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"Das ist Heute": Der existenzielle Ernst des Letzten Abendmahls und der Eucharistie

Ecce Homo: Quentin Massys schuf diese Darstellung des Christus mit der Dornenkrone
Der Schweizer Kardinal Kurt Koch ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Der ehemalige Bischof von Basel hat über 60 Bücher und Schriften verfasst, darunter Mut des Glaubens (1979) und Eucharistie (2005).

Mit der Feier der Messe vom Letzten Abendmahl treten wir ein in das Triduum Paschale, in die Feier der drei Österlichen Tage vom Leiden und Sterben, von der Grabesruhe und der Auferstehung des Herrn. Wir sind eingeladen, diese Feier mit tiefem Ernst und Ehrfurcht zu vollziehen. Dazu werden wir im eucharistischen Hochgebet mit einem kleinen Einschub ermutigt, der nur am Hohen Donnerstag vorgesehen ist: „Am Abend, bevor er für unser Heil und das Heil aller Menschen das Leiden auf sich nahm – das ist heute -, nahm er das Brot in seine heiligen und ehrwürdigen Hände“. Mit diesem beim ersten Hinhören unscheinbaren Einschub „Das ist heute“ wird etwas sehr Bedeutsames zum Ausdruck gebracht. Es wird uns nahe gelegt, dass wir nicht einfach ein Geschehen in der Vergangenheit feiern und uns an dieses erinnern. Der Einschub besagt vielmehr: Das, was Jesus beim Letzten Abendmahl vollzogen hat, ist von so bleibender Bedeutung, dass es nie einfach vergangen sein kann. Es ist vielmehr für immer Gegenwart geworden. Jedes Mal, wenn wir Eucharistie feiern, sind wir gleichsam im Jerusalemer Abendmahlssaal mit dabei, in dem Jesus vor seinem Leiden und Sterben mit seinen Jüngern das Abschiedsmahl gehalten, als Testament das Geschenk der Eucharistie uns hinterlassen und uns so seine bleibende Gegenwart in den eucharistischen Elementen von Brot und Wein geschenkt hat. Dieses Geschehen im Abendmahlssaal wird auch und in besonderer Weise heute Abend Gegenwart, so dass wir mit Freude bekennen dürfen: „Das ist heute“. Nur so feiern wir die Messe vom Letzten Abendmahl ihrem Anspruch gemäss. Denn wir vollziehen damit den Auftrag, den Jesus uns hinterlassen hat: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“.

Dreifaches Gedenken am Hohen Donnerstag

Im Zeichen solchen Gedenkens steht der Hohe Donnerstag vor allem in einer dreifachen Hinsicht. Die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Exodus berichtet von der Feier des Paschamahles, das an die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei Ägyptens erinnert, und sie mündet in die Weisung ein: „Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest für den Herrn. Für eure kommenden Generationen wird es eine ewige Satzung sein, das Fest zu feiern“ (Ex 12, 14). Dieses Pascha feiern die Juden aber nicht bloss als ein Geschehen in der Vergangenheit. Indem sie sich daran erinnern, wird es zugleich Gegenwart, wie es in der Pascha-Haggada ausdrücklich heisst: „Jeder, der jetzt mitfeiert, betrachte sich als einer, der jetzt aus Ägypten auszieht.“ Indem die Juden das Seder-Mahl feiern, ziehen sie selbst aus Ägypten aus. Da die Juden das nächtliche Abschiedsmahl vor der Flucht aus Ägypten und deshalb in Eile vollziehen mussten, gibt es bei den sefardischen Juden sogar den Ritus, dass der Hausvater aufsteht, das ungesäuerte Brot nimmt, es in ein Tuch wickelt, es über seine Schultern schlägt und am Platz zu gehen beginnt. So macht der Hausvater anschaulich, dass die Juden jetzt wie die Väter aus Ägypten ausziehen und dass sie nicht bloss in ihrer Erinnerung befreit worden sind, sondern jetzt von Gott befreit werden. Auch hier gilt: „Das ist heute.“

Auch wir Christen können nicht anders Liturgie feiern, wie uns in der neutestamentlichen Lesung aus dem Ersten Korintherbrief vor Augen geführt wird. In ihr lässt Paulus Jesus im Blick auf das Geschehen des Letzten Abendmahles die Worte sprechen: „Das ist mein Leib. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ – „Tut dies, sooft ihr aus dem Kelch trinkt, zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11, 25). Auch wir Christen erinnern uns, wenn wir Eucharistie feiern, nicht einfach an das, was Jesus beim Letzten Abendmahl getan hat. Indem wir es feiern, wird es vielmehr selbst Gegenwart. Von dieser eucharistischen Grundüberzeugung legt der Kirchenvater Hieronymus ein sehr schönes Zeugnis ab. Er berichtet von der alten Tradition, dass die Gläubigen in der Osternacht nicht vor Mitternacht aus dem Gottesdienst entlassen werden sollten. Da die Christen in dieser Heiligen Nacht die Wiederkunft des Herrn erwarten, ist in der frühen Kirche die Osternachtfeier erst nach Mitternacht abgeschlossen worden. Wenn dann freilich die Mitternacht vorüber gegangen war und die Wiederkunft des Herrn nicht eingetreten ist, sind sie keineswegs enttäuscht nach Hause gegangen. Sie haben vielmehr die Eucharistie gefeiert, weil sie überzeugt gewesen sind, dass sich in der Eucharistie die Wiederkunft des Herrn bereits ereignet und der Herr in den eucharistischen Gestalten von Brot und Wein verborgen gegenwärtig ist: „Das ist heute“. 

Wenn wir Eucharistie feiern, vollziehen wir den Auftrag, den Jesus uns hinterlassen hat: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Einen ähnlich lautenden Auftrag gibt Jesus im heutigen Evangelium den Jüngern, nachdem er ihnen die Füsse gewaschen hat: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13. 15). Auch diese Zeichenhandlung der Fusswaschung ist nicht einfach Vergangenheit, sondern vollzieht sich immer wieder neu, wenn Jesus in der Eucharistie uns Anteil an seinem göttlichen Leben schenkt. Diese Zusage wird auch uns heute nahe gelegt mit der Antwort Jesu auf den Einwurf des Petrus, der sich von Jesus nicht die Füsse waschen lassen will: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ Zur Gemeinschaft mit Jesus Christus fähig werden wir Christen auch heute nur, wenn wir – ausnahmslos wir alle – uns die demütige Geste Jesu gefallen lassen, dass er uns die Füsse wäscht. Denn wir alle sind unrein und müssen uns von Ihm waschen lassen, weil wir nur so Anteil an Ihm erhalten können. Auch hier gilt: „Dies ist heute“. Wohl aus diesem Grund hat der heilige Ambrosius von Mailand die Fusswaschung sogar als sündentilgenden sakramentalen Akt verstanden.

Das Letzte Abendmahl und das Kreuz Jesu

Mit diesem Vorzeichen eines dreifachen Gedenkens feiern wir Christen heute den Hohen Donnerstag. In der Glaubensüberzeugung, dass das vergangene Heilsgeschehen heute in der Liturgie Gegenwart wird, sind wir gut beraten, noch genauer danach zu fragen, was damals wirklich geschehen ist. Der heilige Paulus schenkt uns in seinem Brief an die Korinther einen deutlichen Hinweis. Gemäss seiner Überlieferung spricht Jesus beim Letzten Abendmahl nicht nur von seinem Leib, sondern bewusst von „meinem Leib für euch“, und im Blick auf den Kelch vom „Neuen Bund in meinem Blut“. Jesus vollzieht damit sein Letztes Abendmahl im Vorblick auf den Karfreitag, und er vollzieht damit sein Sterben am Kreuz voraus und verwandelt es von innen her in ein Geschehen der liebenden Selbsthingabe. Denn an sich und von aussen betrachtet ist der Kreuzestod Jesu ein rein profanes Ereignis, nämlich die Hinrichtung eines Menschen in der grausamsten der von Menschen ersonnenen Arten. Die Heilige Schrift aber ist überzeugt, dass Jesus diese erbärmliche Gewalttat der Menschen gegen ihn in einen Akt der Hingabe für uns Menschen und damit in einen Akt der Liebe umgewandelt hat, und zwar von innen her. 

Von daher vermögen wir den tiefen Ernst des Letzten Abendmahls Jesu am Hohen Donnerstag nur wahrzunehmen, wenn wir es in der unlösbaren Einheit mit seinem Kreuzestod am Karfreitag sehen. Denn „ohne Kreuz bliebe die Eucharistie blosses Ritual; ohne Eucharistie wäre das Kreuz bloss ein grausames profanes Ereignis.“ Ohne den Tod am Kreuz wären die Abendmahlsworte letztlich eine Währung ohne existenzielle Deckung; und umgekehrt wäre ohne die Abendmahlsworte Jesu sein Kreuzestod eine blosse Hinrichtung ohne jeden erkennbaren Sinn. Sinn gewinnt der Kreuzestod Jesu vielmehr nur aufgrund der Wandlung des Todes in Liebe von innen her, wie der heilige Ephräm der Syrer tiefsinnig bemerkt hat: „Beim Abendmahl opferte Jesus sich selbst, am Kreuz wurde er von anderen geopfert.“ Ephräm hat damit zum Ausdruck gebracht, dass niemand Jesus sein Leben nehmen konnte, ohne dass er es selbst aus freiem Willen hingegeben hätte: Er, der die Macht hatte, es hinzugeben und es wieder zu nehmen.

Indem Jesus bei seinem Letzten Abendmahl seinen Tod am Kreuz in geistiger Weise vorweg vollzogen hat, hat er eine völlig neue Form von Gottesdienst in die Welt gebracht. Ihm konnte es nicht genügen, Gott irgendwelche materiellen Opfer darzubringen, Tieropfer und Sachopfer, wie dies im Tempel zu Jerusalem der Fall gewesen ist. Denn Jesus hat am Kreuz nicht irgendetwas, sondern sich selbst dargebracht. Das neue und wahre Opfer Jesu Christi besteht in der Selbstgabe des Sohnes an seinen Vater für uns Menschen. An die Stelle der Tieropfer im Tempel ist die neue Liturgie getreten, die Christus am Kreuz seinem Vater dargebracht hat und die im Sich-Selbst-Verschenken für uns Menschen besteht. In dieser neuen Liturgie gibt es keinen Ersatz durch Tieropfer mehr, sondern nur Einsatz des eigenen Lebens. 

Tod-Ernst der Feier der Eucharistie

Weil Jesus seinen Tod am Kreuz als Akt der Liebe und der Hingabe vollzogen hat, ist sein Leib das wahre „Manna“, unsere Nahrung zum ewigen Leben geworden. Denn im Geheimnis der Eucharistie, das bereits über dem Kreuz Jesu aufleuchtet, wird Christus selbst uns zur Speise, nämlich als Liebe. In der Feier der Eucharistie dürfen wir die liebende Hingabe Jesu Christi am Kreuz immer wieder neu und besonders intensiv erfahren. In der frühen Kirche wurde die Eucharistie deshalb einfach „Liebe“ – „Agape“ genannt.

In der heiligen Eucharistie ist die Hingabe Jesu am Kreuz bleibende Gegenwart. Damit ist der Anspruch an uns verbunden, dass wir die unlösbare Verbindung von Kreuzestod und Eucharistie im Leben des Glaubens ernst nehmen. Auch im Blick auf diese Verbindung gilt der Einschub „Das ist heute“. Ihm können wir nur gerecht werden, wenn wir bei der Darbringung der eucharistischen Gabe nicht aussen vor bleiben, sondern uns in diese Darbringung persönlich hinein nehmen lassen und selbst eine lebendige Opfergabe werden, wofür wir im eucharistischen Hochgebet, besonders explizit im vierten, beten: „Sieh her auf die Opfergabe, die du selber deiner Kirche bereitet hast, und gib, dass alle, die Anteil erhalten an dem einen Brot und dem einen Kelch, ein Leib werden im Heiligen Geist, eine lebendige Opfergabe in Christus, zum Lob deiner Herrlichkeit.“ Wie Maria unter dem Kreuz Jesu zu seinem Lebensopfer Ja sagen musste und Ja gesagt hat, so können auch wir in Dankbarkeit für das eucharistische Sich-Verströmen Jesu Christi nur von Herzen zustimmen und in die Hingabe-Bewegung Jesu Christi einstimmen.

Im eucharistischen Hochgebet bitten wir Gott, dass das Kreuzesopfer Jesu Christi, das wir in der Eucharistie sakramental feiern, uns nicht einfach äusserlich und uns gleichsam nur gegenüber anwesend sei und uns nicht bloss als objektives Opfer erscheine, das wir dann anschauen könnten wie die dinglichen Opfer in früheren Zeiten und in anderen Religionen. Dann freilich hätten wir den Überstieg ins Christliche noch nicht vollzogen. Wir bitten Gott aber, dass die Hingabe Jesu Christi an seinen Vater für uns Menschen, die wir in der Eucharistie feiern, uns ganz innerlich werde und dass wir selbst hineingenommen werden in die Bewegung der liebenden Hingabe. Oder mit anderen Worten: Wir bitten Gott, dass wir in der Eucharistie in unserem Herzen so tief verwandelt werden, dass wir selbst wie Christus und mit ihm Eucharistie werden.

Was von jedem Getauften zu sagen ist, gilt erst recht vom Priester, der in der Feier der Eucharistie beauftragt und bevollmächtigt ist, mit dem Ich Christi zu sprechen. Er ist in besonderer Weise verpflichtet, Jesus Christus immer besser gleich gestaltet und selbst immer mehr ein eucharistischer Mensch zu werden.

Wie Jesus seine Eucharistie zutiefst am Kreuz vollzogen hat, so soll auch unser ganzes Leben ein eucharistisches Hochgebet werden, indem wir uns als lebendige Hostien den Menschen zur Verfügung stellen. Diesen Ernst ruft uns die Messe vom Letzten Abendmahl in Erinnerung. Sie macht uns bewusst, dass die Eucharistie nicht einfach ein Ritual ist, mit dem wir menschliche Gemeinschaft feiern und Brot miteinander teilen. Die Eucharistie hat Jesus vielmehr das Leben gekostet. Sie ist Tod-ernst: für Jesus, aber auch für uns. 

Diesen Tod-Ernst bringen wir am heutigen Abend auch zum Ausdruck mit dem altehrwürdigen Brauch, dass wir nach der Feier der Eucharistie Jesus Christus in der Gestalt des Allerheiligsten hinausbegleiten in die Nacht des Leidens und Sterbens und mit Ihm Wache halten. Wir vollziehen dies in der Gewissheit des Glaubens, dass Christus auch in der dunklen Nacht, wie wir sie in der heutigen Welt wieder erleben müssen, uns nie verlässt, sondern in seiner eucharistischen Liebe bei uns bleibt. Auch diesbezüglich dürfen wir den Einschub im eucharistischen Hochgebet mit Freude bekennen: „Das ist heute“.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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