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Renovabis faciem, oder: Gott macht nicht "high"

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Anlässlich der zentralen Gedenkfeier am 1. September 2019 auf dem Pilsudski-Platz in Warschau, aus Anlass der 80. Wiederkehr des Kriegsbeginns, war es das Verdienst des US-amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence, in seiner Ansprache mit Genugtuung des Publikums auch an das historische Ereignis des 2. Juni 1979 zu erinnern: den Gottesdienst von Papst Johannes Paul II. auf dem Siegesplatz in der polnischen Hauptstadt. Er beendete seine Predigt in Erinnerung an den Psalm 104: "Und ich rufe, ich, ein Sohn polnischer Erde und zugleich Papst Johannes Paul II., ich rufe aus der ganzen Tiefe dieses Jahrhunderts, rufe am Vorabend des Pfingstfestes: Sende aus deinen Geist! Sende aus deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde! Dieser Erde! Amen."

Die Zeitzeugen werden sich erinnern: in der Wiederholung des Wortes "Dieser Erde" schlug er mit seinem Hirtenstab für alle vernehmlich und mit großem Nachdruck auf den Boden, und die Mitfeiernden wussten, dass er damit auch die Erde und das Schicksal seiner polnischen Heimat meinte. Den anwesenden Mitgliedern des Jaruzelski-Regimes muss das Blut in den Adern gefroren sein, weil sie wohl ahnten, dass damit ein unumkehrbarer und historischer Prozess eingeleitet war - der 10 Jahre später auch die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichen sollte.

Die Pfingstbotschaft des Papstes war politisch und – mit den Augen des Glaubens betrachtet – heilsgeschichtlich. Das Wirken des göttlichen Geistes ist kein spiritualisiertes Gesäusel, sondern ein schöpferischer Akt. So bezeugt es die Bibel in ihrem Schöpfungsbericht: der Geist Gottes schwebte über den Wassern; und am Ende des Siebentagewerks stellt Gott fest, dass alles gut war – "tob meód, sehr gut", betont die Bibel (Gen. 1, 31).

Bereits der zweite und ältere Schöpfungsbericht aus der Hand des Jahwisten weiß jedoch, dass das Paradies verloren ging durch das Drama des menschlichen Egoismus, dessen Blutspur, vom ersten Brudermord bis heute, geradezu ununterbrochen verfolgt werden kann. Die Frage Gottes geht unter die Haut: "Adam, wo bist Du?", will sagen "Mensch, was ist mit Dir passiert?" Dies ist nicht das Verhör eines tyrannischen Despoten, sondern das von Mitleid geprägte Angebot heilender und unwiderruflicher Solidarität. Was gut, sehr gut, war, darf nicht verkommen in den Verirrungen des Bösen. "Auf Augenhöhe" begegnet Gott dem Menschen, face to face in liebender Zuwendung. So wird er auch dem Abraham begegnen (Gen. 17, 1): "Wandle vor mir" – wörtlich übersetzt: "geh mit mir, von Angesicht zu Angesicht".

Die Masken dieser Tage, abmildernd "Mund- und Nasenschutz" genannt, entstellen das Antlitz des Menschen. Dieses Antlitz des Menschen, in dem seine Einmaligkeit und unverlierbare Würde zum Ausdruck kommen soll, kann freilich auch ohne Maske zur unmenschlichen Fratze werden. Wir wissen das, und diese Entstellung des Menschseins ist schrecklicher als jedes Virus. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein um zu ahnen, wie Menschen ihr wahres Gesicht verbergen und in Hinterzimmern Pläne schmieden, welche um des eigenen Vorteils willen Menschen und Völker instrumentalisieren. Die Geschichte ist hierbei eine unerbittliche Lehrmeisterin.

Gegen diese Entstellung des Antlitzes, die Entartung des Menschseins, verheißt der Psalmist die Kraft des Gottesgeistes, der das Antlitz der Erde erneuert - "Renovabis faciem terrae": das Antlitz der geschundenen Erde und des durch Unrecht und Gewalt entstellten Menschen. Der schöpferische Geist hilft uns, aus der ängstlichen oder auch feigen Verbergung hervorzukommen und Gesicht zu zeigen. Da ist sie wieder, die politische Dimension. "Alles wirkliche Leben ist Begegnung", sagt Martin Buber, biblisch verstanden: "l‘phnai" – von Angesicht zu Angesicht.

Der Apostel Paulus spricht von der "Frucht des Geistes" (Gal. 5, 22) und nennt Haltungen wie Liebe, Sanftmut, Treue, Geduld. Das ist kein Tugendkatalog naiver Weltverbesserer, sondern der Schlüssel zur Rettung der Schöpfung, deren Antlitz sich nach Erneuerung sehnt. Das Sprachenwunder des Pfingstfestes ereignet sich im gegenseitigen Zuhören, Verstehen und Respektieren. Den Atem der Liebe und die Worte der Versöhnung dürfen durch keine Masken behindern. Denn es gibt sie ja auch, die Ansteckung zum Guten – vielleicht das Beste, was Menschen sich gegenseitig antun können.

Das "Veni sancte spiritus – Komm Heiliger Geist" der Pfingstsequenz besingt das Wirken des Geistes als einer schöpferischen Kraft "mit Maß und Mitte". Der Geist Gottes wärmt, was erkaltet ist; kühlt in der Glut; tröstet in den Tränen; heilt die Verwundung: und vieles mehr. Nicht das Sensationelle und Spektakuläre sind die untrüglichen Kennzeichen der Gegenwart des Geistes, sondern "die Stimme verschwebenden Schweigens", wie Buber die Nähe Gottes umschreibt (1 Kön. 19, 12). Den Irrtum überwinden (vor allem den eigenen!), die erloschene Liebe zum Partner neu entfachen, das im Hass selbstzerfleischte Herz ans Ufer der Versöhnung retten: so oder ähnlich geschieht die Erneuerung der Erde - und des Menschen.

Vor Jahren, anlässlich eines Besinnungstages mit jungen Erzieherinnen, meinte eine Teilnehmerin, dass die Schöpfung viel schöner wäre, wenn es den Menschen nicht gäbe. Man täusche sich nicht: das Fressen und Gefressenwerden ist eine reichlich unparadiesische Gesetzmäßigkeit alles Vitalen. Aber von der so genannten "Krone der Schöpfung" dürfen wir erwarten, dass eben dieser Mensch die instinktgesteuerte Überlebensstrategie humanisiert und den Kreislauf des Todes durchbricht. Dies meint die Schöpfungsgeschichte, wenn sie davon erzählt, dass Gott dem Menschen den "Atem des Lebens" eingehaucht habe.

Abschließend darf daran erinnert werden, dass der Evangelist Johannes – und nur er! – das ganz besondere Ereignis des schöpferischen Geistes in die Todesstunde Jesu am Kreuz verlegt. Was normalerweise mit der Worten "er gab des Geist auf" zitiert wird, sagt in der wörtlichen Übersetzung "parédoken to pneuma – er verschenkte den Heiligen Geist". Im Tod Jesu ereignet sich nach dem Johannesevangelium das Pfingstfest. Die Schöpfungstat dessen, der sein Leben hingibt, ist die Geburt der Kirche. "Sohn, siehe Deine Mutter – Mutter, siehe Dein Sohn."

Jener Pfingstbericht vom Geistbraus und den Feuerzungen kann irreführen. Pfingsten ist kein ekstatisches Geschehen, Gottes Geist macht nicht "high". Er führt vielmehr Wege der Einkehr und der Umkehr. Dann versteht man die Worte der Schriftstellerin Ida Friederike Görres (1901-1971): "Wie kühn muss ein Herz sein, das im Ernst zu beten wagt: entzünde in uns das Feuer Deiner Liebe!"

Monsignore Wolfgang Sauer ist Ehrendomkapitular der Erzdiözese München und Freising und war u. a. langjähriger Geistlicher Direktor des Instituts zur Förderung des Publizistischen Nachwuches (IFP), Missionsdirektor der Erzdiözese Freiburg und Mitglied verschiedener Gremien und Verwaltungsräte katholischer Hilfswerke. 

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