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Geistliche Paare: Tobias und Sara aus dem Buch Tobit

Tobias und Sara im Gebet, daneben der Erzengel Raphael (Gemälde von Jan Steen)

Das Alte Testament ist bekanntermaßen keine rein erbauliche Lektüre, doch enthält es Motive, die in die Weltliteratur Eingang gefunden haben. Die Erschaffung der Welt, der Brudermord des Kain, der Untergang von Sodom und Gomorrha, der Turmbau zu Babel oder Noah und seine Arche sind Erzählungen, die unsere Kultur und Denkweise beeinflusst haben. Die Zehn Gebote sind Grundlagen menschlichen Zusammenlebens und regeln das Verhältnis zum Schöpfer. Die Psalmenliedsammlung spricht vom Glück des Lebens mit Gott, aber auch von Verzweiflung, Flucht, Exil, Krankheit und Not als existentielle menschliche Erfahrung, die vertrauensvoll vor den Höchsten gebracht wird. Das Hohelied Salomos vschließlich, auch Lied der Lieder genannt, gilt als die schönste Liebesdichtung der Welt.

Und dann ist da noch das Buch Tobit, das uns Raphael vorstellt, ein äußerst menschenfreundlicher, zugewandter, gütiger Erzengel, wie die anrührende und vielsagende Geschichte aus diesem alttestamentarischen Buch zeigt, der einzigen nicht-apokryphen Quelle, durch die wir mehr von ihm erfahren. Es handelt sich bei dieser so genannten Spätschrift des Alten Testaments um eine regelrechte kleine Abenteuergeschichte rund um Tobit, seinen Sohn Tobias, die unglückliche und verwunschene Sara sowie den großen Heiler und Helferengel Raphael. Die Namen von Vater und Sohn – Tobit und abgeleitet davon Tobias – zeigen bereits die Rahmenhandlung der Geschichte an: Sie bedeuten übersetzt „Gott ist gut“ oder auch „Gott ist gütig“. Tobit, der Vater, lebt in der Gefangenschaft in Ninive als vorbildlicher Jude und „wahrer Israelit“ bundesgemäß, sein Handeln wird von der Tora bestimmt. Er speist die Hungernden und bekleidet die Nackten. Insbesondere nimmt er es unter Gefahr für das eigene Leben auf sich, erschlagene Israeliten, die der Machthaber und Tyrann Sanherib auf dem Feld und den Straßen liegen lässt, heimlich zu begraben und übt damit Gott wohlgefällige Akte der Barmherzigkeit. Doch eines Morgens, er hat an einer Gartenmauer übernachtet, vermutlich, um sein Haus nicht zu verunreinigen nach der Berührung mit einem Toten, fällt ihm Vogelkot in die Augen und er erblindet. Darüber kommt es nicht nur zu Verhöhnungen durch seine Verwandten und Bekannten, sondern auch zu einem Streit mit seiner Frau, die dem jetzt invaliden und pflegebedürftigen Ehemann Vorhaltungen macht – das habe er jetzt von seinen guten Werken, nämlich gar nichts: „Und wo sind jetzt deine Werke der Barmherzigkeit? Wo sind deine gerechten Taten? Es ist doch bekannt, was mit dir los ist!“ Tobit betet betrübt zu Gott, bekennt seine Sünden und bittet, dass er ihn zu sich in die Ewigkeit nehme.

Im nächsten Absatz passiert etwas Unerwartetes: Eingeleitet und verbunden durch die Worte „Am gleichen Tage“ nimmt uns der Verfasser in eine völlig andere Gegend mit – nach Ekbatana, der alten, prächtigen Hauptstadt des Mederreiches im heutigen Iran. Dort lebt das Mädchen Sara, auch sie ist zu Tode betrübt, ja, sie will sich sogar erhängen, denn die Mägde des Hauses haben sie beschimpft und verlacht. Sara ist in der Tat in einer verfluchten Situation: Sieben Männer haben sie gefreit, doch keiner von ihnen überlebte die Ehenacht. Was vielmehr ein Grund zu Grusel und Furcht wäre, ficht die frechen Mägde kaum an – soll Sara doch einfach auch zugrunde gehen mitsamt einer Brut, die womöglich noch aus ihrem Leib entstünde, alle wären besser dran. Da möchte auch Sara sterben und bittet Gott, sie doch zu sich zu nehmen, damit sie keine Spottreden mehr hören muss. Der einzige Gedanke Saras gilt ihrem Vater – sie möchte ihn nicht allein lassen, ist sie doch seine einzige Tochter, wie sollte er über einen solchen Kummer hinwegkommen?

Zwei Menschen, zu Tode verzweifelt, an ein und demselben Tag, durch die Bosheit von ihnen Nahestehenden. Auch Sara beginnt, voller Inbrunst zu Gott dem Herrn zu beten. Wenn sie schon nicht sterben kann, so möge er ihr doch wenigstens beistehen, um sie vor den üblen Beschimpfungen zu bewahren.

Gottes Hilfe besteht in der Entsendung des Engels Raphaels, und dem Verfasser des Buches Tobit ist es ganz besonders wichtig, diese Erhörung anlässlich der Gebete von Tobit und Sara zu erwähnen, in einem Moment, in dem die beiden Bittsteller vor Gott noch gar nicht wissen können, welche Wirkung ihre Worte zeitigen werden und der Verlauf ihres weiteren Lebens sich in dunkler Ferne zu verlieren scheint. Dass alle bis jetzt genannten Personen, zu denen auch Tobits Sohn Tobias gehört, in einer geheimnisvollen Verbindung miteinander stehen, die ihre Leben zum Besseren wenden wird, das lässt sich ohne Weiteres nicht einmal erahnen – wäre da nicht die Erwähnung des rettenden Raphael.

Doch zunächst besinnt sich Tobit auf seine väterlichen Pflichten, ruft seinen Sohn zu sich und trägt ihm eine Art geistliches Testament vor: Eine inspirierende und ermutigende Passage für ein gutes, für ein gelingendes Leben in Demut und Glaubenstreue unter den barmherzigen Augen Gottes. Erst nachdem er ihm sein spirituelles Erbe überreicht hat, erwähnt er das materielle Vermächtnis, das er für ihn und die Familie vorgesehen hat: Es sind zehn Talente Silber – also um die 25 Kilogramm – die er vor Jahren auf einer Geschäftsreise im Land der Meder einem Verwandten zur Aufbewahrung übergeben hatte. Tobias möge sich einen Reisebegleiter suchen und das Vermögen zurück nach Hause bringen. Er trifft bei seiner Suche auf Raphael, der sich nicht als Engel zu erkennen gibt, aber erklärt, den Weg zu kennen und auch bereits bei dem Mann zu Gast gewesen zu sein, der das Geld des Tobit verwaltet. Tobias gegenüber stellt er sich als Asarja, Sohn des Hananja vor, so dass dieser beruhigt ist: „Auch diese beiden hatten sich nicht beirren lassen, als unsere Brüder von Gott abfielen. Bruder, du stammst von guten Vorfahren“ (Tob 5,14). Die beiden vereinbaren eine Entlohnung für Raphael-Asarja und Tobias und der verkleidete Engel ziehen los, wobei sie das Hündchen des Tobias begleitet – ein liebevoll geschildertes Detail, das von Malern wie etwa Rembrandt bezaubernd ins Bild gesetzt worden ist.

Obwohl Tobias, der Sohn Tobits, den Raphael begleitet, aus rein weltlichen Motiven aufbricht, nämlich um den letzten Willen seines Vaters zu erfüllen und deponiertes Geld abzuholen, wurde der Erzengel später schnell zum Schutzpatron vor allem der Pilger und aller Reisenden sowie der Seeleute und der Auswanderer.

In der ersten Reisenacht schlagen sie am Fluss Tigris ihr Lager auf, wo Tobias badet und dabei von einem Fisch angefallen wird. Gemeinsam gelingt es den Gefährten, den Fisch zu fangen und zu töten. Doch als sie ihn ausnehmen – er soll für sie eine reichliche Abendmahlzeit werden, folgt Tobias dem merkwürdigen Rat des als Mitreisenden getarnten Engels: Er solle von den Innereien des Fisches das Herz, die Leber und die Galle nehmen und aufbewahren.

Herz und Leber kommen bald zum Einsatz – Tobias begegnet der von einem Dämon umsessenen Sara, einer „wahren Israelitin“, trotz des Unglücks, das sie befallen hat, und noch dazu das einzige Kind ihrer Eltern Raguel und Edna, eine Erbtochter. Es ist Raphael, der vorgeschlagen hat, in deren Haus – sie sind mittlerweile in Medien angelangt – Rast zu machen, denn es sind weitläufige Verwandte von Tobias und seinem Vater, was nach jüdischem Recht eine Eheschließung sogar nahelegen würde, damit Sara, die Erbtochter, keinen Fremden heiraten muss. Die beiden Reisenden werden herzlich empfangen.

Raphael zeigte an der Stelle, als er Sara als Braut für seinen Weggenossen empfiehlt, einen für angelische Verhältnisse reichlich irdisch-praktischen Sinn, nicht nur, so legt er Tobias dar, würde er eine Erbtochter heiraten und somit das ganze Vermögen bekommen, nein, es kommt noch besser: „Das Mädchen ist klug, beherzt und schön!“ Da kann auch Tobias, nicht nur insgeheim von Angst vor der Hochzeitsnacht erfüllt, nicht Nein sagen. Doch auch Sara ist es nach all dem Leid, das sie erfahren musste, nicht gerade wohl zumute in diesem achten Versuch, den Ehebund mit einem Mann zu schließen. Ihre Mutter aber ermutigt sie und trocknet ihre Tränen – eine jener Stellen, die uns die Erzählung um Tobias, Tobit, Sara und Raphael so leicht zugänglich machen mit all ihren menschlichen Aspekten. „Hab Vertrauen, mein Kind! Nach so viel Leid schenke dir der Herr des Himmels und der Erde endlich Freude. Hab nur Vertrauen, meine Tochter!“ (Tob 7, 17).

Es ist schwierig, sich von diesen Worten nicht anrühren zu lassen – sie scheinen so alt wie die Menschheit zu sein, seit Mütter ihre Töchter in die Ehe geben, seit es so etwas wie eine Brautnacht gibt, die in der Antike als eine besonders heikle Nacht galt, in der gefahrvolle Mächte und Kräfte freigesetzt werden konnten. Diese Auffassung wurde vom Judentum nicht übernommen. Nur oberflächliche Leser, welche die Bibel nicht kennen, können auf die Idee kommen, es handle sich um eine leib- und menschenfeindliche Schrift. Wir haben es im Gegenteil mit der Heiligung von menschlicher Sexualität zu tun, die in einem geschützten und ver-sicherten Rahmen vollzogen wird, weil sie Teil eines Zeichens Gottes ist – Zeichen seiner Gnade und der Mensch in den beiden verschiedenen Persönlichkeiten von Mann und Frau komplementär, ganzheitlich wird, in dem er sich als Teil des liebenden Planes Gottes sehen und erfahren darf.

Da steht ein Räucherbecken mit Glut in der Kammer von Sara und Tobias, das heißt, es wurde nicht der Wärme wegen, die es verstrahlt, aufgestellt, sondern um das bräutliche Gemach mit lieblichem und die Sinne anregendem Duft zu erfüllen, um die Freude der Frischvermählten aneinander zu vermehren. Doch der Moment für die Sinne erfreuendes Räucherwerk ist noch nicht gekommen. Zuerst legt Tobias, wie ihn Raphael geheißen hat, das Herz und die Leber des Fisches darauf. Man kann sich leicht vorstellen, dass dieses Räucherbecken kein besonders angenehmes Aroma verströmte, mit den verbrennenden Fischinnereien darauf. Und tatsächlich, der Dämon, der Sara umsessen hatte, reagierte äußerst empfindlich darauf, nämlich „er floh in den hintersten Winkel Ägyptens“, was auch immer wir uns darunter vorzustellen haben, vermutlich eine unfruchtbare und unwirtliche Gegend, im Gegensatz zum Nildelta – und jetzt schlägt die Stunde Raphaels, der ihn „dort fesselt“ (Tob 8, 3).

Tobias aber schlägt Sara nun vor, gemeinsam zu beten: „Schwester, steh auf, lass uns beten und unseren Herrn bitten, er möge Erbarmen und Rettung über uns walten lassen! Da stand sie auf und beide begannen zu beten und zu flehen, dass ihnen Rettung gewährt werde. Er begann: Gepriesen bist du, Gott unserer Väter, und gepriesen ist dein Name durch alle Zeiten des Menschengeschlechts. Der Himmel und deine ganze Schöpfung sollen dich preisen in alle Ewigkeiten! Du hast Adam geschaffen und schufst ihm eine Hilfe zur Stütze, Eva, seine Frau. Aus beiden stammt das Menschengeschlecht. Du sprachst: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, schaffen wir ihm eine Hilfe, ihm gleich! Und jetzt nehme ich diese meine Schwester nicht in Unzucht zur Frau, sondern in wahrer Liebe. Befiehl, dass wir beide Erbarmen finden und gemeinsam alt werden! Und sie sprachen miteinander: Amen, amen“ (Tob 8,4-8). Als die Schwiegereltern am nächsten Morgen überglücklich entdecken, dass dieser Bräutigam überlebt hat, richten sie ein Fest aus, das 14 Tage lang andauert. Erst danach kann Tobias heimkehren und mit der Galle des Fisches auch die Augenkrankheit seines Vaters heilen.

Es ist viel geschrieben und betrachtet worden angesichts dieses Gebetes in der Brautnacht, welches nicht nur den Schöpfer lobpreist, sondern auch an das erste Menschenpaar erinnert, das anstatt zu beten und zu preisen das erste Gesetz, das JHWH aufgestellt hatte, übertrat. Im Volksbrauch hätte sich aufgrund dieses Gebetes die Tradition der „Tobiasnächte“ entwickelt, wonach die frisch Vermählten drei Nächte im Gebet verharrten, um danach erst die erste eheliche Vereinigung frei von Lust und Freude zu vollziehen – so lautet der Tenor bei manchen Kommentatoren. Tatsächlich empfiehlt das indische Hauptwerk zur Liebeskunst, das Kamasutra – sicherlich nicht gerade der Leib- und Lustfeindlichkeit verdächtig – in seinem Dritten Buch im Zweiten Abschnitt, dass Mann und Frau nach der Verheiratung zunächst drei Tage nebeneinander liegen sollen. Von gemeinsamem Gebet ist dort jedoch nicht die Rede. Gerade deshalb aber ist das Buch Tobit eine solche wertvolle und inspirierende Lektüre, die leider viel zu wenig bekannt ist – im Messlektionar wird man lediglich 75 Verse daraus zu Gehör bekommen.

Gott kann zum Tode verzweifelte Menschen miteinander verbinden und so neues und gelingendes Leben bewirken, möchte uns das Buch Tobit versichern. Auf einer Ehe, die mit dem gemeinsamen Gebet zweier gläubiger Menschen beginnt, liegt ein besonderer Segen. Sein Engel behütet und heilt. Und ein weiterer Grund, dieses Buch wieder einmal zu lesen, ist der herrliche Lobgesang des greisen Tobit im vorletzten Kapitel, der in seiner vollendeten Schönheit als alttestamentarisches Magnifikat gelten kann.

Eine Version dieses Beitrags erschien zuerst im Vatican-Magazin.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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