Warum sich die Christen im Nahen Osten vom Westen betrogen fühlen

Wieviel Religionsfreiheit läßt der Westen wirklich zu?
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Religionsfreiheit gelte im Nahen Osten auch für Nicht-Muslime, sagte ein syrischer katholischer Kirchenführer in einer deutlichen Warnung über die Zukunft der Christen in der Region und über die "machiavellische" Natur der Außenpolitik des Westens.

"Meine Freunde, die bloße Existenz der Kirchen des Ostens, die auf die Zeiten der Apostel zurückgehen, steht auf dem Spiel. Sie sind in Gefahr", sagte am 2. August  Patriarch Ignatius Youssef III. Younan von der syrisch-katholischen Kirche Antiochiens.

Die christlichen Kirchenführer versuchen, ihre Gläubigen zum Bleiben in ihrem Heimatland zu ermutigen.

"Aber glauben Sie mir, das ist nicht einfach", sagte der Patriarch. "Denn die Christen in Syrien fühlen sich von den so genannten starken Nationen, hauptsächlich von denen im Westen, verlassen, ja sogar betrogen.”

Patriarch Younan richtete das Wort an die Höchste Versammlung der Kolumbusritter – den Knights of Columbus – am 2. August in Toronto, Kanada. Er geißelte die westliche Außenpolitik mit scharfen Worten.

"Wir müssen aufstehen und an das Prinzip der Religionsfreiheit appellieren. Man kann nicht der beste 'Verbündete von Regimen sein, die diskriminieren und den Nicht-Muslimen keine Religionsfreiheit gewähren", sagte er.

"Wir müssen es laut und deutlich sagen:  Es ist unehrlich und unlauter, verbündeter solcher Regime zu sein und nur zu sagen: ,Wir haben den Jahresbericht über Religionsfreiheit’,” fügte er mit deutlichem Bezug auf die Kommission der Vereinigten Staaten von Amerika zur Religionsfreiheit hinzu.

Er forderte die Durchsetzung der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und Handeln seitens der westlichen Länder, der Russischen Föderation, Chinas, Brasiliens und der Vereinten Nationen.

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"Was wir am dringendsten brauchen, ist das Aufstehen und die Verteidigung unserer Religionsfreiheit und unserer Bürgerrechte", sagte er.

Der Patriarch residiert im Libanon, ist aber Oberhaupt vieler  katholischer Gläubiger in Syrien. Er listete die früheren an den Westen gerichteten Warnungen der Christen des Nahen Ostens auf. Der Westen solle bei der Intervention in Syrien vorsichtig agieren und sich weigern, vom "Arabischen Frühling" zu sprechen.

"Die Situation in Syrien ist sehr komplex", sagte er.

Der Patriarch führte das komplexe Netz der religiösen, ethnischen und sprachlichen Minderheiten im Nahen Osten aus. Er warnte vor dem Risiko des Exports der Demokratie nach westlichem Vorbild in Regionen, in denen sie niemals existiert hat und die Trennung von Staat und Religion nicht stattfand.

Wenn der Islam in einem Land die vorherrschende Religion ist, sagte er, bedeute das, "man wird die Nicht-Muslime diskriminieren, egal welcher Konfession sie angehören.”

Da die Religionsfreiheit im Nahen Osten an die Beziehungen zum Islam gebunden sei, sagte er, "verstehen die heute im Nahen Osten lebenden Christen nicht, wie wir unsere Augen vor politischen Parteien verschließen können, die die auf dem Islam fußen.”

Er zitierte den Leitspruch der Muslimbruderschaft: "Allah ist unser Ziel, der Prophet ist unser Anführer. Der Koran ist unser Gesetz. Der Jihad [Heiliger Krieg] ist unsere Art und Weise, und der Tod für Gott ist unser ultimatives Verlangen."

Patriarch Younan warnte, dass es einigen Methoden des Islamunterrichts für Kinder an Exegese mangele und eine Gefahr seien, die zu Situationen wie die Ermordung des französischen Priesters Jacques Hamel führten.

"Im Koran stehen zwar Verse, die zu Toleranz inspirieren, aber in ihm stehen auch Verse, die zu Gewalt aufrufen", sagte der Patriarch. "Und wenn man jenen Kindern erzählt, alle diese Verse kämen von Gott, seien wörtlich übersetzt die Worte Gottes... wird man diesen jungen Menschen in eine Bestie verwandeln können.”

Die allgemeine Situation der irakischen und syrischen Christen stand auch im Mittelpunkt der Rede des Patriarchen.

Er sprach von der Entführung und Ermordung von Zivilisten und den Gräueltaten, die durch die Terrorgruppe Islamischer Staat oder die Kriegsparteien in Syrien verübt wurden. Er berichtete über die Zerstörung von Kirchen und Klöstern im Irak und in Syrien und die Vertreibung hunderttausender irakischer und syrischer Christen.

Wenn die Christen nicht geschützt würden, warnte er, werde das Christentum in Syrien, im Irak und sogar im Libanon bald aussterben. Her sagte, es würde eine Situation entstehen, die mit der in der Türkei vergleichbar wäre, wo so wenige Christen lebten, und das trotz der Geschichte von ökumenischen Konzilen und Kirchenvätern.

Die Kolumbusritter haben seit 2014 über elf Millionen Dollar für christliche Flüchtlinge gesammelt. Die katholische brüderliche Vereinigung half beim Aufbau von von Essensvorräten, medizinischen Kliniken, von Infrastruktur und Wohnungen.  Sie haben auch aus der irakischen Stadt Mossul vertriebene syrisch-katholische Priester unterstützt.

Der Außenminister des Heiligen Stuhls, Kardinal Pietro Parolin, dankte in einem Schreiben an die Versammlung der Kolumbusritter im Auftrag Papst Franziskus' ihnen für ihre "erheblichen Bemühungen" zur Verteidigung der Menschenrechte und der berechtigten Ansprüche der verfolgten Christen und die Sorge um ihre Not.

Der Oberste Ritter Carl Anderson von den Rittern des Kolumbus antwortete Patriarch Younan. Er berichtete von Gräueltaten wie dem Mord an vier Missionarinnen der Nächstenliebe und die Entführung ihres Priesters Pfarrer Thomas Uzhunnalil.

Er bat die Versammlung um eine Schweigeminute, um für "diese Märtyrer unseres Glaubens und die Opfer religiösen Hasses", zu beten.