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Wilhelm von St. Thierry: "Das Weiden der Herde ist ein Beweis von Liebe!"

Hirte mit Herde (Illustration)

Der Herr hat Petrus gefragt: "Liebst du mich?" Petrus gab zur Antwort: "Du weißt, dass ich dich liebe". Und der Herr sagte zu ihm: "Weide meine Schafe!" [Joh 21,17] Dreimal sagt er das, damit erkennbar wird, dass "durch die dreifache Bindung dieses Wort nicht leichtfertig in den Wind geschlagen" werden darf. "Denn das Weiden der Herde ist ein Beweis von Liebe."

Die Bedeutung von "weiden" ist verschieden. Einmal kann es das Weiden von Tieren auf einer "Weide" bedeuten, das Suchen von Nahrung, das Fressen, grasen. Andererseits deutet "weiden" auf einen schönen Anblick hin, an dem sich ein Mensch erfreut. Schließlich kann weiden" auch eine Perversion der vorgenannten Bedeutungen sein. Denn es gibt auch das "sich weiden" am Unglück eines anderen, oder das sich in hämischer, ja sadistischer Weise ergötzen an dem, was anderen Menschen unangenehm ist. Auch und gerade dann, wenn man für den Zustand, unter dem andere leiden, verantwortlich ist.

Der Zisterzienserabt Wilhelm von St. Thierry (1075/1080-1148) hat in Bezug des Jesuswortes "Weide meine Schafe!", das nichts anderes bedeuten soll, als die Herde stets auf frische, saftige Weiden zu führen, damit es ihnen gut gehe und sie zu Gott wohlgefälligen Geschöpfen gedeihen, eine Meditation verfasst, die nachfolgend zur eigenen Erbauung angeboten wird.  

Wilhelm von St. Thierry überlegt mit seinem Herzen, dass ein guter Hirte, im Gegensatz zu einem gedungenen Schafhüter, sein Leben für seine Herde opfert [Joh 10,11-12]. Gute Hirten können es nicht ertragen, wenn sie den ihnen von ihrem Herrn anvertrauten Schafen, nicht beistehen können. Dies ist für sie kaum zu ertragen. Nach der Regel des hl. Benedikt, des Vaters des westlichen Mönchtums, soll der Obere, nämlich der Hirte, wissen, "dass er mehr helfen als herrschen soll" (RB, 64.8).

Niemals darf die Faszination des Lustgewinns das Gute in den Schatten stellen. Hirten dürfen nicht so herunterkommen und so brutal und gemein werden, dass sie den Geschöpfen des Herrn gegenüber den notwendigen Respekt verweigern. Wilhelm von St. Thierry:

Heute müssen die Hirten der Kirche nicht nur geistig, sondern auch körperlieh auf der Höhe sein, um die Herde des Herrn zu weiden. An die geistigen Fähigkeiten stellt Gott hohe Anforderungen: 

"Sucht zuerst Gottes Herrschaft und fragt nach dem, was Gott von euch fordert", sagt Jesus [Mt 6,33]. Über die leiblichen Bedürfnisse spricht er dann erst hinterher so nebenbei, wenn er den Jüngern versichert: "… dann gibt es Kleidung und Nahrung geschenkt dazu!" 

Doch wer hört das heute noch jemanden predigen? 

Wer kann es ertragen, wenn jemand danach handelt? 

Wer übt Nachsicht gegenüber Alten? 

Wer hat Verständnis für einen Kranken? 

Heute verlangt man von den Lehrern der Kirche, dass sie geschäftstüchtig und mit allen Wassern gewaschen sind, dass sie mit der Zeit gehen und Lebensart haben. 

Wer geradeheraus ist, wird ausgelacht, wer fromm ist, wird verachtet, Demut ist aus der Mode gekommen. Und welcher Kirchenmann wäre damit zufrieden, einfach nur ein guter Seelsorger zu sein, wenn er nicht auch außerhalb der Kirche glänzen könnte? 

Ach, wenn doch die Leute erkennen würden, dass sich diese Art von Glanz schnell abnutzt! Deshalb: Weh uns, denn wir haben schlimme Fehler gemacht! 

Mit Ägypten haben wir uns gemein gemacht und mit Assyrien, wie der Prophet sagt, um unseren Bauch zu füllen [Threni 5,6]. 

Gegen die Warnung des Apostels [1 Kor 7,23] haben wir uns von Räubern, Wucherern und all den anderen zwielichtigen Gestalten, die in dieser Welt herumlaufen, abhängig gemacht. 

Was kann ein Kirchenmann, der nicht solchen Leuten nach dem Munde redet, der sich nicht haargenau dem Zeitgeist anpasst, der nicht seinen Vorgesetzten zu schmeicheln und seine Untergebenen zu ködern versucht, indem er ihnen viel vormacht und noch mehr hinter ihrem Rücken tut, heute noch ausrichten? 

Was soll er machen? Wo soll er hin?

Denn tatsächlich sind heute die paar Freunde, die man sich durch Speichelleckerei macht, eher unzuverlässig und nicht von Dauer. 

Die Feinde, die man sich dadurch schafft, dass man die Wahrheit sagt, bekämpfen einen dagegen dauerhaft, offen und grausam, doch vielleicht könnte man auf diese Weise einstweilen sein Leben für seine Geschwister einsetzen, so wie die Ziegenhaarteppiche vor der Tür die Unbilden der Witterung ertragen müssen, damit das Haus Gottes im Inneren schön sauber bleiben kann. [Ex 26,7.11] 

Allerdings hätten wir es gern, dass das Schwert nicht wirklich unser Herz durchbohrt! [Lk 2,35] 

Denn durch die Faszination des Lustgewinns und die ständig auf uns einstürmenden Verführungen sind wir abgestumpft. Unsere Herzen sind hart und gefühllos geworden, wir sind wie Ephraim, die junge Kuh, der nur das Dreschen in der Tretmühle Freude macht. [Hos 10,11] 

So kreisen wir um den eigenen Bauchnabel und widmen uns geradezu inbrünstig den Alltagsdingen. 

Aus purer Gewohnheit machen uns die Dinge, die wir tun müssen, Freude, auch wenn wir eigentlich darunter leiden oder uns dafür schämen müssten, weil sie so schrecklich sind, und manche Leute drängen sich sogar danach, obwohl sie es gar nicht müssten.

Heute beschwert sich niemand wie Martha, dass er allein für die anderen sorgen muss [Lk 10,39f]. Im Gegenteil, heutzutage ertönt Marias Murren laut durchs Haus, weil sie dem Herrn zu Füßen sitzen darf! 

Deswegen sind unser Leib und unsere Seele in Gefahr. Denn durch langen Dienst in der Tretmühle sind unsere körperlichen und seelischen Kräfte aufgerieben. 

Wir glauben, dass uns der Lohn aus den großzügigen Händen des Königs schon sicher ist, dass er uns unser Alter schon als Verdienst anrechnet und uns sogar mehr schenkt, als wir selbst verdient zu haben glauben.

 […] Jakob muss endlich für sein eigenes Haus sorgen können und wenigstens, wenn er alt und schwach wird, in das Haus seines Vaters zurückkehren dürfen.




Aus: Wilhelm von Saint-Thierry. XI. Meditation, 16-20; veröffentlich unter anderem in Wilhelm von Saint-Thierry, Meditationen und Gebete, Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Insel Verlag 2001. 

 

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