08 Januar, 2021 / 9:16 AM
Im Jahr 2007 schlossen die Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik ihre fünfte Generalversammlung mit einem Schlussdokument ab, das durch die brasilianische Stadt, in der sie sich trafen auch als Aparecida-Dokument bekannt wurde. Zu seinen Hauptautoren gehörte Kardinal Jorge Mario Bergoglio SJ, damals Erzbischof von Buenos Aires. Dank der Bemühungen des zukünftigen Papstes und anderer bleibt das Aparecida-Dokument eine beispielhafte Beschreibung dessen, was es bedeutet, die Kirche der Neuevangelisierung zu sein – und das nicht nur in Lateinamerika. Absatz 436 des Aparecida-Dokuments ist heute in den Vereinigten Staaten von besonderem Interesse:
Wir hoffen, dass die Gesetzgeber, die Regierenden und die Fachleute im Gesundheitswesen – im Bewusstsein der Würde des menschlichen Lebens und der Verwurzelung der Familie in unseren Völkern – die Familie vor den abscheulichen Verbrechen der Abtreibung und der Euthanasie bewahren und schützen. Dafür tragen sie die Verantwortung. […] Wir müssen uns der "eucharistischen Kohärenz" verpflichtet [fühlen], das heißt uns bewusst sein, dass die heilige Kommunion nicht empfangen kann, wer zugleich in Tat und Wort gegen die Gebote verstößt, insbesondere wenn man [Abgeordnete, Regierungschefs, Gesundheitsexperten] sich für Abtreibung, Euthanasie und andere schwere Verbrechen gegen das Leben und die Familie ausspricht.
Diese unmissverständliche Lehre der Bischöfe Lateinamerikas war keine Überraschung – und sollte es auch nicht sein. Drei Jahre zuvor, im Jahr 2004, schickte Kardinal Joseph Ratzinger einen Brief an die Bischöfe der Vereinigten Staaten, in dem er eine Erklärung des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte aus dem Jahr 2002 zitierte und bekräftigte, worin die Frage der "eucharistischen Kohärenz" mit ausdrücklichem Bezug auf katholische Amtsträger angesprochen wurde:
Was die schwere Sünde der Abtreibung oder der Euthanasie betrifft, so soll der Seelsorger, wenn die formale Kooperation einer Person offensichtlich wird (im Fall eines katholischen Politikers verstanden als sein beharrliches Eintreten und Abstimmen für liberale Abtreibungs- und Euthanasiegesetze), mit ihr zusammentreffen, sie über die Lehre der Kirche belehren, sie darüber informieren, dass sie nicht zur Heiligen Kommunion schreiten soll, bis sie die objektive Situation der Sünde beseitigt hat, und sie warnen, dass ihr sonst die Eucharistie verweigert wird.
Wenn "diese Vorsichtsmaßnahmen nicht gegriffen haben oder nicht möglich waren" und die betreffende Person dennoch hartnäckig zum Empfang der heiligen Eucharistie schreitet, "muss der Kommunionspender die Austeilung der Heiligen Kommunion verweigern" […] Diese Entscheidung ist, streng genommen, keine Sanktion oder Strafe. Der Kommunionspender urteilt auch nicht über die subjektive Schuld der Person, sondern reagiert auf die öffentliche Unwürdigkeit der Person, die Heilige Kommunion aufgrund einer objektiven Situation der Sünde zu empfangen.
Ebenfalls im Jahr 2002 gab die Glaubenskongregation eine Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben heraus (unterzeichnet von Kardinal Ratzinger und veröffentlicht im Auftrag von Papst Johannes Paul II.), die das alte und gefestigte kirchliche Verständnis der "eucharistischen Kohärenz" um ein Plädoyer für die "moralische Verpflichtung" katholischer Amtsträger "zu einem kohärenten Leben" ergänzte:
Es wäre ein Irrtum, die richtige Autonomie, die sich die Katholiken in der Politik zu eigen machen müssen, mit der Forderung nach einem Prinzip zu verwechseln, das von der Moral- und Soziallehre der Kirche absieht. […] Aber sie beinhaltet für die gläubigen Laien gewiss eine moralische Verpflichtung zu einem kohärenten Leben, die ihrem Gewissen innewohnt, welches einzig und unteilbar ist. [Wie das Dekret über das Laienapostolat des Zweiten Vatikanischen Konzils lehrte:] "Sie können keine Parallelexistenz führen: auf der einen Seite das ‚spirituelle‘ Leben mit seinen Werten und Forderungen und auf der anderen Seite das ‚welthafte‘ Leben, das heißt das Familienleben, das Leben in der Arbeit, in den sozialen Beziehungen, im politischen Engagement und in der Kultur."
Wie das Aparecida-Dokument und die Lehrmäßige Note der Glaubenskongregation zeigen, ist die Sorge um die eucharistische Kohärenz der Kirche in Situationen, in denen katholische Amtsträger schweren Übeln zuarbeiten und dennoch auf dem Empfang der heiligen Kommunion bestehen, nicht die persönliche Sorge einiger amerikanischer Bischöfe: Es ist die Sorge der Weltkirche, weil es um die Integrität der sakramentalen Quellen des Lebens der Kirche geht. Das Aparecida-Dokument und die Glaubenskongregation unterstreichen, dass Bischöfe, welche die eucharistische Integrität und Kohärenz der Kirche aufrechterhalten, nicht politisch oder strafend handeln: Diese Bischöfe rufen die gesamte Kirche zu einer tieferen Bekehrung auf, indem sie eine angemessene, ja notwendige Sorge um das geistliche Wohl und die moralische Kohärenz derer zum Ausdruck bringen, die unter ihrer pastoralen Obhut stehen. Sowohl das Aparecida-Dokument als auch die Glaubenskongregation betonen, dass das moralische Gewicht von Fragen des Lebensschutzes einzigartig ist, sodass Appelle an die Positionen katholischer Amtsträger zu anderen umstrittenen Themen der Politik (z. B. Klimawandel, Einwanderungspolitik) nicht gerechtfertigt sind.
Aufrichtige Katholiken – öffentliche Amtsträger und einfache Bürger – werden diese Dinge verstehen und sich in den kommenden herausfordernden Monaten entsprechend verhalten.
George Weigel ist ein US-amerikanischer Publizist und Distinguished Senior Fellow beim Ethics and Public Policy Center. In deutscher Sprache erschien zuletzt sein Buch "Der nächste Papst".
Das englische Original wurde am 6. Januar 2021 von Denver Catholic veröffentlicht. Die Übersetzung wurde von Martin Bürger vorgenommen, mit freundlicher Genehmigung von Denver Catholic.
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.
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