Vom "Institut Papst Benedikt XVI." in Regensburg werden seit vielen Jahren in einer verdienstvollen Schriftenreihe gehaltvolle Studien zur Theologie Joseph Ratzingers publiziert. Wer das theologische Denken unseres emeritierten Papstes verstehen möchte, kommt an der Person und dem Werk von Gottlieb Söhngen nicht vorbei. Wer sich näher mit ihm beschäftigen möchte, kann den zwölften Band der Ratzinger-Studien zur Hand nehmen. Wer war Söhngen? Der Trierer Theologe Christian Poncelet hat ein kenntnisreiches Buch über den Doktorvater von Joseph Ratzinger vorgelegt.

Diese Besinnung auf Söhngens Denken, das fest gegründet ist auf den Glauben der Kirche, erfolgt aus dezidiert theologischer Perspektive. Augenscheinlich behandelt Gottlieb Söhngen philosophische Fragen und Probleme vor dem Horizont des Glaubens. Er berücksichtigt Thomas von Aquins reichhaltiges Werk, vermeidet aber jeglichen neuscholastischen Formalismus und steht, wie Poncelet eindrücklich zeigt, in einem lebendigen, resonanzvollen Austausch mit prominenten Philosophen seiner Zeit, darunter mit einer so epochal prägenden, heute nahezu vergessenen Persönlichkeit wie Nicolai Hartmann. Söhngen, der Wegbereiter und -begleiter des theologischen Denkens von Joseph Ratzinger, insbesondere von dessen sensiblen Wahrnehmungen der drängenden Frage zum Verhältnis von Glaube und Vernunft, findet in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion, abgesehen von den in dieser Studie erwähnten Arbeiten des Regensburger Weihbischofs Dr. Josef Graf und des protestantischen Theologen Martin Hailer, kaum Beachtung. Könnten wir nicht, Gottlieb Söhngens philosophische Reflexionen aufnehmend, auch die Theologie Ratzingers besser verstehen? Ja, wäre die Beschäftigung mit Söhngen nicht naheliegend, um etwa die Enzyklika "Fides et ratio" aus dem Jahr 1998, deren Entstehung der damalige Kardinalpräfekt der Glaubenskongregation begleitet hat, angemessen zu rezipieren? Im Gegensatz zur offenkundigen Geschichtslosigkeit so vieler theologischen Diskurse heute verweist Poncelets gehaltvolle Arbeit nicht nur auf Söhngens Schriften, sondern darüber hinaus auch – auf gewisse Weise verborgen – auf das theologische Denken Joseph Ratzingers.

Der Verfasser legt dar, dass Söhngen die Diskussion über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie bezieht. Dabei denkt er nicht formalistisch oder positivistisch. Poncelet erläutert treffend: "Gesetz ist nämlich ihm zufolge nicht primär als das geschriebene Gesetz zu sehen, so als wäre die Philosophie ein statisches Regelwerk ähnlich einer Sammlung von Vorschriften." Söhngen versteht dies als "Zusage Gottes", die im Evangelium enthalten sei. Er halte mit der "Aussage, die Philosophie sei das Gesetz für den Theologen, an einem dynamischen Verständnis der Suche der Vernunft nach Wahrheit" fest. Die Philosophie schreibt der Theologie nichts vor, sie wird aber gewissermaßen von ihr umfangen und ist in ihr geborgen, so dass diese als Philosophie in der Theologie sich positiv entfalten könne. Die Philosophie ist nicht ein äußerlich bleibender Gesprächspartner oder ein methodisches Hilfsmittel, sondern ein Wegzeichen der Vernunft, die sich der Weite des Glaubens öffnet.

Anders als Ratzinger, der sich eindeutig kritisch von Kant absetzt, präsentiert Söhngen eine "positive Würdigung" substanzieller Art, wenngleich auch er die "einengende mathematisch-naturwissenschaftliche Formalisierung der Wissenschaft" zurückweist. Inwieweit sich Söhngens Denken in Ratzingers Schriften widerspiegelt, bleibt ein wichtiges Forschungsdesiderat.

Gottlieb Söhngen wahrt philosophisch wie theologisch denkend den "Geheimnischarakter Gottes" und widmet sich insbesondere dem Bereich von Vernunft, Theologie und Sprache: "Wenn Theologie sich also Philosophie zu Dienst sein lässt, heißt das für die Vernunft, zunächst zurückzutreten, nicht selbst zu konstruieren, sondern sich schenken lassen, gläubig annehmen." Söhngen geht sensibel vor, sensibilisiert zugleich auch für den Umgang mit Philosophien, die zunächst der Theologie zu widersprechen scheinen, aber ein "mögliches positives Potential für die theologische Reflexion" enthalten könnten. Ihm gehe es nicht um die "Rettung und Aufrechterhaltung eines philosophischen Systems, sondern gerade um das Aufbrechen jeglicher Denksysteme, um aus der dynamischen Kraft des Denkens Sinn zu finden und dialogfähig zu bleiben". Kritisch müsse sich die Theologie auch mit "Weltanschauungen" auseinandersetzen – ein prominenter Terminus aus Söhngens Zeit. Die Wissenschaft solle sich von der "Vermischung" mit diesen Formen freihalten bzw. schützen. Der Theologie komme die Aufgabe zu, das "bleibend Christliche gegenüber dem weltanschaulich Zeitbedingten abzugrenzen", man könnte auch sagen: Es gilt, die läuternde Kritik am Geist der Zeit und die Unterscheidung der Geister auszuüben. Dem Philosophen ist es nicht untersagt, von der Hermeneutik des Glaubens ausgehend zu argumentieren. Warum sollte nicht auch er, wie der Theologe, im "Dienst ... der Kirche" stehen dürfen? Poncelet schreibt, analog zur "Bindung des Theologen als Glied am Leib Christi" erscheine die "Bindung des Philosophen an die Menschheit". Geschieht aber nicht dieser Dienst auch aus der Gliedschaft zur Kirche des Herrn heraus? Vorher zeichnet der Autor nach, dass "jeder Gläubige, auch der Theologe, zum Zeugen für das Kult gefeierte und vergegenwärtigte Mysterium" werde – vollkommen richtig. Es ist "jeder Gläubige", somit nicht allein der Theologe, sondern auch der Philosoph zum Zeugnis für Christus gerufen und berufen. Nur darum konnte der Theologe Gottlieb Söhngen von innen her auch Philosoph bleiben, weil er als Theologe wie als Philosoph in allem als einfacher Arbeiter zum Dienst im Weinberg des Herrn bestellt war. Christian Poncelets Studie ist eine wichtige, anregende Hinführung zu Söhngens Denken. Wer noch weitere kostbare Schriften zur Theologie Joseph Ratzingers entdecken möchte, der kann auch ganz einfach den Internetauftritt des Regensburger Institutes besuchen und sich dort (http://www.institut-papst-benedikt.de/ratzinger-studien-rast.html) umschauen. Wer theologische Schätze und geistliche Nahrung in den Wüsten dieser Zeit sucht, wird im Institut Papst Benedikt XVI. immer fündig werden.

 

Christian Poncelet, "Dreifacher Gebrauch der Vernunft. Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Gottlieb Söhngen" (Ratzinger-Studien Band 12), ist bei Friedrich Pustet erschienen. 

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