Papst Franziskus hat in seinem Brief an den Münchner Erzbischof zwei Antworten, nicht nur zu seinem Rücktrittsgesuch, sondern im Grunde auf die schwere Krise unserer Kirche in Deutschland gegeben.

Die erste Antwort ist das „Mea Culpa“. Das Eingeständnis unserer eigenen Schuld, unserer eigenen Sünden und Nachlässigkeiten ist die Voraussetzung dafür, dass Heilung passieren kann. Kein lautes „tua culpa“, oder „sua culpa“, sondern ein ehrliches und schamvolles „mea culpa“, ein Umgang mit der eigenen Schuld, frei von Selbstgerechtigkeit, Heuchelei oder Gefallsucht. Das ist der Schritt, den jeder Christ gehen kann, um frei zu werden für Gottes heilendes Wirken. Denn Gott kann alles heilen, sogar die tiefen Narben und offenen Wunden des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. „Was uns retten wird, ist: die Tür zu öffnen für den Einen, der allein uns retten kann, und unsere Nacktheit zu bekennen: „ich habe gesündigt“, „wir haben gesündigt“ – und zu weinen, und zu stammeln, so gut wir können: „Geh weg von mir, denn ich bin ein Sünder““, schreibt der Papst und spricht dabei nicht nur seine Bischöfe an, sondern auch Dich und mich. Wir können nicht wieder gut machen, was geschehen ist und die allermeisten von uns haben auch keine Mitschuld daran. Aber die Kirche kann erneuert werden, indem einzelne sich selbst erneuern und Gott Raum geben, sie zu retten.


Die zweite Antwort des Papstes liegt in den letzten Worten des Briefes, die sich ganz konkret an den Bischof richten und stellvertretend für ihn an alle, die im bischöflichen Dienst tätig sind: „Weide meine Schafe!“ Mit diesem Auftrag Jesu an Petrus, in dem die Aufgabe und Leitungsgewalt des Papstes und der Bischöfe enthalten ist, erinnert der Heilige Vater die Bischöfe daran, wozu sie da sind und was ihre Berufung und ihr Auftrag ist. Sie sind nicht in erster Linie verantwortlich für Strukturen, Institutionen oder kirchenpolitische Agenden. Sie sind verantwortlich für die Seelen der Gläubigen in ihrem Bistum, die Gläubigen, die ihnen seelsorglich anvertraut sind. 


Das Bild des Hirten und der Schafe ist unbeliebt geworden, so wie die Übernahme von Verantwortung für das Seelenheil anderer unbeliebt geworden ist – sowohl von Seiten der Hirten, als auch von Seiten der Gläubigen. Aber es trifft den Kern des Bischofsamtes selbst. Der Bischof ist kein Vertreter der Gläubigen, er ist auch kein Beamter einer Behörde oder der Sprecher einer Interessensgruppe. Der Bischof ist der Vertreter Christi in seinem Bistum, der Hirte, der jedem Schaf hinterherlaufen muss.
Jesus sagt nicht „Herrsche über meine Schafe“, er sagt „weide sie“, kümmere Dich um sie, führe jedes einzelne zu mir. Der Bischof ist kein Herrscher, der seine Macht abgeben und verteilen kann, wie er will. Ein solches Amtsverständnis ist ebenso unkatholisch wie gefährlich. Ein Bischof ist vielmehr ein Hirte, ein Vater oder auch ein Arzt, wie der heilige Gregor schreibt. Wenn ein Arzt oder ein Vater seine Verantwortung für sein Kind oder seinen Patienten als Macht versteht, pervertiert das seine Aufgabe. Und ebenso wie ein Vater und sein Arzt seine Aufgabe nicht einfach abgeben kann, so kann auch ein Bischof sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Gerade wenn die Schafe in die tiefsten Schluchten stürzen, wenn die Patienten dem Tod ins Auge blicken, wenn die Kinder auf Abwege geraten, bleibt der Hirte, der Arzt und der Vater bei ihnen und versucht sie mit aller Kraft zurück auf den richtigen Weg zu bringen und zu heilen. 


„Weide meine Schafe“, schreibt Papst Franziskus an Kardinal Marx. Damit beauftragt er ihn nicht nur, sein Amt weiterzuführen, sondern äußert sich auch deutlich zu einem Thema, das viele Debatten hierzulande bestimmt: Wer als Christ davon ausgeht, dass christliche Leitung Macht ist, der hat ein Kirchenbild, das dem Bild der Kirche Christi so wenig entspricht wie das Bild des Tyrannen dem eines guten Vaters.

Der Auftrag des Papstes ist es, das Bischofsamt wieder mehr als Hirtenamt zu verstehen, als das Amt eines Hirten, der sich gegenüber Christus zu verantworten hat. Und überall da, wo die Gefahr besteht, dass statt Liebe, Selbstsucht und statt Verantwortung Machtstreben entsteht (und das ist bei jedem von uns der Fall), ermutigt er jeden Einzelnen zu einem „Mea Culpa“, das Raum im Herzen gibt für die Heilung durch Christus.

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1 „Auch muss er bedenken, dass einer, wenn er zum Vorsteher erwählt wird und die Sache des Volkes auf sich nimmt, gleichsam wie der Arzt zum Kranken kommt.“ (Liber regulae pastoralis)

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