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Coronavirus: Konzept der Herdenimmunität wird zunehmend unrealistisch gesehen

Tabletten

Weltweit laufen derzeit etwa 1.500 Studien zu Wirkstoffen für therapeutische Ansätze gegen COVID-19. Bislang konzentriert man sich darauf, die Symptome der Erkrankung besser in den Griff zu bekommen, um schweren Verläufen rechtzeitig gegenzusteuern oder die Regeneration - etwa des Lungengewebes nach einer Erkrankung - zu verbessern.

Das berichtet das renommierte Bioethik-Magazin "IMABE".  

Man dürfe allerdings nicht zu optimistisch sein, "das" Medikament zu finden, welches die Mortalität beatmeter Patienten von derzeit 40% auf 5% reduziere, sagt Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bei einem Presse-Briefing des Science Media Center Germany.

Wirksame Therapieoptionen für COVID-19 Patienten sind langfristig wichtig, denn: Impfungen alleine können die Pandemie in absehbarer Zeit nicht stoppen. Wann und ob überhaupt eine Herdenimmunität erreicht werden kann, ist offen und wird von Experten zunehmend bezweifelt, so "IMABE". Immer wird es Menschen geben, die keine Impfung erhalten können oder wollen, zudem hält der Impfschutz möglicherweise nur einige Monate an. Der Bedarf an wirksamen Medikamenten gegen COVID-19 ist daher groß.

Jörg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin (Universitätsklinikum Freiburg), warnt angesichts des Zeitdrucks aber vor überhasteten Verfahren: "Das wäre mein wichtiger Appell: Wir sollten wirklich schauen, dass vernünftige Studien gemacht und diese dann auch vernünftig ausgewertet werden." Als Negativbeispiel für überzogene Hoffnungen nennt Meerpohl Studien mit dem Malaria-Mittel Chloroquin zur Behandlung von COVID-19-Patienten, die bald gestoppt werden mussten. Liegen Ergebnisse vor, versuchen Forscher in COVID-19-Zeiten, diese schnell zu publizieren. Preprints hätten immens an Bedeutung gewonnen. Die Wirksamkeit könne man aber nur dann einigermaßen gut bewerten, wenn es Daten aus Phase-3-Studien gebe, sagt Meerpohl, der auch Direktor von Cochrane Deutschland ist. Randomisierung und Placebo-Kontrolle seien deshalb wichtig.

Der Molekularbiologe Ralf Bartenschlager, Präsident der deutschen Gesellschaft für Virologie, plädiert für langfristige Forschungsperspektiven: "Wenn man heute einen bakteriellen Infekt hat, gibt es ein Breitbandantibiotikum. Hat man einen Virusinfekt, muss man schon genau wissen, um welches Virus es sich handelt und erst dann kann man das Medikament geben, weil es keine Breitband-Medikamente gibt." Die zukünftige Forschung sollte sich deshalb in diese Richtung bewegen, Wirkstoffe zu identifizieren, die generell gegen Coronaviren und andere Virusgruppen wirken. "Wenn wir Breitbandvirustatika hätten, hätten wir auch eine viel bessere Vorbereitung auf zukünftige Pandemien."

Auf der Suche nach einer Therapie werden - wie bei der Entwicklung der Impfstoffe - unterschiedlichste Ansätze verfolgt. Die Herausforderung besteht darin, dass je nach Stadium und Schwere der Erkrankung spezielle Medikamente eingesetzt werden müssen. Während im Anfangsstadium vor allem die Vermehrung des Virus möglichst gestoppt werden soll, dienen andere Medikamente in einer späteren Phase dazu, Thrombosen zu verhindern oder die Gefahr einer überschießenden Reaktion der Immunabwehr zu minimieren. Weitere Therapieansätze konzentrieren sich auf den Schutz der Lunge und ihre möglichst völlige Herstellung nach einer schweren COVID-Erkrankung.

Laut einer Übersicht des Verbands forschender Arzneimittelhersteller befinden sich derzeit "mehrere hundert" Wirkstoffe in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung. Das einzige Medikament, das in der EU bisher bedingt zugelassen wurde, ist Remdesivir. Allerdings konnte der Nutzen von Remdesivir in einer Meta-Analyse nicht eindeutig nachgewiesen werden. Drei weitere Medikamente befinden sich derzeit in der Überprüfung bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA, berichtet Science Media Center. Das Medikament Dexamethason war bereits für andere Zwecke zugelassen und hat bei schweren COVID-19-Fällen Wirkung gezeigt.

Gute Nachrichten für ein anderes, seit langem bekanntes Medikamten: Die zweimal tägliche inhalative Anwendung von Budesonid aus einem handelsüblichen Asthma­spray hat in einer offenen randomisierten Phase-2-Studie die Häufigkeit von schweren Verläufen um 90 Prozent gesenkt. Die Ergebnisse wurden nun in "Lancet" veröffentlicht. Wegen der geringen Teilnehmerzahl und der fehlenden Verblindung dürfte die Behandlung derzeit nicht als evidenzbasiert angesehen werden. Der nächste Schritt könnte in einer groß angelegten randomisier­ten Doppelblindstudie bestehen, berichtete das Deutsche Ärzteblatt.

Vielversprechend ist laut "IMABE" auch ein von Apeiron Biologics entwickeltes Medikament, mit dem Verbesserungen wichtiger Parameter bei schwer kranken COVID-19 Patienten erreicht werden konnten. Ergebnisse der Phase-2-Studie hat gezeigt, dass bei Patienten eine signifikante Reduktion der Beatmungstage und der Viruslast erreicht werden konnte.

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