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Neu im Videoblog: Christenverfolgung im Libanon?

Professor Fadi Daou im Gespräch mit Christian Peschken (li.)

In seinem Mittagsbriefing im August 2021 sagte Stephane Dujarric, Sprecher des U.N. Generalsekretärs, dass jeder dritte Libanese unter Ernährungsunsicherheit leidet, und fast 4 Millionen Menschen seien von fehlendem Zugang zu sauberem Wasser bedroht. Er fuhr fort: “Nach Angaben des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, hier einige Zahlen von Ende 2020. Neunzehn Prozent der libanesischen Staatsangehörigen gaben damals an ihre Haupteinkommensquelle verloren zu haben.  Im März 2021 waren 78 Prozent der Bevölkerung, d. h. drei Millionen Männer, Frauen und Kinder, Schätzungen zufolge von Armut betroffen. Schätzungsweise 36 % der libanesischen Bevölkerung, d. h. 1,38 Millionen Menschen, sind von extremer Armut betroffen.”  

Der Libanon, ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, dessen Landesname von den im Winter schneebedeckten, weißen Gipfeln des Libanon Gebirges abgeleitet wird, steckt in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Lage verschlimmert sich weiter - ohne Aussicht auf Besserung. 

Im November vergangenen Jahres traf sich Papst Franziskus mit dem libanesischen Premierminister Najib Mikati im Vatikan. Während eines 20-minütigen Gesprächs unter vier Augen sagte der Papst, dass es sich lohnt, für die Rettung des krisengeschüttelten Landes zu kämpfen und das er das Land unterstützen will.  

In diesem Videoblog werden wir etwas über die Situation der Christen im Libanon lernen.      

Prof. Fadi Daou ist Vorsitzender und Gründer der libanesischen Adyan Foundation, wo er auch wissenschaftlicher Leiter des Programms 'Führungskräfte für interreligiöse Verständigung' ist.  Er ist Professor für interreligiösen Dialog und Geopolitik der Religion an der Heilig-Geist-Universität in Kaslik, in der Nähe von Beirut. Trägerin der Universität ist die   Maronitisch-Katholische Kirche. Herr Fadi Daou ist Verfasser vieler Bücher und Artikel und er ist auch Priester, verwendet aber seinen religiösen Titel nur dann, wenn er offiziell im Namen der Kirche handelt.

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Ich sprach mit ihm in seiner Eigenschaft als Professor und Gründer der Adyan-Stiftung, und seiner Tätigkeit an der Universität Genf als Senior Researcher für interreligiöse Beziehungen.

Dreiunddreißig Prozent der Libanesen sind Christen, darunter 1 Prozent Evangelikale. Im Land gibt es verschiedene islamische Extremistengruppen, darunter die Hisbollah im Süden und in anderen Regionen mit schiitischer Bevölkerungsmehrheit. Findet Ihrer Meinung nach einer Christenverfolgung im Libanon statt? 

Prof. Fadi Daou, Vorsitzender und Gründer der Adyan Stiftung, Maronitisch- katholischer Priester: “Lassen Sie mich zunächst erwähnen, dass das Christentum im Libanon vielfältig ist. Es gibt 12 offiziell anerkannte Religionsgemeinschaften oder verschiedene Konfessionen. Dazu gehören verschiedene katholische Kirchen, östliche Kirchen, orthodoxe Kirchen und Evangelikale. Dies ist also ein Aspekt, der an sich schon wichtig ist, denke ich. 

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Christen, die noch im Libanon leben heute etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Es waren mehr, aber ein Teil von ihnen ist ausgewandert und lebt im Ausland. Diejenigen jedoch, die im Libanon leben und fast ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, sind über das ganze Land verteilt. Es gibt einige Regionen, in denen die Christen stärker vertreten sind, aber sie sind fast überall im Lande präsent. Dies ist also eine Tatsache, die man berücksichtigen muss, weil das bedeutet, dass die Christen in ihrem täglichen Leben mit anderen Gemeinschaften und insbesondere mit der muslimischen Gemeinschaft koexistieren. 

Sie erwähnten die schiitische Gemeinschaft und insbesondere die Hisbollah, die im Süden des Libanon, aber auch im Nordosten, in der Region, die wir Bekaa nennen, sehr stark vertreten ist.

Sie sprachen von Verfolgung von Christen. Ich möchte es so ausdrücken: Ich glaube nicht, dass es eine Verfolgung im eigentlichen Sinne gibt, also dass Christen deshalb verfolgt werden, weil sie Christen sind. 

Ich würde sagen, es ist eher eine Herausforderung oder ein Problem, das mit dem globalen Ziel einer Bewegung verbunden ist, einer islamistischen Bewegung wie die Hisbollah oder andere islamistische Bewegungen, die im Libanon oder in jedem anderen Land einen islamischen Staat errichten wollen. 

Das Hauptziel der Hisbollah, deren offizieller Name “islamische Revolution im Libanon” ist, besteht darin, die islamische Revolution umzusetzen, die im Iran ihren Ursprung und ihren Ausgangspunkt hat, und deren erklärtes Ziel es ist, sich über die ganzen Regionen und ich würde sagen, in gewisser Weise über die ganze Welt zu verbreiten Die Umsetzung dieses Ziels ist die 'islamische Revolution' in Form eines schiitischen islamischen Staates im Libanon.

Dieses langfristige Ziel der Hisbollah bedroht die Existenz eines Zivilstaates, eines Staates, in dem die Christen anerkannt werden und gleichberechtigt mit allen anderen Bürgern des Landes leben können. 

Dies ist also eine andere Form der, wenn man es so nennen will 'Verfolgung.'  Es ist eine Herausforderung. Es ist eine Gefahr. Es ist ein Risiko für die christliche Präsenz, denn die Christen werden definitiv nicht akzeptieren, unter einem islamischen Regime zu leben, denn die Auswirkungen der Präsenz einer Miliz wie der Hisbollah mit einem islamischen Ziel wie der islamischen Revolution auf die christliche Bevölkerung sind sehr schlimm und problematisch. Das ist einer der Gründe, warum die Christen das Land verlassen. Deshalb machen sie heute nur fast ein Drittel der Bevölkerung aus, während sie vor einigen Jahrzehnten noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachten.”

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Im Libanon gibt es einen besorgniserregenden Trend zu sektiererischer und diskriminierender Sprache in den Medien und in den sozialen Medien, einschließlich Hassreden und Zensur.  In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Im Oktober vergangenen Jahres die älteste englischsprachige Zeitung des Libanon, der Daily Star, nach fast 70 Jahren seine Pforten schloss, bzw. schließen musste. 

Der ehemalige Chefredakteur schrieb dazu: "Ihre Geschichte (also die des Daily Star) ist die Geschichte des Libanon, der in weniger als 15 Jahren von einem vielversprechenden Land zu einem scheiternden Staat wurde.- Ende Zitat -

Professor Daou, wer kontrolliert, wer steht hinter den Massenmedien und deren einseitig ausgerichteten Berichterstattung in Ihrem Land?     

Fadi Daou: “wie Sie ja wissen, haben wir im Libanon einen Bürgerkrieg erlebt. Ein Teil dieses Bürgerkriegs war auch ein Konflikt zwischen verschiedenen religiösen Gruppierungen und Gemeinschaften. 

Und leider sind diejenigen, die während des Krieges die Milizen geleitet haben, heute Teil der politischen Führung.  

Ich denke also, dass das, was wir heute in den Massenmedien und vor allem auch in den sozialen Medien sehen, nicht ein Produkt der Medien ist, sondern die sehr gespaltene Agenda zwischen den verschiedenen Gruppierungen widerspiegelt. Die Politiker nutzen das sektiererische Narrativ, um ihre politische Macht zu sichern und auszubauen. Ich persönlich glaube also, dass das, was wir heute zum Beispiel in libanesischen Fernsehsendern sehen, wovon die meisten im direkten Besitz verschiedener politischer Parteien sind oder von ihnen finanziert werden, das Ausnutzen der sektiererischen Zerstrittenheit zur Stärkung ihren eigenen Präsenz ist.  Dieses Narrativ spiegeln die Medien also in der Tat wider. 

Noch problematischer allerdings sind meiner Meinung nach den sozialen Mediä, denn auch dort sehen wir das gleiche polarisierte sektiererische Narrative. Leider bedeutet dies, dass auch die jüngere Generation, die die sozialen Medien nutzt, von diesem sektiererischen Spaltungs-Narrativ beeinflusst wird und es über die sozialen Medien weiterverbreitet. 

Ich glaube daher, dass das Problem strukturell und politisch ist, aufgrund der sektiererischen Politik im Libanon und aufgrund des politischen Establishments, das seinen Einfluss und das polarisierte sektiererische Narrativ nutzt, um seine Vormachtstellung in dem jeweiligen Gesellschaftsbereich zu sichern.” 

Papst Franziskus empfing im vergangenen Jahr ihren Premierminister Mikati im Vatikan.  Glauben Sie, dass der Papst zur Brüderlichkeit zwischen Menschen verschiedener Religionen, Politik und Lebensstile beitragen kann, zum Beispiel im Libanon?       

Prof. Fadi Daou: “Ich glaube, dass Papst Franziskus wirklich dazu beiträgt, diese Freundschaft und die brüderlichen Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen den Religionen zu fördern. Ich denke, diese Charta, diese Erklärung über die menschliche Brüderlichkeit, die er gemeinsam mit dem Imam von Al-Azhar unterzeichnet hat, und dann auch während seines Besuchs im Irak, als er Großayatollah Ali al-Sistani traf, einen der prominentesten Vertreter der Schiiten im Islam. 

Ich denke, er vermittelt damit nicht nur das Bild, sondern gleichzeitig die Botschaft, dass unsere religiösen Unterschiede kein Hindernis für ein wirklich brüderliches Zusammenleben sind. Und ich denke, er tut dies auch, indem er darauf hinweist, dass wir für einige globale und gemeinsame Herausforderungen mitverantwortlich sind, wie z.B. die Herausforderungen im Bereich der Umwelt oder der Gesundheit oder andere Herausforderungen, z.B. Frieden. Papst Franziskus ist also definitiv ein echter Botschafter der interreligiösen Brüderlichkeit.” 

Ist es nicht traurig, aber ist es nicht so, dass die gleichen Probleme, die Sie in Ihrer Region, im Libanon erleben, in gewisser Weise die gleichen sind, die wir hier in Europa erleben?

Prof. Fadi Daou: Ich stimme Ihnen vollkommen zu.  Ich meine, Fundamentalismus, Extremismus, Polarisierung, Sektierertum, Populismus und Identitätspolitik - all diese Probleme sind heute leider fast überall auf der Welt präsent. Und deshalb wird meine Organisation ihre Arbeit in der MENA-Region schrittweise auf Europa und den Mittelmeerraum ausweiten, wo wir eine engere Zusammenarbeit zwischen den südlichen Ländern, den Ländern des Nahen Ostens und den europäischen Ländern und sogar darüber hinaus erreichen können.”

In der nächsten UN-BLOG Ausgabe sprechen wir mit Fadi Daou über die Rolle des interreligiösen Dialogs, besonders mit den Muslimen im Nahen Osten und auch in Europa.    

Papst Franziskus hatte im letzten Jahr bereits angekündigt, dass er den Libanon besuchen möchte, sobald die Regierung gebildet wurde. Das geschah zwischenzeitlich. 

Ein Beamter des Vatikans bestätigte, dass der Besuch des Papstes in diesem Jahr stattfinden könnte.

Zum Schluss, nach all den düsteren Informationen über den Libanon, möchten wir nicht vergessen auch die schönen, landschaftlichen und kulinarischen Seiten des Landes zu erwähnen. Ein Land das auf rund 10.000 Quadratkilometern, sowohl schneebedeckte Berge im Hinterland als auch traumhafte Strände am Mittelmeer zu bieten hat und darauf hofft eines Tages wieder ein internationales Reiseziel zu sein.  

In einem Zeitungsartikel las ich neulich, dass ein Lebensmittelhändler im Libanon die Situation treffend zusammenfassen. Er meinte: “ Wir warten darauf, dass Gott uns hilft". 

Adyan Stiftung: 

Das Ziel der Adyan Stiftung ist es, die Fähigkeiten junger Menschen zu fördern, insbesondere in der MENA-Region und in der Region Naher Osten-Nordafrika. Und deshalb sind einige der Kursmaterialien in arabischer Sprache. 

Kürzlich hat die Stiftung jedoch erkannt, dass die gleichen Herausforderungen, mit denen sie in der Region konfrontiert ist, eine breitere Perspektive und die Einbeziehung von Menschen auch aus anderen Regionen der Welt erfordern. Daher ist man nun dabei im Mittelmeerraum, in Europa und sogar auf eine globale Ebene ausgerichtet zu sein, um einen breit gestreuten Interessentenkreis zu erreichen.  

Originalinterview aufgenommen in Genf von Kameramann Andriy Ryndych |

Deutsche Sprecher Jan Terstiege und Matthias Ubert | Redaktion, deutsche Übersetzung, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für EWTN .TV 

Hinweis: Dieser Blogpost – sein Inhalt sowie die darin geäußerten Ansichten – sind kein Beitrag der Redaktion von CNA Deutsch. Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln zudem nur die Ansichten der jeweiligen Autoren wider. Die Redaktion von CNA Deutsch macht sich diese nicht zu eigen.   

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