Tugendhaftigkeit ist ein Wort, dass beinahe aus unserem Sprachgebrauch verschwunden ist. Es hat etwas angestaubtes, altbackenes an sich und verspricht irgendwie die Lebensfreude zu bremsen. Ist das wirklich so?

In den letzten Tagen hatte unsere Große Geburtstag. Mein Mann hat eine große Familie, die fast vollständig in derselben Stadt wohnt wie wir, sodass es üblich ist zu solchen Anlässen zusammen zu kommen. Sechs Geschwister, mit Anhang und Kindern, Großeltern, Tanten, Onkel und Cousinen meines Mannes, meine Familie on top, Paten…unter 40 Personen kommen solche Feste in der Kernfamilie nicht aus. Das sind jedes Mal wunderbare Ereignisse und alle fühlen sich pudelwohl im Schoß der Großfamilie.

Nur sagt einem die Hochrechnung, dass wenn jeder der Anwesenden auch nur ein kleines Geschenk mitbringt, stehen nachher um die 40 Präsente auf dem Geschenketisch. 40 Geschenke für ein kleines Mädchen, dass die ganze Aufmerksamkeit und den Trubel um sie wirklich mit Freude und Gelassenheit entgegen genommen hat. Auch ihre kleine Schwester hat ihr Bestes gegeben angesichts der vielen Geschenke und ihrer Schwester im Mittelpunkt, sich ihre Ansprechpartner zu suchen und ihr von Herzen alle Gaben zu gönnen.

Soweit so gut. Nur blieb es nicht dabei, da am Folgetag mit ihren Freundinnen ein Prinzessinnen-Mädchengeburtstag gefeiert wurde und am Tag danach noch im Kindergarten eine Feier ihr zu Ehren angesagt war. Drei Tage Geburtstag feiern, drei Tage Kuchen, drei Tage Geschenke, drei Tage Aufmerksamkeit und Mittelpunkt- was fällt einem da noch ein, außer Dankbarkeit und Freude mit dem stolzen Kind? Mir kamen die die Tugenden Demut, Mäßigung, Wohlwollen oder Mildtätigkeit in den Sinn.

Wie gehen meine Kinder, die nicht an der kurzen Leine gehalten werden, aber dennoch in dem Bewusstsein aufwachsen, dass es nicht normal ist, in den Supermarkt zu gehen und sich alles kaufen zu dürfen, dass sie nicht unbegrenzt und zu jeder Zeit Süßes essen dürfen und dass es auch mal gilt das nachmittägliche snacken einzustellen und sich zu gedulden bis das Abendessen auf dem Tisch steht, mit diesen drei Tagen um!?

Erschöpfung, Überdruss, Übersättigung sind auf jeden Fall drei Stichpunkte, die den Gemütszustand gut beschreiben. Das ist mir bewusst geworden, als ich einige Kinder auf dem Mädchengeburtstag beobachtet habe. Denn nicht nur unsere Tochter war neben der Freude irgendwann übersättigt, sondern gerade die Älteren aus ihrem Kindergarten sind bereits eine Eventkultur rund um Geburtstage gewöhnt. Unsere Schnitzeljagd, die Spiele im Garten, das Kinderschminken und das Armbänder basteln hatten es schwer gegen Kindergeburtstage an zu kommen, die mit Hüpfburgen, Ponyreiten oder Bauernhof-Erlebnispartys, Standards setzen und vermitteln. Einige Kinder hatten wirklich Mühe anzukommen und sich in das altbewährte Kindergeburtstags-Programm, wie ich es von Früher aus meiner Kindheit kenne, einzufinden.

Ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass sich nun die Spreu vom Weizen trennt. Klingt gemein, aber es gab Kinder, die absolut begeisterungsfähig und dankbar alles aufgesogen und mitgemacht haben und andere, die Spass hatten, aber mehr gewohnt waren, mehr erwartet hätten und die mit der Enttäuschung umgehen mussten, dass es am Ende weder große Gastgeschenke gab und die Schnitzeljagd mit Schokogoldtalern belohnt wurde und nicht mit eine großen Schatztruhe voll Stickern, Malstiften, Spängchen, Süßigkeiten und was sie sonst für gewöhnlich dort fanden. Als ich abends dann mit meinem Mann die vergangen Tage Revue passieren ließ, kam mir die Frage nach der "Dankbarkeit" in den Sinn.

So oft heißt es: "sei doch froh, dass du gesund bist", "sei froh, dass du alles hast", "sei froh…anderen geht es viel schlechter". Aber ist Dankbarkeit nur die Abwesenheit von Krankheit oder Mangel? Ist der Kern von Dankbarkeit nicht die christliche Tugendlehre? Nach dem ich diesen Geburtstagsmarathon hinter mir hatte, sage ich JA, das ist das Wesen der Dankbarkeit. Tugendhaft zu leben gibt uns die Freiheit uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zum Beispiel darauf, dass alle Freunde und die Familie gekommen sind, um mit einem zu feiern. Geschenke sind liebevoll ausgesucht, aber sind vielleicht nur sekundär. Es sich schmecken lassen auf einem Geburtstag ist toll, aber schmeckt der eine Berliner, den meine Tochter von Herzen gerne isst, nicht am allerbesten und der zweite, dritte und vierte macht dann irgendwann nur noch Bauchschmerzen?

Ich finde es schwer, meinen Kindern Dankbarkeit, Demut oder die anderen Tugenden zu vermitteln, da sie immer wieder mit Event, Maßlosigkeit und Erwartungsdruck konfrontiert werden. Ich fühle oft, dass ich regelrecht dagegen halten muss, Tage ohne Programm, ohne Termine und ohne Süßkram einführen muss, damit die Kinder wieder zu sich selbst finden und sich darauf besinnen, was wirklich wichtig ist im Leben.

Abends verändere ich nach erlebnisreichen Tagen oft das Gebet, welches wir für gewöhnlich beten und danke für all die schönen Ereignisse, für das leckere Essen und dafür, dass wir uns und unsere Familie haben. Meine Töchter finden das sehr schön, kuscheln dann immer sehr viel und scheinen zu empfinden, was ich dann empfinde: Tiefe Dankbarkeit für alles, dass wir haben, erleben und genießen dürfen.

 

Elisabeth Illig bloggt jeden Montag bei CNA Deutsch. Sie ist Mutter von bald drei Kindern. Die gelernte Erzieherin hat ihr Theologiestudium bewußt unterbrochen, um sich um die Familie zu kümmern.  Eine Übersicht ihrer Beiträge finden Sie hier.

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