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Der verlorene Hirte: "Jeden Tag bete ich für Papst Franziskus"

Die Statue des Heiligen Petrus blickt über den Petersplatz im Vatikan am 3. Juni 2016.

Philip F. Lawler hat ein aufsehenerregendes Buch geschrieben, ein Buch, das einen Katholiken noch mehr zu erschrecken - oder verärgern - vermag als "Der Diktator-Papst", das bereits kritische Einblicke in den Charakter des Pontifikates von Papst Franziskus bietet, und warum dieses für viele rätselhagt ist. "Der verlorene Hirte" geht weiter in seiner Analyse: Lawler beschreibt und behauptet, dass, wie es im Untertitel heißt, "Papst Franziskus seine Herde in die Irre führt".

Es ist an dieser Stelle notwendig zu betonen, dass ein solches Urteil aus der Feder dieses Autors überrascht: Philip F. Lawler war viele Jahre ein publizistischer Verteidiger von Papst Franziskus. Auch ist der Autor niemand, der die tridentinische Liturgie bevorzugen würde. Lawler ist kein "Traditionalist", wohl aber überzeugter Katholik.

Das auf Deutsch nun im Renovamen-Verlag erschienene Buch lässt bereits in der Einleitung keinen Zweifel daran aufkommen, dass Lawler auf dem Boden der Lehre der katholischen Kirche steht. Der erste Satz ist sein Bekenntnis zur Treue zum Lehramt der Kirche, das im Papst geradezu personalisiert wird: "Jeden Tag bete ich für Papst Franziskus", betont Lawler. Und wie ernst es ihm ist, geht auch aus dem folgenden Satz hervor: "Wenn der Heilige Vater mich wegen meiner Sünden tadeln würde, hätte ich keinen Grund, mich zu beschweren."

Lawler bekennt sich also von vornherein als Sünder und treuer Sohn seiner Kirche. Und er leidet. Er leidet, weil er spürt, dass der Papst Katholiken wie ihn offenbar nicht gutheißt. "Jeden lieben langen Tag beschimpft mich der Papst – und unzählige andere tausende gläubige Katholiken – in den Predigten seiner Morgenmessen in der Vatikanresidenz Casa Santa Marta, weil wir an den Wahrheiten festhalten, die die Kirche immer gelehrt hat und für die wir manchmal leiden."

Damit steht Lawler nicht allein. Viele Katholiken sehen es ähnlich - und auch viele Nichtkatholiken. Besonders jene freilich, die versuchen, die tradierten Lehren und Gebote zu halten, fühlen sich vom Papst ausgegrenzt, weil er ihnen sage, sie seien "rigide", "Gesetzeslehrer" und "Pharisäer", die es sich "mit ihrem Glauben bequem" machen wollen.

Philip F. Lawler ist im Katholizismus zu Hause. Er wurde in der Nähe von Boston geboren. Er studierte unter anderem an der Harvard University, wandte sich dem Journalismus zu und gründete mit CWN (Catholic World News) den ersten englischsprachigen katholischen Nachrichtendienst im Internet. Er war Director of Studies bei der Heritage Foundation, einer "Denkfabrik" für die politische Elite der USA, und trat im Jahr 2000 selbst als Kandidat für den US-Senat gegen Senator Ted Kennedy an. Ebenso war er einige Jahre als Herausgeber der renommierten internationalen Monatszeitschrift "Catholic World Report" tätig. Lawler, Vater von sieben Kindern, ist Pro-Life-Aktivist und lebt mit seiner Frau in Massachusetts. Von ihm sind unzählige Essays, Buchrezensionen und Kolumnen in über 100 Zeitungen erschienen.

Man kann sein Buch "Der verlorene Hirte" für anmaßend oder falsch oder beides halten, genau wie "Der Diktator-Papst". Manchen Katholiken gehen schon diese Begriffe viel zu weit, besonders frommen und kirchentreuen Katholiken stoßen sie als despektierlich auf.

Dennoch sind es gerade auch sie, die praktizierenden Katholiken, wie immer mehr auch Theologen und Priester, die sich daran reiben, wie unklar und widersprüchlich bisweilen der Papst spricht und agiert. So war es vielleicht notwendig, dass dieses Buch geschrieben wurde, zumindest dahingehend, dass zur Sprache kommt, statt gefährlich verdrängt zu werden: Die Menschen wollen verstehen, denn sie erkennen die aufgetretenen Probleme. Sie wollen das Tun, die Aussagen und Entscheidungen des Papstes einordnen können, gerade wenn sie auseinanderklaffen. Und dazu ist dieses Buch sehr geeignet.

Lawler hat herausgefunden, dass für ihn und andere Katholiken so manche öffentliche Äußerung des Papstes nur mit Mühe mit den überlieferten und verankerten Lehren der Kirche in Einklang zu bringen sind. Im Laufe der Jahre, so stellte er fest, nahmen diese für ihn "problematischen Aussagen" immer mehr zu.

Es wurde für Lawler - als steten Verteidiger des Papstes - immer schwerer, verstehen zu können, wie er dessen Behauptungen mit der Lehre der Kirche in Übereinstimmung bringen und auch so erklären konnte. Zu viele Konflikte und Spannungspunkte bauten sich auf.

Wie die Aussagen von Franziskus über die Ehe, das Sakrament und die Barmherzigkeit inzwischen von vielen in die Praxis umgesetzt werden, ist dafür ein besonders klares Beispiel: "Es ist ein offenes Geheimnis, dass Geistliche in einigen Teilen der katholischen Welt bereits still und heimlich damit begonnen haben, geschiedene und wiederverheiratete Katholiken zu ermutigen, die Kommunion zu empfangen." Mit dem Blick auf den "deutschsprachigen Raum" stellt Lawler fest, dass "laxe pastorale Praktiken zur Regel" würden. Dem wird konkret niemand widersprechen können. Die Frage ist eher, ob dies als "lax" betrachtet wird, oder eben als barmherzig.

Der Autor dieses – auch und gerade, wenn man als Leser nicht zustimmt – spannenden und in seinen Argumentationen stellenweise nicht widerlegbaren Buches will den Lesern eine Perspektive auf die aktuelle Krise aufzeigen. Lawler ist kein Extremist oder Spinner. Er behauptet nicht, dass Franziskus ein Antipapst oder ein Ketzer sei, und er sagt auch nicht, dass wir uns dem Ende der Welt nähern oder gerade den Zusammenbruch des Katholizismus erleben. Allerdings erkennt er, wie wohl jeder Katholik, dass wir in einer Krisenzeit leben. Und er behauptet: Wenn ein Papst den Lehren der vorherigen Päpste widerspricht, untergräbt er seine eigene Autorität - und verwirrt als Hirte seine Schafe.

Lawler behauptet auch, dass Papst Franziskus durchaus verstehe, dass er Wellen schlägt und aneckt, dass er die Dinge im Innern der Kirche stört. Doch er bezweifelt, dass Franziskus die bereits aufgetretenen Spannungen – oder sind es schon Spaltungen – anerkennen würde, obwohl sie kaum noch zu ignorieren sind. Lawler zeigt sich verwundert, wie oft der Papst mit harscher Sprache diejenigen in der Kirche beschreibt, die mit ihm nicht einverstanden sind.

Während im Deutschland der Mainstream-Medien – zumindest in den ersten Jahren des Pontifikates - das Bild von Papst Franziskus als das eines angenehmen, lockeren und mitfühlenden Mannes vermittelt haben, unterscheidet sich dieses Empfinden mittlerweile erheblich bei vielen, die näher am Geschehen sind. In der römischen Kurie genauso wie im Alltag der Weltkirche andernorts.

Keine Frage: Philip F. Lawler zeichnet letztlich in "Der verlorene Hirte" Franziskus als einen die Regeln der Kirche verwirrenden, Verwirrung stiftenden Papst. Nur bei "einer anderen Sache", schreibt er, sei Franziskus "ganz bewusst und methodisch vorgegangen". Durch die Ernennung von Kardinälen, "die seine Ansichten befürworten", schaffe er nicht nur eine "Gleichschaltung des Kardinalskollegiums", sondern arbeite gezielt daran, dass diese Kardinäle "nach dem Ende seines Pontifikates einen Mann wählen, der seine Politik fortsetzen" würde. Und dies sei "der wichtigste Aspekt" des päpstlichen Planes: "die Veränderungen innerhalb der Kirche 'unumkehrbar' zu machen". Zumindest dieser These werden viele Unterstützer wie Kritiker zustimmen können.

Philip F. Lawler, "Der verlorene Hirte", ist im Renovamen Verlag erschienen und hat 296 Seiten

(Die Geschichte geht unten weiter)

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