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Jesus schenkt Licht, denn er ist das Licht

Heilige Schrift

[Lesungen HIER]

Liebe Schwestern und Brüder,

durch das heutige Evangelium können wir ein bisschen lernen, wie wir das ganze Neue Testament gut und vielleicht besser verstehen können. Denn es geht einerseits um die Heilung eines Blinden, eines Menschen, der nicht sehen kann. Und es geht andererseits um die Überwindung einer inneren Blindheit. Oder anders formuliert: Um das Gewinnen eines neuen Lichtes, um eine Einsicht, eine Erleuchtung. Modern sagt man: Wie geht uns ein Licht auf, wie geht uns ein Licht des Glaubens auf?

Zurück zu meiner Ausgangsthese. Ich sagte: Wir lernen durch das heutige Evangelium das ganze Neue Testament richtiger zu lesen. Denn einerseits hat das Evangelium mit wirklicher Geschichte auf dieser Erde zu tun. Die Evangelisten haben nichts erfunden, sondern berichten von Geschehenem. Andererseits verkünden sie eine frohe Botschaft. Evangelium heißt ja „Frohe Botschaft“. Also die Evangelien sind beides: Einerseits Information über Geschehenes, andererseits Botschaft, Botschaft der Freude.

Wenn wir das Neue Testament lesen, kommt vermutlich manchmal die Frage: Ist das wirklich so gewesen? Das gilt vor allem für die Wunder. Wir tun uns vermutlich dann und wann schwer, sie zu glauben. Mit der Aufklärung kam das rationale Denken, der Einsatz menschlicher Vernunft und der Blick in die Geschichte. Unsere Vorfahren haben vor der Aufklärung leichter an Wunder geglaubt. Historisches und naturwissenschaftliches Wissen spielte eine geringere Rolle.

Und nun kommen wir zum Johannesevangelium und zum heutigen Tagesevangelium. Johannes schreibt um einige Jahre später als die anderen Evangelisten und bringt mehr theologische Aussagen in das geschichtliche Tun von Jesus. Johannes macht den Sprung von der physischen Heilung eines blinden Menschen zu einer tief menschlichen Erleuchtung. Die These des Johannes: Jesus bringt Licht in das Leben des Menschen. Er schenkt den Menschen ein neues Sehen, ein neues tieferes Erkennen. Und er wünscht den Pharisäern, dass sie ihre Blindheit überwinden.

Ist dieses neue Sehen, dieses tiefere Erkennen auch uns möglich? Gelingt es uns durch die Begegnung mit Jesus in der Heiligen Schrift zu einer tieferen Erkenntnis, zu einer Art Erleuchtung zu kommen? Ich glaube „Ja!“. Aber dazu brauchen wir Zeit und Ruhe. Moderne Christen pflegen am Abend jeden Tages eine Rückschau auf den Tag. Wir fragen uns: Was habe ich erlebt, getan, wodurch wurde ich überrascht, geärgert, erfreut? Was ist auf mich zugekommen? Und da gehen uns manchmal die Augen auf. Und wir erkennen dabei Ereignisse, die wir ohne stille Rückschau übersehen oder vergessen hätten. Es gibt sicher in unserem Leben viele Ereignisse, die uns ärgern, die wir nicht verstehen. Wenn wir uns aber die Zeit nehmen, in Ruhe zurückzuschauen, wird uns manchmal aufgehen, wozu dies oder jenes nützlich war, worüber wir uns geärgert haben.

Und wenn wir an das Lesen des Neuen Testamentes denken, dann haben wir vielleicht oft den Eindruck, dass wir vieles nicht verstehen, dass es uns fremd vorkommt. Aber je länger wir uns immer wieder in Jesu Worte und Taten vertiefen, umso eher können uns manche Worte und Taten Jesu einleuchten. Es werden uns vielleicht die Augen aufgehen.

Ich denke an ein ganz besonderes Jesuswort: „Was ihr dem oder jenem Menschen in Not getan habt, das habt ihr mir getan.“ Gelingt es uns dann und wann, in einem armen Bettler Jesus zu sehen? Natürlich fragen wir uns zunächst, warum ein Mensch Flaschen sammelt, warum er am Straßenrand sitzt und auf den Karton geschrieben hat, er habe Hunger. Spontan denken wir: Eigentlich ist unser Staat doch so organisiert, dass niemand Hunger haben muss oder Flaschen sammeln muss. Es ist verständlich, dass wir skeptisch sind gegen bettelnde Menschen auf der Straße. Aber wenn wir ein wenig nachdenken, warum dieser Mann oder diese Frau in diese Situation gekommen ist, dann könnten wir nachdenklich werden. Und es gab und gibt Menschen gestern und heute, die spontan sehen: Hier sitzt Jesus auf der Straße. Er braucht nicht nur Geld, sondern einen Menschen, der ihm in die Augen schaut. Er braucht Menschen, die ihm ein menschliches Antlitz zurückgeben.

Es gab und gibt bis heute weise Menschen, junge und alte, denen die Augen aufgingen, denen Jesus die Augen aufgemacht hat, denen ein Licht aufging, die durch Jesus ihren Lebensweg fanden, die durch Jesus zu neuen Menschen wurden. Gottlob gab und gibt es auch heute Menschen, die durch den Blick auf Jesus zu neuen Menschen wurden. Jesus hat sie erleuchtet, ihnen ein Licht geschenkt. Jesus sagt sehr erstaunlich: Ich bin das Licht der Welt, ich bin in die Welt gekommen, um Licht in die Welt zu bringen.

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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