Papst Franziskus: "Starrheit ist kein Geschenk Gottes"

Papst Franziskus, 31. Juli 2022
Vatican Media

Papst Franziskus hat sich zur aktuellen Krise in der argentinischen Diözese San Rafael geäußert, die sich durch die Schließung des Priesterseminars Santa María Madre de Dios im November 2020 verschärft hatte. Konkret sagte er, "Starrheit" sei "kein Geschenk Gottes". Vorausgegangen war ein Brief eines Priesters, in dem er fragte, ob das buchstabengetreue Befolgen des Zweiten Vatikanischen Konzils als Starrheit anzusehen sei.

Brief des Priesters

Der Pontifex antwortete auf einen Brief, den der Priester Ramiro Sáenz von der Pfarrei Nuestra Señora del Rosario am 17. April 2022 an ihn gerichtet hatte und der ACI Prensa, der spanischsprachigen Partneragentur von CNA Deutsch, vorliegt.

"Wie Sie wissen, haben wir sehr harte Zeiten mit vielen Missverständnissen hinter uns. Wir sind ein Teil der Kirche Christi, die ihm anvertraut wurde. Wir lieben Christus, wir lieben die Heilige Jungfrau, wir lieben die Kirche, der Sie vorstehen", so der Priester in seinem Brief.

"Wir beichten, wir missionieren, wir halten Exerzitien, wir haben mehrere Kapellen der ewigen Anbetung (in fast allen Kirchen beten wir die ganze Nacht des Gründonnerstags an), wir beten täglich das Stundengebet und den Rosenkranz, wir meditieren, wir lesen die großen Meister des geistlichen Lebens, wir kümmern uns um die Kranken und die Bedürftigsten, fast alle von uns haben ihr Leben für Covid-Patienten riskiert", fuhr Saenz fort. "Wir sind nicht perfekt, aber wir wollen für Christus und seine Kirche arbeiten. Sie schafft Heiligkeit in unserem guten Willen."

"Fast alle von uns sind durch das Zweite Vatikanum – ohne Brüche – geformt worden. Wir haben Optatam totius und Presbyterorum ordinis buchstabengetreu befolgt. Ist diese Starrheit schlecht? Ist sie Ideologie? Haben wir keinen Platz in der heutigen Kirche? Gibt es nicht eine kleine Fläche für uns im Polyeder?", fragte der argentinische Priester den Papst.

"Früher hatten wir eine Diözese, die reich an Priestern und apostolischen Werken war. Lassen Sie dies nicht stillstehen. Die Welt braucht uns heute mehr denn je, so Saenz abschließend.

Antwort von Papst Franziskus

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Auch die Antwort von Papst Franziskus vom 9. Juli 2022 liegt ACI Prensa vor.

Darin heißt es: "In Ihrem Brief weisen Sie mich darauf hin, dass sie das Zweite Vatikanische Konzil wörtlich genommen haben, und gleich danach fragen Sie mich, ob Starrheit schlecht ist. Ich muss Ihnen sagen, dass es eine Sache ist, im Gesetz des Herrn zu wandeln, wie der Psalm uns auffordert zu beten ("glücklich ist der Mensch, der im Gesetz des Herrn wandelt"), und eine ganz andere, starr zu sein."

"Lieber Sohn, Starrheit ist kein Geschenk Gottes, Sanftmut schon, Güte schon, Wohlwollen schon, Vergebung schon, aber Starrheit nicht! Denn, wie Sie selbst spüren, ist die Starrheit der Auftakt zu der Ideologie, die so viel Schaden anrichtet und die die Starrköpfigen zur Zeit Jesu dazu brachte, ihn zu verurteilen, weil er die Barmherzigkeit über das Gesetz stellte", schrieb Papst Franziskus.

Der Heilige Vater versicherte, dass "natürlich in der Kirche Jesu, die gestern, heute und immer dieselbe ist, wir alle einen Platz haben, JEDER! Deshalb ist Starrheit nicht möglich, denn sie verschließt die Türen für 'alle' und hält sie nur für die 'Perfekten' offen."

Die Situation in San Rafael

Am 5. Februar 2022 akzeptierte Papst Franziskus den Rücktritt des Bischofs von San Rafael (Argentinien), Eduardo María Taussig, eineinhalb Jahre nach der umstrittenen Entscheidung, das diözesane Priesterseminar zu schließen.

Das Bistum San Rafael hat eine Zeit starker Spannungen mit einer wichtigen Gruppe von Gläubigen und Priestern durchlebt, die bis Mitte 2020 zurückreichen.

Als Bischof Taussig im Juni 2020 die Wiederaufnahme der wegen der Covid-Situation unterbrochenen öffentlichen Gottesdienste ankündigte, legte er fest, dass die Eucharistie nur als stehende Handkommunion, nicht aber als kniende Mundkommunion empfangen werden könne.

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Neben der Verärgerung unter den Laien und Priestern der Diözese San Rafael führte die Entscheidung von Taussig auch zu Spannungen innerhalb des Priesterseminars.

Am 27. Juli desselben Jahres gab der Bischof von San Rafael bekannt, das Priesterseminar Santa María Madre de Dios werde auf Anordnung des Vatikans bis Ende 2020 geschlossen. Die Seminaristen wurden in andere Diözesen Argentiniens verlegt.

Weder der Bischof noch der Vatikan nannten die Gründe für die Schließung, die am 27. November 2020 erfolgte.

Das Priesterseminar der Diözese San Rafael war eines der erfolgreichsten in Argentinien und Lateinamerika und verzeichnete eine große Zahl von Berufungen.

Im Dezember 2021, etwas mehr als ein Jahr nach der Schließung des Seminars, berichtete die Diözese San Rafael schließlich über das Schicksal der dort ausgebildeten Seminaristen und gab an, dass eine Gruppe von 12 Personen "auf vier Seminare in vier anderen Diözesen Argentiniens" verteilt wurde, ohne anzugeben, wie viele von ihnen sich nach der Kontroverse entschlossen, ihre Priesterausbildung abzubrechen.

Nach der Schließung des Priesterseminars im Jahr 2020 führten die Gläubigen der Diözese San Rafael verschiedene Protestaktionen durch. Sie riefen zum Rosenkranzgebet vor dem Bischofshaus auf und zogen mit zahlreichen Autokarawanen durch die Straßen der Städte in der argentinischen Diözese.

Übersetzt und redigiert aus dem Original von ACI Prensa, der spanischsprachigen Partneragentur von CNA Deutsch.

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