23 Dezember, 2020 / 2:00 PM
Ich möchte ihr für die Leser den schönen Namen "Maria" geben. Sie ist seit vielen Jahren tot und war vor über zwei Jahrzehnten eine meiner Krankenkommunikandinnen. Als ich damals als junger Kaplan zum ersten Mal zu Maria kam, war ich geschockt. Ihr Zuhause war das oberste "Stockwerk" eines ältlichen Hauses mit mehreren Parteien. Nie habe ich einen der anderen Bewohner zu Gesicht bekommen. Maria gehörte zu einer Generation, in der sich so Vieles als überhaupt nicht selbstverständlich und sehr zerbrechlich erwiesen hatte: ein Dach über dem Kopf, ein Ofen, ausreichend Kleidung, Essen und Trinken, Gesundheitsversorgung. All das aber hatte sie nun im Alter – und damit war sie vollkommen zufrieden. Was mir in Erinnerung geblieben ist, ist ihre stete Beteuerung, wie gut es ihr doch gehe und dass sie jetzt so viel Zeit zum Beten hätte. Sie zählte auch auf, für wen sie alles betet: ihre Familie, den Herrn Stadtpfarrer, mich und manche mehr. Das Gebet war so einfach und ehrlich wie sie: ein Rosenkranz nach dem anderen. Natürlich kam zwischendurch auch eine Träne, aber dabei hat sie sich nicht aufgehalten.
Nicht jeder und jede von uns aber ist eine solche "Maria". Anders aufgewachsen, erleben wir Verlust viel stärker als angstmachend. Man muss nicht alt sein, um auf die Unterstützung anderer angewiesen zu sein, auf eine Mitfahrgelegenheit etwa. Und man muss nicht alleine leben, um sich einsam und unverstanden zu fühlen. Allerdings birgt die Summe dieser beiden Faktoren – Alter und Alleinsein – gerade in unserer Gesellschaft eine große Gefahr: denn hinter sehr vielen Türen wohnen vereinsamte, ältere Menschen.
Glaube ist systemrelevant
Es ist bei uns, mit Blick auf "Maria" aber noch ein anderer Faktor dazu- bzw. abhandengekommen. Neulich war ich in sicherem Corona-Abstand Nikolaus. Im goldenen Buch fand sich mehr als einmal die Mahnung, doch nun endlich alleine ins Bett zu gehen und einzuschlafen. Ich fühlte mich an Rituale meiner Kindheit, an die spaltbreit geöffnete Tür erinnert, wie schwer es war, die Mutter und den Tag loszulassen und der Nacht und dem Alleinsein zu vertrauen. Man kann so etwas lernen – aber man kann es sicher auch wieder verlernen, wenn sich die Nacht nicht als freundlich erwiesen und einem niemand eine Gute Nacht gewünscht hat. Zum Ritual meiner Mutter gehörte freilich auch das Kreuz mit dem Weihwasser und das Gebet. Wo es einen ein Leben lang begleitet, verlässt es einen auch nicht in schweren Zeiten. Den Kindern hat der Nikolaus gesagt, sie seien ja gar nicht allein, weil Gott da bliebe. Deswegen sollten sie im Einschlafen beten. Dieses Ritual kann leider später abhandenkommen – und mit ihm die Sicherheit. Corona hat nicht unbedingt so Vieles anders, aber dafür Vieles sichtbar gemacht, was in unserer Gesellschaft so läuft: dass Auflaufen zur Höchstform in übersehenen Nischen, die auf einmal lebenswichtig waren, das Auslaufen des überhitzten Motors derer, die sich als – pardon: aufgebläht durch unseren Luxus – wichtig gemacht hatten und jetzt auf einmal am Tropf hingen. Es hat gezeigt, wo es einen Mangel gibt und wo ein Zuviel. Und der Impfstoff kommt hoffentlich so früh, dass viele Menschenleben gerettet werden, aber auch so spät, dass nicht alles einfach wieder so wird, wie es war, denn es war nicht alles gut! Corona hat uns auch gezeigt, wie stärkend der Glaube sein kann und wie "systemrelevant" für immer noch viele von uns. Es hat uns aber auch gezeigt, wie viele, tolle Menschen es, egal ob Glaubende oder nicht, in unserem Land gibt. Heimlieferdienste, Telefonketten, die Wichtigkeit der guten alten Post und – wo es nur ging – ein Schub an digitalen Möglichkeiten der Begegnung.
350 Briefe
Freilich haben auch diese gelungenen Beispiele nicht Alle erreichen können. Ein Artikel im SZ Magazin hat mich neulich berührt. Eine Reporterin berichtet darin, wie aus dem spontanen Angebot, einer gehbehinderten, alten Frau die Einkaufstasche mit nach Hause zu tragen, eine fassungslos machende Begegnung mit abgrundtiefer Einsamkeit wird. Nur niemand zur Last fallen, erst recht nicht der eigenen Tochter, die es doch selbst so schwer hat. Übrig bleibt ein verzweifelter Mensch. Es ist für mich immer noch ein schwieriges Rätsel, wie man diesen Menschen wirklich helfen kann. In meiner Gemeinde habe ich anlässlich des Weihnachtsfeste heuer zum zweiten mal einen Brief an alle über 70jährigen geschrieben, von denen ich laut meiner Meldekartei vermuten muss, dass sie alleine leben. Es sind 350 Briefe geworden. Darin auch das Angebot der Telefonseelsorge, aber auch, dass man sich bei uns im Pfarrhof melden dürfe. An Ostern habe ich ungefähr fünf Rückmeldungen bekommen, alle haben sich bedankt und sich gefreut. Das war‘s. Neulich hat mir eine andere Dame aus der Gemeinde erzählt, sie wüsste von diesem Brief, den eine Bekannte bekommen hätte. Sie hätte sich sehr gefreut, darüber gesprochen und lese ihn sich immer wieder durch.
Kleine Zeichen setzen
Es sind oft die kleinen Zeichen: eine Karte, eine Kerze, ein Postwurf, das Holen oder Mitbringen z.B. des Pfarrbriefs. Wem das Gespräch zu anstrengend ist – das kann ich durchaus verstehen – der kann durch solche Zeichen Nähe herstellen. Stumme Zeugen der Verlässlichkeit: ich weiß um Dich, Du bist nicht vergessen. Gerade den Alten war der Kirchgang oft sehr wichtig, nun trauen Sie ihn sich aber nicht mehr zu, erst recht nicht in Corona-Zeiten. Die nachfolgende Generation muss sich diese Verbundenheit zur Gemeinde und zur Kirche nicht vollkommen zu eigen machen. Es würde schon genügen, wenn man aus Respekt vor dem Anderen diesem solche Zugänge ermöglicht. Etwa einmal nachfrägt, ob denn religiöse Fernseh- oder Radioprogramme empfangen werden können oder man bei der Sendersuche behilflich sein kann. Wenn die Rente Spielraum lässt, dann ist es nicht verwerflich gerade als Kind oder Jugendlicher, etwas für "Taschengeld" zu machen, z.B. mit dem Laptop zur Nachbarin wandern und ihr Interessantes im Internet zu zeigen, was sie im Fernseher nicht sieht. Das freilich ist eher ein Tipp für die Zeit nach Corona. Mit klugen Vorsichtsmaßnahmen kann das aber auch jetzt gehen, vor allem, wenn es sich um ein Gottesdienstangebot aus der eigenen, vertrauten Kirche handelt! Bei mancher kleinen Rente kann man als einkaufender Nachbar auch mal etwas kreativ werden und aus der bescheidenen Einkaufsliste so viel Sonderangebote zusammenstellen, dass es für das gleiche Geld für ein "Extra" reicht, das den Nachbarn nicht beschämt. Denn wenn auch Stolz eine Sünde ist, so ist der Stolz ärmerer Menschen doch oft das Einzige, was ihnen in ihren eigenen Augen noch Würde verleiht – da sollte man umsichtig sein.
Das Weihnachtstelefon des Bistums
Heuer feiern wir Weihnachten im Corona-Jahr. Für manche machen dabei Lockdown und Ausgangssperre keinen großen Unterschied mehr. Sie sind immer allein, nicht nur in diesem Jahr. Aber dieses Jahr hilft uns, sie besser zu sehen, weil es auch vielen von uns heuer so gehen wird. Neben der ganz praktischen nachbar- oder bekanntschaftlichen Hilfe und den kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit wird das Angebot, jemanden zum Reden zu haben, zusätzlich zur Telefonseelsorge in diesem Jahr auch noch durch das Projekt "Weihnachtstelefon" verstärkt. Und wie der Nikolaus die Kinder erinnere ich daran: Sie SIND nicht allein und müssen sich nicht einsam fühlen. Gott ist da. Unverbrüchlich. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn sie beten. Es muss nicht, kann aber ein Rosenkranz sein. Für die anderen Einsamen, für die Pflegenden, für die Verängstigten, für sich selber, für mich … und mit einem Vergelt’s Gott in die Ewigkeit für "Maria" und ihre Schwestern und Brüder im Geiste.
Pfarrer Kruschina ist Seelsorger des Bistums Regensburg in Roding (Landkreis Cham) in der bayerischen Oberpfalz.
Das Weihnachtstelefon: Wer sich sorgt, wer jemanden zum Reden braucht, wer sich ärgert oder wer enttäuscht ist, der ist herzlich eingeladen, zum Telefon zu greifen. Wir freuen sich auf Ihren Anruf! Alle Telefonnummern und Kontaktpersonen findet man unter www.bistum-regensburg.de
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