren mehr auf den Applaus der säkularisierten Mentalität, wo es nur um Macht und ihre Verteilung geht, statt um Dienst und Hingabe. Es ist aber der Mut gefragt, das Proprium der Kirche des dreifaltigen Gottes herauszustellen, die in Christus das Sakrament des Heils der Welt ist und sein soll. „So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten“ (Lumen gentium 8).

Eminenz, vielen Dank.

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