27 Februar, 2020 / 6:15 AM
I. STATION: JESUS WIRD ZUM TODE VERURTEILT
In der Nacht zuvor haben all seine Apostel ihn verlassen. Die engsten Freunde waren eingeschlafen, als Todesangst ihn überwältigte. Verraten aber wurde er mit einem Kuss, dem innigsten Zeichen der Liebe. Zum Tode verurteilt wurde er noch in der gleichen Nacht vom Gericht des Hohenpriesters, mit einem Urteil, das schon längst gefällt war. Da wurde er auch schon verprügelt, vor den Augen der Richter. Nun aber steht er vor der höchsten weltlichen Autorität Jerusalems, dem Vertreter des übermächtigen Kaisers in Rom. In diesem Prozess hat er keinen Anwalt. Dennoch zögert Pilatus lange mit dem Urteil, weil er keine Schuld an ihm finden kann.
"Was ist Wahrheit?" fragt ihn der Statthalter, als die Wahrheit leibhaftig vor ihm steht. Dann lässt er ihn auspeitschen, von seinen Soldaten mit einer Dornenhaube krönen und verhöhnen und spricht selbst eine Wahrheit bis zum Ende der Tage, als er ihn der aufgehetzten Menge wieder vorstellt, die seinen Tod verlangt.
"Seht da, den Menschen!", ruft er, als er ihnen den Menschen der Menschen zeigt, den "Menschensohn", das erste und letzte Abbild unter allen Ebenbildern Gottes. Dann lässt er sich eine Schale mit Wasser reichen und wäscht seine Hände in Unschuld. Sekunden zuvor liefert er den Angeklagten an seine Verfolger mit den Worten aus: "Nehmt ihn und kreuzigt ihn!"
II. STATION: JESUS NIMMT DAS KREUZ AUF SEINE SCHULTER
Jesus erscheint oberhalb der Treppe vom Palast des Pilatus. Blutüberströmt, mit einem blutroten Soldatenmantel. Wankend. Er stolpert die Stufen hinab. Daumenlange Dornen sind ihm unter die Kopfhaut gefahren, ringsum sein Augenlicht. Seht, diesen Menschen! Sein Blut tropft auf den weißen Marmor. Fast scheint er hier, am Anfang des Kreuzwegs, schon zu stürzen, mitten auf der Treppe. Ein Legionär trägt seinen Schuldspruch auf einer Holztafel vor ihm herab: "Jesus von Nazareth, König der Juden".
Unten im Hof trifft er zwei andere Verurteilte, die auch "ans Kreuz gehen" wie die Römer diesen Weg nennen. Kräftige Wegelagerer, Dismas und Gestas, die wegen Mordes nun selbst das Leben verlieren. Sie wurden nicht ausgepeitscht, nicht mit einer Dornenkrone verhöhnt. Zwischen diese Mörder wird Jesus nun eingereiht.
Er scheint fast zusammenzubrechen, als Legionäre ihm das schwere Kreuzesholz auf die Schulter heben, wankt noch einmal und stolpert aus dem Hof des Palastes auf die Straße hinaus, zu seinem letzten Weg durch das Heilige Land.
X. STATION: JESUS WIRD SEINER KLEIDER BERAUBT
Hier oben darf er endlich das Kreuz von der Schulter lassen. Doch nicht nur das Kreuz wird ihm genommen. Er wird auch aller Kleider beraubt, bis der ausgepeitschte Mann so blutig und bloß vor den Soldaten und über den Schaulustigen Jerusalems steht, wie es nach dieser Stunde kein Maler mehr darzustellen wagt. Nur sein Vater "malt" ihn so, wie es sein Leichentuch später für immer festhalten wird. Die Römer kreuzigen ihre Delinquenten nackt, ohne Lendentuch. Diese letzte Entblößung am Kreuz ist die ungeheuerlichste Demütigung, die menschlicher Folterverstand jemals ersinnen konnte. Das einzige Kleidungsstück dieses "Königs der Juden" ist jetzt nur noch seine Dornenkrone.
Die "Kreuzweg – Meditationen. Mit Texten von Erzbischof Georg Gänswein und Zeichnungen von Auguste Moede-Jansen" sind als Leinenbuch und Gebetsheft erschienen im Fe-Medienverlag und haben 64 bzw. 44 Seiten.
Diese Leseprobe wurde im VATICAN-Magazin veröffentlicht und bei CNA Deutsch mit freundlicher Genehmigung publiziert.
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