07 Juni, 2017 / 8:10 AM
Bis hinein in den Text eines modernen Kirchenliedes hat es eine Aussage des Johannesevangeliums geschafft, in der vermeintlich davon die Rede ist, dass "der Geist weht, wo er will". Nicht selten wird dieser Satz gebraucht, wenn es darum geht, gegen Borniertheit und Starrköpfigkeit anzukämpfen.
Mit einem manchmal bissigen Unterton hört man dann "Glaube ja nicht, Du hättest den Geist gepachtet – der Geist, weht, wo er will!" Im Klartext soll das wohl bedeuten: "Bei Dir ist der Geist nicht, wohl aber bei mir!", und so kommt es zu einer rechthaberischen Instrumentalisierung des Heiligen Geistes. Im innerkirchlichen Kontext erzählt man sich Scherze, die aus dem Wort "der Geist, weht, wo er will" eine süffisante Anklage gegen Amtsträger machen, die sich "Geistliche" nennen.
Auch wenn es nicht unbedingt erfolgversprechend ist, geläufige Zitate und Interpretationen zu hinterfragen, sei hier doch auf den tatsächlichen Wortlaut jener Stelle im Evangelium verwiesen, in der Jesus seinem Gesprächspartner Nikodemus sagt: "Der Wind weht, wo er will, und Du hörst sein Sausen; aber Du weißt nicht, woher er kommt noch wohin er geht. So verhält es sich mit jedem, der aus dem Geist geboren ist."
Es dürfte nicht schwer sein, die völlig andere Bedeutung auszumachen, die dieses Jesuswort tatsächlich enthält. Es redet davon, dass jeder Mensch, "der aus dem Geist geboren ist", nicht definierbar, sondern letztlich ein Geheimnis ist: so unfassbar wie der Wind, den man zwar wahrnimmt, aber nicht lokalisieren kann. Die Rede ist vom Menschen, der Gottes Wege geht und sich dabei vom Geist führen lässt. Man kann ihn nicht domestizieren, in Schubladen packen, zu einem willfährigen Mitläufer machen. Der so genannte Mainstream kann ihm nichts anhaben, weil er seine Sicherheit und seine Identität aus Einsichten bezieht, die sich mit gängigen Maßstäben nicht ableiten oder prognostizieren lassen. Populisten und Rattenfänger mit ihren "alternativen Fakten" beißen sich an ihm die Zähne aus, weil er mit seinem Denken, Fühlen und Tun eigene Wurzeln hat: seine Würde bezieht er aus seiner Gottesebenbildlichkeit und nicht aus einer so genannten "völkischen" Zugehörigkeit. Und er entwickelt ein Gespür für Menschenwürde und Menschenrechte jenseits der üblicherweise gezogenen Grenzen und vorherrschenden Plausibilitäten.
Der Hinweis auf den "Wind, der weht, wo er will", erzählt von einer Unabhängigkeit, die sich nicht in Schablonen pressen lässt. Das individuelle Gewissen zählt, und nicht der Gruppenzwang. Die persönliche Einsicht in die Wahrheit macht frei, während das Mitläufertum versklavt. Wer sich zum Beispiel die alten Filmdokumente der Prozesse des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs anschaut, kann beobachten, wie die märtyrerhafte Souveränität einzelner Angeklagter den vorsitzenden Richter zur entlarvenden Weißglut brachte. Die Standhaftigkeit Einzelner läutete das grandiose Scheitern eines tausendjährigen Unternehmens ein.
"So verhält es sich mit jedem, der aus dem Geist geboren ist."
Monsignore Wolfgang Sauer ist Ehrendomkapitular der Erzdiözese München und Freising und war u. a. langjähriger Geistlicher Direktor des Instituts zur Förderung des Publizistischen Nachwuches (IFP), Missionsdirektor der Erzdiözese Freiburg und Mitglied verschiedener Gremien und Verwaltungsräte katholischer Hilfswerke.
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