Münchner Missbrauchsgutachten: Papst Benedikt XVI. korrigiert Aussage

Papst emeritus Benedikt XVI. im Sommer 2017.
EWTN / Paul Badde

Papst emeritus Benedikt XVI hat auf den Vorwurf reagiert, in seiner Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten die Unwahrheit gesagt zu haben.

In einer Erklärung – hier der volle Wortlaut –, die von mehreren Medien am heutigen Montag veröffentlicht wurde, teilt Benedikt mit, er möchte "klarstellen, dass er, entgegen der Darstellung im Rahmen der Anhörung, an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen hat."

Der heute 94 Jahre alte emeritierte Papst war von 1978 bis 1982 Erzbischof von München und Freising. In der fraglichen Sitzung ging es um den Fall des "Pfarrers Peter H." – einem Priester und bereits auffällig gewordenen Sexualstraftäter aus dem Bistum Essen, der 1980 ins Erzbistum München und Freising kam, und dort weiter über Jahrzehnte in mehreren Pfarreien minderjährigen Jungen nachstellte.

"Objektiv falsch"  

Über seinen Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, teilt Benedikt – der mehrfach seine Teilnahme an dieser Sitzung bestritten hatte – nun mit, er sei entgegen früherer Angaben doch anwesend:

"Die gegenteilige Angabe war also objektiv falsch. [Benedikt] möchte betonen, dass dies nicht aus böser Absicht heraus geschehen ist, sondern Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme war. Wie es dazu kam, wird er in der noch ausstehenden Stellungnahme erklären. Dieser Fehler tut ihm sehr leid und er bittet, diesen Fehler zu entschuldigen."

"Objektiv richtig" bleibe aber, "dokumentiert durch die Aktenlage, die Aussage, dass in dieser Sitzung über einen seelsorgerlichen Einsatz  des betreffenden Priesters nicht entschieden wurde", heißt es weiter. Vielmehr sei lediglich der Bitte entsprochen worden, diesem während seiner therapeutischen Behandlung in München Unterkunft zu ermöglichen.

Weitere Stellungnahme soll folgen

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Benedikt XVI. sei "gerade in diesen Tagen seiner früheren Erz- und Heimatdiözese nahe und ist ihr im Bemühen um Aufklärung sehr verbunden. Besonders denkt er an die Opfer, die sexuellen Missbrauch und Gleichgültigkeit erfahren mussten", so die Erklärung weiter.

Derzeit lese er aufmerksam das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW), dessen Ausführungen "ihn mit Scham und Schmerz über das Leid erfüllen, das den Opfern zugefügt worden ist", heißt es.

Auch wenn Benedikt um eine zügige Lektüre bemüht sei, bitte er sehr um Verständnis, "dass die vollständige Durchsicht angesichts seines Alters und seiner Gesundheit, aber auch des großen Umfangs wegen noch Zeit benötigt."

Benedikt werde zu dem knapp 2.000 Seiten langen Gutachten eine weitere Stellungnahme abgeben, kündigt die Erklärung an.

Gutachter: Über 230 Täter und "hohe Dunkelziffer"

Die Kanzlei "Westpfahl Spilker Wastl" hatte in einem Gutachten den Umgang der Verantwortlichen der Erzdiözese mit Zeitraum von 1945 bis 2019 untersucht und heute Vormittag einen entsprechenden Bericht vorgestellt. Wie CNA Deutsch berichtete, stand dabei das Verhalten des aktuellen Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, sowie das des früheren Erzbischofs und heutigen emeritierten Papstes Benedikt XVI. im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit.

Insgesamt habe man 261 Personen untersucht, denen im Zeitraum von 1945 bis 2019 im Zuständigkeitsbereich des Erzbistums München und Freising Missbrauch vorgeworfen wird. Bei 235 Personen habe man "etwas vorgefunden", so die Gutachter.

Darunter sind nach Ansicht der Juristen insgesamt 173 Priester als Täter schuldig geworden, neun Diakone, fünf Pastoralreferenten und 48 Personen aus weiteren Berufsgruppen, beispielsweise aus dem Schuldienst.

Insgesamt gehen die WSW-Gutachter von 497 "Geschädigten" aus. Martin Pusch (WSW) betonte, dass diese Zahlen jedoch möglicherweise "nicht die gesamte Anzahl" widerspiegeln würden. Die Dunkelziffer liege seiner Ansicht nach höher.

Die Mehrzahl der Opfer ist männlich (247), 182 Betroffene seien weiblich, in 68 Fällen sei eine Zuordnung nicht möglich gewesen, so der Bericht.

60 Prozent der männlichen Betroffenen waren zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten zwischen acht und 14 Jahre alt. Bei den weiblichen Opfern machten die Minderjährigen einen Anteil von einem Drittel aus.

Martin Pusch erklärte, er wolle "besonders hervorheben", dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. "ausführlich" Rede und Antwort gestanden habe. Seine 82-seitige Stellungnahme habe den Gutachtern einen "authentischen Einblick" gegeben.

Insgesamt habe man beim damaligen Erzbischof vier Fälle zu beanstanden, in denen Ratzinger nach Ansicht der Gutachter falsch gehandelt habe. Dies beträfe zum einen zwei Fälle, in denen zwei Priester, die jeweils staatlicherseits wegen Missbrauchs verurteilt wurden, weiterhin in der Seelsorge tätig waren, ohne kirchenrechtlich belangt worden zu sein.

In einem weiteren Fall habe das Erzbistum unter Leitung von Ratzinger einen Priester in den Dienst genommen, der "von einem nicht-deutschen Gericht bereits verurteilt" worden war.

Die Gutachter zeigten sich auch überzeugt davon, dass der heutige Papst damals als Erzbischof von München und Freising auch Kenntnisse vom Fall des Priesters Peter H. hatte, der als verurteilter Missbrauchstäter im Erzbistum erneut rückfällig wurde, und zu dem Benedikt nun seine Aussage korrigierte.

Belege, dass Kardinal Ratzinger um die Vorgeschichte von Peter H. wusste, konnten die Gutachter nicht vorlegen, nach Ansicht von Gutachter Ulrich Wastl sei es jedoch "überwiegend wahrscheinlich".

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