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"Zeichen der Zeit": Eine kirchenpolitische Trumpfkarte?

Kirche in Eis und Schnee
Kardinal Paul Josef Cordes wurde am 5. September 1934 im Sauerland geboren, 1961 zum Priester geweiht, 1976 folgte die Bischofsweihe. Papst Johannes Paul II. berief ihn 1980 zum Vizepräsidenten des Päpstlichen Rates für die Laien. Als Präsident des päpstlichen Hilfswerks "Cor Unum" koordinierte er weltweit die kirchliche Hilfe für Katastrophenopfer und gibt entscheidende Impulse für die Antrittsenzyklika von Papst Benedikt XVI. 2007 folgte die Aufnahme in das Kardinalskollegium. Im März 2013 nahm Kardinal Cordes am Konklave zum Nachfolger von Benedikt XVI. teil, aus dem Papst Franziskus hervorging.

„Der Atheismus gehört zu Deutschland; daran zu zweifeln, wäre töricht“, hieß es vor einiger Zeit in „Deutschlandfunk Kultur“ (3. 8. 2016).  Ohne Frage erleben wir heute, daß unser Christsein nicht länger von der herrschenden Lebensform getragen wird. Eher gilt, daß Gesellschaft und Medien Gottes Offenbarung ins Abseits drängen. Das Leben auch der Katholiken hat neue Parameter bekommen. Dennoch will die Kirche sich selbst nicht durch Schweigen überflüssig machen. Sie äußert sich deshalb zu Irdisch-Weltlichem und fügt sich dem gängigen Informationsfluss ein. Und da kommt ihr ein Vers Jesu wie gerufen: „Das Aussehen des Himmels könnt ihr beurteilen, die Zeichen der Zeit aber nicht“ (Mt 16,3).  Katecheten und geweihte Hirten zitieren ihn zunehmend. Und zwar zu Recht; denn Jesu Wort wie sein Leben bezeugen: Er stand „mitten in der Welt“.   

Jesus – nicht monadenhaft verschlossen   

 Offensichtlich erreichten und beeinflußten öffentliche Herausforderungen den Herrn. Er ist keine innen-gesteuerte Monade und geht seinen Alltagsweg keineswegs grüblerisch verschlossen.  Die „Vögel des Himmels“ und die „Lilien des Feldes“ sprechen ihn an (Mt 6,26 ff.). Im Mord des Pilatus an den Galiläern - Gräueltaten der römischen Besatzungsmacht - und in dem verheerenden Einsturz des Turmes von Siloe (Lk 13, 1ff.) sieht er nicht belanglose Daten, die Historiker interessieren mögen, sondern Appelle für alle Zeitgenossen. Er beachtet politische Faktoren und reagiert auf sie. Zwei Vorfälle seien noch genannt. Herodes Antipas ließ Johannes den Täufer hinrichten (Mk 6,17ff.), weil er dessen großen Anklang fürchtete. Daraufhin verläßt Jesus, dem auch so viele Menschen folgen, den Herrschaftsbereich des Herodes; er sucht mit seinen Jüngern Betsaida auf, „einen einsamen Ort“ auf (Mk 6,31.45) im Gebiet des gutmütigen Tetrarchen Philippus. Gegen Ende seines irdischen Lebens flüchtet der Herr– wie der Evangelist Johannes schreibt – in einen abgelegenen Winkel, nach Ephräm (Joh 11,54); die jerusalemer Behörde hatte seine Denunziation gefordert: Wer seinen Aufenthaltsort kenne, müsse ihn anzeigen (Joh 11,57).  

Sogar die Dimension seiner Sendung durch den Vater ist nicht allein durch mystische Intuition bestimmt. Er läßt sie sich auch von erlebten Vorkommnissen geben.  Auf den um seinen kranken Knecht bittenden heidnische Hauptmann reagiert er zunächst abschlägig: „Soll ich etwa kommen und ihn heilen?“ Als dieser aber dann seinen Glauben an Jesus und dessen Macht bekundet, erkennt er sich gesendet über Israels Grenzen hinaus: „Viele werden vom Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen…(Mt 8, 5-13). Ein andermal lernt er im Heidenlande von „Tyrus und Sidon“ durch eine kanaanänische Frau: Reste vom Brote des Lebens sollen auch hungrige Nicht-Juden sättigen. Und nimmt wahr: er ist nicht nur „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt (Mt 15, 21-28; Mk 7,24-30). 

So bleibt Jesu Gott-Sein offen für die äußeren Ereignisse von Leben und Geschichte. Sie haben Gewicht für seine Orientierung. Und es ist nur zu berechtigt, daß sich heilige Männer und Frauen nach dieser Lernbereitschaft Jesu ausrichteten und nachdrücklich des himmlischen Vaters Hand suchten.   Etwa der Heilige Ignatius von Loyola, großer Gründer des Jesuiten-Ordens. In seiner Autobiographie, dem „Bericht des Pilgers“, erwähnt er solche göttliche Pädagogik: Gott habe mit ihm verfahren „wie ein Schullehrer ein Kind beim Unterricht behandelt“ (27). Dann zählt er die verschiedenen Orte auf, an denen er neue Erkenntnisse gewann: Manresa (durch eine Krankheit; 32), eine Schiffsfahrt (Valencia nach Italien; 33), die Wallfahrt nach Jerusalem (35). Er folgert, daß ihn äußere Ereignisse zur »Vertrautheit mit Gott« brachten. Und seinem Orden trug er auf, »Gott unseren Herrn zu suchen in allen Dingen«. 

„Zeichen der Zeit“ – als Irrweg

Das Wort Jesu von den „Zeichen der Zeit“ kann kirchlicher Verkündigung freilich nur Jesu Autorität eintragen, wenn es Jesu Sinn treu bleibt; andernfalls wird es zu Wortgeplänkel und Augenwischerei mißbraucht.  Im Evangelium hat es eine klar umrissene Bedeutung.

Im Mund des Herrn ist die Wendung „Zeichen der Zeit“ ein Warnruf gegen Pharisäer und Sadduzäer.  Jesus selbst will als „Zeichen“ anerkannt werden. Der Vater im Himmel, nicht der gesellschaftliche Mainstream weist den Weg. Auffälligkeiten an der „Peripherie“ sind lediglich ein Anstoß, nach Gott im Himmel zu fragen. Sie sind zu lesen im neuen Licht Jesu Christi und seiner vorgegebenen Botschaft. So erst erhalten sie Gewicht für Glaube und Pastoral. „Zeichen der Zeit“ sind demnach nicht einfach „aufzuspüren“, sondern zu entziffern. Ohne die Lupe einer geistlichen Prüfung können alle „Zeichen“ täuschen und irreführen.  Es bedarf solider Deutungskriterien, die der Glaube bereithält. Andernfalls wird Jesu Weisung zur Falle.  So drängt sich eine Nachfrage auf, zumal die Diskussion des deutschen „Synodalen Prozesses“ immer wieder um solche „Zeichen der Zeit“ kreist. Ist es zutreffend, pastorale Herausforderungen und Auffälligkeiten so zu etikettieren? Sind sie die Signale, das menschliche Herz dem himmlischen Vater zuzuwenden?

Leider nein! Schlimmer noch: Gott erscheint der synodalen Wegsuche überhaupt als verzichtbar. Generelle Scham wegen des Skandals der Pädophilie verbot schon, ihn zu benennen. Sein Verschweigen angesichts selbst der Pandemie wird zum stummen Schrei. Die „Jenseits-Welt“ (Thomas Luckmann) ist abgeschafft; warum auf ihre Heilswahrheiten setzen?  Hans Urs von Balthasar hatte es in seiner „Cordula“ sarkastisch formuliert: „Wir sind seit neuestem weltzugewandt; einzelne haben sich ernsthaft zur Welt bekehrt.“ So schrumpft kirchliches Wollen auf öffentlich einleuchtende Initiativen. Was dort ankommt, wird als „Zeichen der Zeit“ sakrosankt: Priesterweihe der Frau, Zweitehe von Geschiedenen, Segnung homosexueller Paare, demokratische Bestellung zu sakramentaler Vollmacht. Es herrscht die „Weisheit dieser Welt – die Torheit vor Gott“ (1 Kor 3,19).  

„Zeichen der Zeit“ wurde den Protagonisten des „Synodalen Prozesses“ zur Trumpfkarte. Welt-Rubriken bestimmen somit die avisierten Ziele. Die Osnabrücker Dogmatikerin Eckholt fordert den Zugang der Frauen zum kirchlichen Weiheamt; „die Zeichen der Zeit“ seien „entsprechend zu interpretieren.“ (12.11. 2017). Nach Bischof Bätzing (Limburg) genügt die Intuition von Kirchengliedern zum Festlegen von Katholizität; und er sei ganz „auf der Seite der Visionäre.“ (28.05.2020). Bischof Wilmer (Hildesheim) fragt: "Wer bestimmt eigentlich, was katholisch ist?" Dann versichert er, dies Recht liege keineswegs nur bei der Hierarchie (4. 4. 2019). Kardinal Marx spielt in einer Predigt an auf unsern trendigen Ausdruck – um zu konstatieren, die Zeichen des Reiches Gottes wären „im Licht dieser Welt“ zu finden (2. 3. 2020). Die Horizonte von Diesseits und Jenseits sollen zur Deckung gebracht werden. Fatale Verwässerung der Transzendenz.

 

 

Jesu Kompass - das Gebet

 

Gibt es ein Gegenmittel? Wer zeigt es auf?

            Die Kirche lehrt uns, daß der ewige Sohn des ewigen Vaters Mensch wurde wie wir. Was verhalf ihm dazu, daß sein Alltag dennoch durchsichtig auf den himmlischen Vater hin blieb? Es war nicht zuletzt das Gebet, das trotz seiner Inkarnation ins Menschsein seine totale Gottverwiesenheit existentiell wachgehalten hat. Besonders der Evangelist Lukas stellt es heraus. Zum Beginn seiner öffentlichen Sendung heißt es: „Während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar herab“ (Lk 3,21). Ehe er den Petrus nach seiner Identität fragt, liest man: „Er zog sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten“ (5,16). Vor der Wahl der Apostel: „In diesen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten“ (Lk 6,12). Als er verklärt wird: „…und er stieg mit ihnen auf einen Berg um zu beten“ (Lk 9,28). Zur Übermittlung des Herrengebets: „… als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: ‚Herr, lehre uns beten‘“ (Lk 11,1).

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Christus tritt betend immer neu ein in den Horizont von Wollen und Urteilen des Vaters - erkennend und fühlend. Diese unverbrüchliche Verankerung in seinem göttlichen Ursprung macht ihn zum „Weg“ (Joh 14,6). Wohl kommt das „Mein-Vater“ ihm allein zu; doch im „Vaterunser“ bezieht er die Jünger-Gemeinde in sein Vaterverhältnis ein. Nie hat jemand maßgebender bekundet, daß wir auf Gott verwiesen sind, als es der Sohn des ewigen Vaters lebte und lehrte. Solche Begrenzung der Aktivität gerät jedoch keineswegs zum Schaden apostolischer Wirksamkeit. Muß es nicht verblüffen, daß der eklatant gescheiterte Jesus inzwischen „auf der ganzen Welt verkündet wird“ (Mt 24,14)? Auch die Effizienz des schon genannten Ignatius schwächelte nicht wegen der langen Intervalle, die er an Gott verlor. Der Heilige war fraglos ein Prototyp missionarischer Umtriebigkeit. Aber er versichert auch, daß er Gott täglich „sieben Stunden“ für das Gebet reservierte (Nr. 26).        

Erst die betende Immanenz in Gott dämpft im Glaubenden den Geist der Welt; Gebet öffnet uns für die Hermeneutik Gottes.

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