Im Markus-Evangelium lernen wir Simon von Kyrene kennen. Der Nazarener geht den Kreuzweg hinauf nach Golgotha. Seine Kräfte schwinden. Vom Feld kommt ein Mann, ein einfacher Arbeiter. Begibt sich Simon noch eilends in die Nachfolge Christi? Warum ist er überhaupt zugegen? Wir haben ein unscharfes Bild von diesem Mann am Rande der Passionsgeschichte. Die Soldaten zwingen ihn, das Kreuz auf sich zu nehmen. Sie sehen Jesu Schwäche. Wie weit Simon von Kyrene das Kreuz trägt, ist nicht überliefert. Ebenso wenig wissen wir, wie seine Geschichte weitergegangen ist. Warum überhaupt ist er dort? Ist er neugierig? Kommt er einfach so, wie zufällig, vorbei? Wird er angezogen von der Menge, die "Kreuzige ihn!" gerufen hat? Oder möchte Simon von Kyrene am liebsten nur nach Hause, mit all dem nichts zu tun haben? Die Soldaten sehen, dass er kräftig genug ist, er, der einfache Feldarbeiter, um zumindest eine kurze Wegstrecke das Kreuz Jesu zu tragen.

Karol Józef Wojtyła denkt über ihn in einem Gedicht nach:

 

"… Simon von Kyrene?

Erinnerst du dich an den ersten Schritt, den du immer noch ununterbrochen gehst?

 

Geh lieber in Wellen! Geh mit der Welle, verletze dir nicht die Füße –

die Welle erfaßt dich, und du gehst unter und spürst es kaum.

 

Dann aber kommt Er und überträgt seine Last

auf deine Schulter. Du spürst es und zitterst, und

du erwachst."

 

(Der Gedanke ist eine seltsame Weite, Freiburg 1979, 11) 

 

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Dieser Simon von Kyrene hätte sich vielleicht gern – so wie immer – im Strom der Zeit fortbewegt, einfach treiben lassen, unversehrt, einer von vielen, ganz eingebunden in seinen Alltag, mit den Wellen schwimmend, von ihnen getragen, solange bis alles zu Ende geht, bis er versinkt und versinken darf. "Erinnerst du dich, Simon von Kyrene?" – so fragt der spätere Papst, an den Moment der Berufung? An den Augenblick des Innehaltens? Oder auch daran, dass auf einmal die Soldaten ihn erblicken und zwingen, Jesus von Nazareth zu helfen auf seinem Weg zur Schädelstätte? Simon ist stark genug. Also bürden sie ihm das Kreuz auf. Aber sie sind sozusagen nicht diejenigen, die ihn hineinziehen in die Passion des Herrn. Sie zwingen ihn, das Kreuz zu tragen, ja. Aber der eigentlich Handelnde ist der Herr. Er wählt aus, er ruft und beruft. Für diesen Feldarbeiter hat Er vorgesehen, dass er Ihm wird helfen müssen, das Kreuz zu tragen. Dieses Kreuz ist eine schwere Last, aber nicht das Holz verändert Simons Blickrichtung, ja sein Leben. Diesem unauffälligen Simon, der immer unauffällig sein und bleiben wollte, wird das Kreuz auf die Schultern gelegt, von Soldaten, die über den ordnungsgemäßen Leidensweg und später die Kreuzigung wachen müssen. Alles muss so ablaufen, wie es vorgesehen ist. Nicht auszudenken, wenn dieser nicht besonders athletische Jesus von Nazareth schon vorher zusammenbrechen würde. Welche Lasten werden in dem Augenblick nicht von den Soldaten, sondern vom Herrn selbst auf die Schultern dieses Feldarbeiters gelegt?

Simon von Kyrene sieht Jesus, und Er sieht ihn. In dem Moment weiß er sich getroffen, es ist der eine, kurze und wesentliche Moment, auf den er unwissend hingelebt hat, und im Wissen um diesen Augenblick wird er eines Tages sterben. Simon, so deutet der heilige Johannes Paul II. diese Begegnung, ist von innen her tief bewegt – und es ist nicht der bellende Befehlston der Soldaten, nicht das Gewicht des Kreuzes, das ihn zittern lässt. Er sieht und erkennt den Herrn. Mit einem ganz kargen Wort schreibt der Dichter – "du erwachst". Auf einmal zerplatzen alle Schatten. Simon von Kyrene schwimmt nicht mehr mit dem Strom. Er sieht die Wirklichkeit, von der alles abhängt und auf die alles ankommt. Die Wahrheit ist Person, die Wahrheit, für die auch Simon leben und sterben wird. Es ist dieselbe Wahrheit, die der gute Schächer am Kreuz wenig später erkennen wird. Simon weiß, dass ihm das Kreuz seines Herrn und Gottes auf die Schultern gelegt wird – und er weiß es mit der Gewissheit, die keiner Worte, Erklärungen und Argumente bedarf. Simon von Kyrene erwacht aus dem Dämmerschlaf seiner Lebenswirklichkeit. Von Berufung wird seit damals viel geredet. Dem Feldarbeiter wird das Kreuz des Herrn auf die Schultern gelegt. In diesem Augenblick sieht er: Es ist der Herr, es ist Sein Kreuz, und Er braucht mich, weil ich es jetzt für Ihn tragen muss. Das auf die Schultern gelegte Kreuz ist Simons Form des Rufes: "Folge mir nach!" Diesen "ersten Schritt" geht er vielleicht bis ans Ende seines Lebens in Gedanken nach – den ersten Schritt nach dem Augenblick, den Johannes Paul II. so einfach beschreibt: "Dann aber kommt Er …" Simon von Kyrenes Stunde ist ein historisches Geschehnis, aber sie ist nicht nur eine fromme Erinnerung: Diese Stunde ist heute.  

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