15 Mai, 2022 / 8:00 PM
Nicht an einer bestimmten Uniform, einem Abzeichen oder einer Ehrennadel, nicht an einer Urkunde oder einem Zeugnis, nicht an der Zahl der Kirchtürme oder an der Dicke der Bankkonten sollen uns die Menschen erkennen, sondern am „neuen Gebot“: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (vgl. Joh 15, 9. 17). Wir wissen, wie nötig die Welt Liebe braucht. Ohne Liebe trocknet sie aus, erkaltet sie. Manche sprechen heute von einer „Eiszeit der Herzen“. Menschen, die sich ausleben, spüren, dass sie im Tiefsten des Herzens, leer sind. Manche große Liebe hat sich im Lauf der Zeit „zerlebt“. Dem gilt es entgegenzusteuern.
Liebe ist Gabe und Aufgabe, Indikativ und Imperativ zugleich. Bevor wir als Christen etwas tun, dürfen wir uns lieben lassen. Christen sind Menschen, die sich von der unermesslichen Liebe Gottes beschenken lassen. In Jesus Christus ist diese Liebe erfahrbar geworden.
Das ist die entscheidende, prägende Gewissheit für unsere christliche Existenz. Wir hätten keine Antwort auf die ersten und letzten Fragen nach dem Woher und Wohin unseres Lebens, wenn an uns nicht die göttliche Liebeserklärung ergangen wäre: „Ich habe dich beim Namen gerufen. Du gehörst mir“ (Jes 43,1). Wir wären von gähnender Leere umgeben, wenn wir durch Jesu Tod und Auferstehung nicht hineingezogen wären in die Bewegung Gottes auf uns Menschen zu. Durch Gottes Liebe sind wir, was wir sind. Die angemessene Haltung von Geliebten ist dankbare Freude. Wir sagen Gott Dank für die Liebe, die ein Leben schenkt, das nicht heute blüht und morgen verwelkt, sondern bleibt und durchträgt: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15, 11).
Die Mission der Kirche besteht darin, Kunde von dieser gottmenschlichen Liebesbeziehung zu geben. An der Liebe soll man uns erkennen. Es ist eine üble Gewohnheit geworden, bei dem Wort „Kirche“ an Krise und Kritik zu denken statt an Dankbarkeit und Freude. Kritik hat ihr Recht und ihre Zeit. Wir brauchen sie, damit die Kirche nicht erstarrt, weder träge wird noch bequem. Aber die Kritik(sucht) darf die Glaubensfreude nicht ersticken. Und vor allem sollte jede Kritik, bevor sie geäußert wird, erst durch das Sieb der Liebe gehen. Das bedeutet: Nur der hat das Recht zur Kritik, wenn er es aus Liebe zur Kirche tut, wenn seine Kritik getragen ist vom Fühlen mit der Kirche (sentire cum Ecclesia). Aufbauende Kritik kann nur von Menschen kommen, denen die Kirche am Herzen liegt. Für mich ist es tröstlich, dass bei allen Problemen, die wir vielleicht mit „Gottes Bodenpersonal“ haben, die Grundfeste des Glaubens unverrückbar steht: Gott hat uns geliebt. Sein Liebesversprechen war kein vorlauter Versprecher. Er macht keinen Rückzieher – trotz allem.
Aus dem Indikativ wird ein Imperativ: Das Geschenk der Liebe will sich mitteilen. Aus Geliebten werden Liebende. „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Joh 15, 14). Unsere erste Visitenkarte ist weniger ein komplettes Glaubensbekenntnis, so wichtig es sein mag. Mindestens so glaubwürdig wie das Lippenbekenntnis ist das Lebenszeugnis. Viele warten darauf, dass Christen ihr Herz zum Pfand geben und mit ihrer Freude anstecken. Wie viele leben einfach in den Tag hinein oder werden bloß noch gelebt! Zu müden und erschöpften Menschen, die oftmals der Resignation oder Depression erlegen sind, schickt Gott uns heute. Was können sie von uns erwarten? Von uns, die wir so viel – vielleicht manchmal zu viel – von der Liebe reden!
Immanuel Kant hat der Geschichte den Begriff vom „kategorischen Imperativ“ eingeprägt. Doch die Achtung vor jedem Menschen, die der kategorische Imperativ predigt, wird erst dann gelingen, wenn Gott nicht außen vor bleibt. Wahrer Humanismus hat nur Bestand, wenn er das Menschliche in Gott verankert. Dem Imperativ zu lieben geht der kategorische Indikativ voraus: Du bist geliebt von Gott. Amor, ergo sum. Ich bin geliebt, deshalb bin ich.
Das ist unser christliches Erkennungszeichen: Liebe. Die Frucht wahrer Liebe ist Leben. Das bestätigen Frauen und Männer, die ein Kind erwarten und Eltern werden. Am Freitag war in Deutschland ein dunkler Tag: Am Freitag, dem 13., wurde im Bundestag in Berlin eine Weiche gestellt, die in die falsche, ja in eine gefährliche Richtung führt. Zwar ist es noch nicht endgültig beschlossen, doch das Ziel ist klar: Das Werbeverbot für die Abtreibung soll abgeschafft werden. Die Befürworter sehen darin einen weiteren Schritt zur Selbstbestimmung der Frau. Andere begründen es damit, dass die Abtreibung nur eine logische Weiterführung der künstlichen Empfängnisverhütung sei. Doch das ist eine Verharmlosung eines ernsten Sachverhaltes. Manche gehen sogar so weit, dass sie sagen: Die Frau soll selbst entscheiden, ob sie das Kind austragen will oder nicht. Über solche Ideen kann ich nur erschrecken und traurig sein.
Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Leben? Wir nehmen uns die Freiheit, über das Recht zu urteilen, ob ein gezeugter Mensch im Mutterleib leben darf oder nicht. Ein solches Urteil steht uns nicht zu. Mehr noch: Es ist für mich eine Schande, den Menschen dort das Lebensrecht abzusprechen, ihn ums Leben zu bringen, wo er weder Stimme hat noch Schutz: im Mutterleib. Und einer Frau, die sich mit dem Gedanken trägt, das werdende Leben aus ihrem Schoß nehmen zu lassen, darf ich die schüchterne und auch ehrfürchtige Frage stellen: „Sind Sie dadurch wirklich frei, sich selbst zu bestimmen, oder könnte der Druck noch zunehmen, sich das im eigenen Körper wachsende Leben wegmachen zu lassen, wenn es z.B. anderweitig abgelehnt wird vom Vater, vom Freundeskreis, etc. oder wenn es gerade nicht in die Berufsplanung passt?“ Wir müssen es klar benennen: Abtreibung ist keine Schönheitsoperation, Abtreibung nimmt einem Menschen dort das Leben, wo er abhängig und wehrlos ist. Wenn wir damit politisch gegen den Trend schwimmen und derzeit nicht mehrheitsfähig sind, gebe ich die Hoffnung nicht auf: Machen wir den Mund auf für das menschliche Leben – ob ungeboren oder todgeweiht! Und beten wir treu und beharrlich, dass die „Kultur des Lebens“ am Ende doch siegt. Es lebe das Leben! VIVAT VITA!
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