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Verkauf der Barmherzigkeit? Eine persönliche Bilanz des Heiligen Jubeljahres

"Es ist vielmehr wie bei dem schönen Märchen der Frau Holle."

"Jetzt hatten wir ein Jahr lang die Barmherzigkeit im Sale ", kommentierte neulich ein Bekannter etwas ironisch das Heilige Jubeljahr der Barmherzigkeit, das jetzt endet. Natürlich ist das etwas flapsig daher gesagt, aber dennoch scheint mir da was dran zu sein: So einfach wie dieses Jahr war es für uns Katholiken nie, Gottes Barmherzigkeit anzuzapfen. Eine mehr oder weniger goldene Pforte im Gotteshaus vor Ort oder in der nächstgrößeren Stadt genügte, um einen vollen Ablass zu bekommen.

Im Schaufenster der Kirche 

Ein Jahr vor dem großen Reformationsjubiläum stellte der Papst damit einen Schatz des Katholizismus ins Schaufenster der Kirche, dessen Wucherpreise ehemals neben Tiara und Mönchskutte den Wittenberger Theologen in die Flucht geschlagen hatte: nämlich die Barmherzigkeit Gottes uns nicht nur unsere Fehler zu verzeihen, sondern sogar die Strafen zu erlassen - komplett. Klingt eigentlich ziemlich nett.

Aber wo es um Barmherzigkeit, Straferlass und Verzeihung geht, wird es immer auch ungemütlich, geht es auch immer um Sünde, Fehler und Gericht. Keine allzu anziehenden Begrifflichkeiten. Aber – und das liebe ich wirklich am Christentum – genau daraus, aus den Fehlern schafft Gott für uns den Weg zur Heiligkeit. Denn wo Vergebung ist, muss vorher auch Sünde gewesen sein, wo Strafen erlassen werden, müssen diese auch vorher auferlegt worden sein. Das Christentum ist hier unschlagbar ehrlich und konsequent.

Fehler zu ignorieren, sie nicht als Sünden zu bezeichnen, ja, sie aus Angst vor Urteil und Strafe sogar zu etwas moralisch Richtigem machen zu wollen ist keine Barmherzigkeit, es ist im Grunde Grausamkeit. Wir verlieren damit die Möglichkeit der Rettung, der Vergebung, der Befreiung und letztlich der Glückseligkeit.

Wenn ich übergewichtig bin, weil ich das Naschen liebe, hilft es mir nichts, wenn mir die Menschen, die mich lieben sagen, dass das Ben and Jerry’s Eis keine Kalorien hat. Der barmherzige Freund sagt mir, dass es nicht gut für mich ist und hilft mir dann ganz praktisch darauf zu verzichten, um gesund und frei zu leben. Warum fällt es uns so schwer, ein solches, barmherziges Urteil auch bei moralischen Fragen zu fällen oder von anderen anzunehmen?

Eine Pforte zum wirklichen Leben

"Leben und leben lassen", der alte kölsche Grundsatz beschreibt ganz gut, diese bequeme Form der Barmherzigkeit. Bei innerweltlichen Angelegenheiten ist dieser Pragmatismus der Kölner häufig nicht nur angebracht, sondern auch ziemlich erfolgreich in der Vermeidung unnötiger Auseinandersetzungen. Der Barmherzigkeit Gottes muss es jedoch um mehr gehen, sonst hätte sein Sohn wohl kaum dafür gefoltert und getötet werden müssen. Gott sei Dank hat er es getan, denn damit hat er uns die Pforte der Barmherzigkeit geöffnet, die Pforte, die uns den Weg zum wirklichen Leben öffnet.

Damit zusammenhängend kommt direkt eine weitere Frage auf, nämlich die Frage danach, wer durch diese Pforte gehen kann, also die Zielgruppe der Barmherzigkeit Gottes. Papst Franziskus antwortete auf die Frage, ob Adolf Hitler in der Hölle sei, dass auch "der größte Sünder" nicht "von Gottes Liebe und Barmherzigkeit ausgeschlossen" ist. Spätestens hier wird deutlich, dass ein "leben und leben lassen" sicher nicht die Form der Barmherzigkeit ist, die Gott schenkt. Gott macht alles, damit jeder zum richtigen Leben kommt, wirklich jeder! Das klingt auch nur dann nett, wenn wir an uns selbst denken und an unsere Freunde. Bei einem Hitler, einem Kinderschänder, einem Stalin, einem IS-Kämpfer oder einem Mörder und Vergewaltiger wird das schwieriger.

Erstaunlicherweise macht Gott das Maß seiner Barmherzigkeit aber nicht davon abhängig, was der Mensch getan hat. Das einzige, wovon sie abhängt ist unser 'Ja', unser eigener Wille zu ihm kommen zu wollen. Vor ein paar Tagen bin ich über eine Stelle in der "großen Scheidung" des anglikanischen Literaten C.S. Lewis gestoßen, in der einer der darin auftretenden göttlichen Geister dazu sagt: "Am Ende gibt es nur zwei Arten von Menschen, die, die zu Gott sagen "Dein Wille geschehe", und die, zu denen Gott am Ende sagt: "dein Wille geschehe". Alle, die in der Hölle sind, erwählen sie."

Es ist wie im Märchen

Es ist so einfach, die Barmherzigkeit Gottes zu erlangen, genauso einfach, wie zwei Schritte durch eine goldene Tür. Wir müssen einfach nur einsehen, dass wir sie brauchen und die Demut haben um Verzeihung zu bitten – ja, auch auf Knien im Beichtstuhl mit hochrotem Kopf.

Wenn wir dann selbst an anderen Werke der Barmherzigkeit tun, dann geht es im Grunde nur darum, anderen bei diesen Schritten zu helfen. Bei den geistlichen Werken der Barmherzigkeit helfen wir anderen, durch diese Pforte zu gehen durch Belehrung, Rat, Trost, Gebet, Verzeihung, Ermahnung und Ertragen. Bei den leiblichen Werken, die wir für andere tun scheint es mir fast, als wären das für uns selbst Hilfestellungen, um Gottes Barmherzigkeit zu erlangen, indem wir selbst daran teilhaben können.

Die Barmherzigkeit Gottes war nicht im "Sale", es ist vielmehr wie bei dem schönen Märchen der Frau Holle. Wir müssen nur einen Schritt unter die Pforte seiner Barmherzigkeit machen, dann werden wir wortwörtlich damit überschüttet und dürfen als Goldmarie allen anderen helfen, auch durch dieses Tor zu gehen.

Reinhild Elisabeth Rössler ist Vorsitzende des Mediennetzwerks Pontifex.

Hinweis: Kommentare spiegeln die Meinung des Verfassers wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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