"Das therapeutische Kalifat" von Giuseppe Gracia, erschienen im Schweizer Fontis-Verlag, ist ein kleines Feuerwerk, das sich der "Meinungsdiktatur im Namen des Fortschritts" widersetzt.

Auf rund 60 Seiten zeigt der Autor die Probleme und Angriffe auf, denen Menschen mit unpopulären Meinungen in unseren heutigen Gesellschaften ausgesetzt sind. Gleichzeitig zeigt Gracia, wie absurd derartige Angriffe auf die Meinungsfreiheit sind. Das beginnt schon mit der lapidaren Frage: "Wer darf festlegen, wann eine Ansicht unter dem Banner der Meinungsfreiheit weiter durch den öffentlichen Raum segeln darf und wann sie verschwinden muss?"

Der Begriff "therapeutische Kalifat", erläutert Gracia, "stammt vom Schweizer Philosophen Michael Rüegg. Gemeint ist eine neue Form von Herrschaft, nicht im Namen eines Gottes oder im Sinne einer Diktatur wie in China oder Nordkorea. Sondern im Sinne einer gewissermaßen sanften Gesellschaftstherapie. Die Therapie einer politisch-kulturellen Elite, welche die christlichen Wurzeln des Abendlandes abschneidet und uns im Zuge der Globalisierung befreien möchte vom Hemmschuh veralteter religiöser, nationaler oder geschlechtlicher Identitäten."

Neben den Therapeuten werden von Gracia auch die Patienten besprochen, also im Regelfall der Leser seines Buches. "Je mehr ein Patient konservativ und männlich ist, je mehr er eine weiße Hautfarbe hat, je mehr er heterosexuell ist und je mehr er die erlösende Medizin der Gender-Theorie ablehnt, desto härter die Behandlung."

Wichtig ist, dass der Autor klarstellt, dass die "Meinungsdiktatur" nicht notwendigerweise auf einem einheitlichen ideologischen Fundament steht. Verschwörungstheoretiker wittern oft einen Zirkel der Macht, der die ganze Welt beeinflusst. In Wirklichkeit ist es aber so, dass "sehr widersprüchliche Ideen und Ideale" dominieren. "Zum Beispiel steht eine zentralistische, sozialistisch angehauchte EU Seite an Seite neben dem Glauben an Globalisierung, Digitalisierung und dem Phänomen der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Der Humanismus mit seinen universalen Werten steht neben Relativismus und Konstruktivismus […]. Frauenrechte und Frauenquoten stehen neben einem Genderdiskurs, der das biologische Geschlecht als unwesentlich darstellt und Frauen wie Männer in austauschbare Kulturkonstrukte und Identitäten auflöst. Umweltschutz und Tierschutz stehen neben millionenfacher Abtreibung und neben der chemischen Mitleidstötung am Krankenbett oder im Altersheim. Materialismus und Konsumismus, mit einem Leben als reines Wechselspiel zwischen Arbeit und Zerstreuung, stehen neben einer moralisierenden politischen Korrektheit, die an höhere Werte appelliert."

Giuseppe Gracia bietet gegen Ende seines Büchleins ein paar Lösungsansätze, auf die er in seinem eigenen Leben zurückgreift. Diese Ideen (Zeugnis geben, öffentlich mitreden und das Moralisieren vermeiden) scheinen dem von ihm geschilderten Problem jedoch keinen Einhalt gebieten zu können. Hier wäre mehr nötig, auch mehr Kreativität im Widerstand. Eine gute Portion Sarkasmus hinsichtlich der politisch korrekten Ausdrucksweisen in verschiedenen Themenbereichen, darunter Islam und Abtreibung, rundet das lesenswerte Buch ab.

Giuseppe Gracia, "Das therapeutische Kalifat. Meinungsdiktatur im Namen des Fortschritts" ist erschienen im Fontis-Verlag.

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