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Im Wortlaut: Der Fastenbrief von Papst Franziskus

Generalaudienz mit Papst Franziskus am 30. Mai 2018

CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut des Fastenbriefs von Papst Franziskus, den der Vatikan am 12. Februar 2021 in deutsche Sprache veröffentlicht hat.

»Siehe, wir gehen nach Jerusalem hinauf« (Mt 20,18).

Fastenzeit – Zeit der Erneuerung von Glaube, Hoffnung und Liebe.

Liebe Brüder und Schwestern,

als Jesus seinen Jüngern sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung ankündigt, um den Willen des Vaters zu erfüllen, da enthüllt er ihnen zugleich den tieferen Sinn seiner Sendung und ruft sie, an dieser Sendung zum Heil der Welt teilzunehmen.

Auf dem Weg der Fastenzeit, der uns zur Feier der österlichen Geheimnisse führt, denken wir an den, der sich »erniedrigte [und] gehorsam [war] bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2,8). In dieser Zeit der Umkehr erneuern wir unseren Glauben, schöpfen wir vom „lebendigen Wasser“ der Hoffnung und empfangen mit offenem Herzen die Liebe Gottes, die uns zu Brüdern und Schwestern in Christus werden lässt. In der Osternacht werden wir unser Taufversprechen erneuern, um durch das Wirken des Heiligen Geistes als neue Menschen wiedergeboren zu werden. Wie das gesamte christliche Leben wird schon der Weg der Fastenzeit gänzlich vom Licht der Auferstehung erhellt, das die Gesinnung, die Haltung und die Entscheidungen dessen beseelt, der Christus nachfolgen will.

Fasten, Gebet und Almosen sind, nach Jesu Verkündigung (vgl. Mt 6,1-18), sowohl Bedingung als auch Ausdruck unserer Umkehr. Der Weg der Armut und des Verzichts (das Fasten), der liebevolle Blick und die Wohltaten für den verletzten Mitmenschen (das Almosen) und das kindliche Gespräch mit dem Vater (das Gebet) erlauben uns, einen ehrlichen Glauben, eine lebendige Hoffnung und eine tätige Liebe zu verwirklichen.

1. Der Glaube ruft uns auf, die Wahrheit anzunehmen und ihre Zeugen zu werden vor Gott und unseren Brüdern und Schwestern

Die in Christus offenbar gewordene Wahrheit anzunehmen und zu leben heißt in dieser Fastenzeit vor allem, sich vom Wort Gottes ansprechen zu lassen, das uns von Generation zu Generation von der Kirche überliefert wird. Diese Wahrheit ist nicht ein Gedankengebäude, das nur wenigen erlesenen klugen oder vornehmen Köpfen zugänglich wäre. Sie ist eine Botschaft, die wir dank eines verständigen Herzens empfangen und begreifen können, das offen ist für die Größe Gottes, der uns liebt, noch bevor wir darum wissen. Diese Wahrheit ist Christus selbst, der unser Menschsein ganz und gar angenommen hat und so zum Weg geworden ist, der zur Fülle des Lebens führt. Dieser Weg ist anspruchsvoll, aber offen für alle.

Das Fasten als Erfahrung des Verzichtes führt alle, die sich in der Einfachheit des Herzens darum mühen, zur Wiederentdeckung der Gaben Gottes und zum Verständnis unserer Wirklichkeit als Geschöpfe nach seinem Bild und Gleichnis, die in ihm Vollendung finden. Wer fastet und sich freiwillig auf die Erfahrung der Armut einlässt, wird arm mit den Armen und „sammelt“ somit einen Schatz an empfangener und geteilter Liebe. So verstanden und praktiziert hilft das Fasten, Gott und den Nächsten zu lieben, da, wie der heilige Thomas von Aquin lehrt, die Liebe eine Bewegung der Aufmerksamkeit für den anderen ist, die ihn als eines Wesens mit sich selbst betrachtet (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 93).

Die Fastenzeit dient dazu, den Glauben zu vertiefen beziehungsweise Gott in unser Leben einzulassen und ihm zu erlauben, bei uns „Wohnung zu nehmen“ (vgl. Joh 14,23). Fasten heißt unser Dasein von allem befreien, was es belastet, auch von der Übersättigung durch – wahre oder falsche – Informationen und durch Konsumartikel, um so die Türen unseres Herzens für den zu öffnen, der ganz arm, aber zugleich »voll Gnade und Wahrheit« (Joh 1,14) zu uns kommt – für den Sohn Gottes, des Erlösers.

2. Die Hoffnung als „lebendiges Wasser“, das uns fähig macht, unseren Weg weiterzugehen

Die Samariterin, die Jesus am Brunnen bittet, ihm zu trinken zu geben, versteht nicht, als er ihr sagt, er könne ihr »lebendiges Wasser« (Joh 4,10) geben. Zunächst denkt sie natürlich an normales Wasser, Jesus aber meint den Heiligen Geist, den er im Ostergeheimnis in Überfülle schenken wird und der uns die Hoffnung eingießt, die nicht enttäuscht. Bereits bei der Ankündigung seines Leidens und Todes zeigt Jesus diese Hoffnung an, wenn er sagt: »Und am dritten Tag wird er auferweckt werden« (Mt 20,19). Jesus spricht zu uns von der Zukunft, die uns die Barmherzigkeit des Vaters weit aufgetan hat. Mit ihm und dank ihm hoffen heißt glauben, dass die Geschichte nicht einfach mit unseren Fehlern, unseren Gewalttätigkeiten und Ungerechtigkeiten und mit der Sünde, welche die Liebe kreuzigt, zu Ende geht. Es bedeutet, aus seinem offenen Herzen die Vergebung des Vaters zu schöpfen.

In der gegenwärtigen sorgenreichen Situation, in der alles zerbrechlich und unsicher erscheint, könnte es als Provokation wirken, von Hoffnung zu sprechen. Die Fastenzeit ist dazu da, um zu hoffen, um von neuem den Blick auf die Geduld Gottes zu richten. Er hört nicht auf, für seine Schöpfung zu sorgen, während wir sie allzu oft schlecht behandelt haben (vgl. Enzyklika Laudato siʼ, 32-33; 43-44). Es ist eine Hoffnung auf Versöhnung, zu der uns der heilige Paulus eindringlich ermahnt: »Lasst euch mit Gott versöhnen!« (2Kor 5,20) Durch den Empfang der Vergebung im Bußsakrament, das im Zentrum unseres Weges der Umkehr steht, können wir unsererseits Vergebung weitergeben: Weil wir selbst Vergebung empfangen haben, können auch wir vergeben, wenn wir zum aufmerksamen Dialog fähig sind und dem Verwundeten hilfreich zur Seite stehen. Die Vergebung Gottes, auch mittels unserer Worte und Gesten, erlaubt uns, Ostern im Geist der Geschwisterlichkeit zu leben.

In der Fastenzeit wollen wir mehr darauf bedacht sein, »Worte der Ermutigung zu sagen, die wieder Kraft geben, die aufbauen, die trösten und die anspornen, statt Worte, die demütigen, die traurig machen, die ärgern, die herabwürdigen« (Enzyklika Fratelli tutti, 223). Um Hoffnung zu vermitteln reicht es manchmal schon, »ein freundlicher Mensch« zu sein, »der seine Ängste und Bedürfnisse beiseitelässt, um aufmerksam zu sein, ein Lächeln zu schenken, ein Wort der Ermutigung zu sagen, einen Raum des Zuhörens inmitten von so viel Gleichgültigkeit zu ermöglichen« (ebd., 224).

In der Sammlung und im stillen Gebet wird uns die Hoffnung als Inspiration und inneres Licht geschenkt, das die Herausforderungen und Entscheidungen auf dem Weg unserer Sendung erhellt. Deshalb ist es so wichtig, sich im Gebet zu sammeln (vgl. Mt 6,6) und im Verborgenen dem liebevollen Vater zu begegnen.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Die Fastenzeit voll Hoffnung leben heißt spüren, dass wir in Christus Zeugen einer neuen Zeit sind, in der Gott „alles neu macht“ (vgl. Offb 21,1-6). Es bedeutet, die Hoffnung Christi zu empfangen, der sein Leben am Kreuz hingibt und den Gott am dritten Tag auferweckt, und zugleich »stets bereit« zu sein, »jedem Rede und Antwort zu stehen, der von [uns] Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die [uns] erfüllt« (1Petr 3,15).

3. Die auf den Spuren Christi in Aufmerksamkeit und Mitgefühl gegenüber jedem Menschen gelebte Liebe ist der höchste Ausdruck unseres Glaubens und unserer Hoffnung

Die Liebe freut sich, wenn sie den anderen wachsen sieht. Daher leidet sie, wenn der andere in Bedrängnis ist: einsam, krank, obdachlos, verachtet, bedürftig … Die Liebe ist der Impuls des Herzens, der uns aus uns selbst herausgehen und ein Band der Teilhabe und Gemeinschaft entstehen lässt.

»Ausgehend von der sozialen Liebe ist es möglich, zu einer Zivilisation der Liebe voranzuschreiten, zu der wir uns alle berufen fühlen können. Die Liebe kann mit ihrer universalen Dynamik eine neue Welt aufbauen, weil sie nicht ein unfruchtbares Gefühl ist, sondern vielmehr das beste Mittel, um wirksame Entwicklungsmöglichkeiten für alle zu finden« (Enzyklika Fratelli tutti, 183).

Die Liebe ist ein Geschenk, das unserem Leben Sinn verleiht und dank dessen wir den Bedürftigen als Teil unserer eigenen Familie, als Freund, als Bruder oder Schwester betrachten. Das Wenige, das man in Liebe teilt, wird niemals aufgebraucht, sondern wird zu Vorräten des Lebens und des Glücks. So geschah es mit dem Mehl und dem Öl der Witwe von Sarepta, die dem Propheten Elija ein kleines Gebäck anbot (vgl. 1Kön 17,7-16), oder bei der wunderbaren Brotvermehrung, als Jesus die Brote segnete, brach und den Jüngern zum Austeilen an die Menge gab (vgl. Mk 6,30-44). Genauso geschieht es mit unserem – großen oder kleinen – Almosen, wenn es nur mit Freude und Schlichtheit gegeben wird.

Eine Fastenzeit der Liebe leben heißt sich um den kümmern, der aufgrund der Covid-19-Pandemie eine Situation des Leidens, der Verlassenheit oder Angst durchmacht. Angesichts großer Ungewissheit bezüglich der Zukunft denken wir an das Wort, das Gott an seinen Knecht richtet: »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst!« (Jes 43,1), während wir durch unsere Liebe ein Wort des Vertrauens anbieten und den anderen spüren lassen: Gott liebt dich wie einen Sohn und eine Tochter.

»Nur mit einem durch die Liebe geweiteten Blick, der die Würde des anderen wahrnimmt, können die Armen in ihrer unfassbaren Würde erkannt und mit ihrem eigenen Stil und ihrer Kultur geschätzt werden und so wirklich in die Gesellschaft integriert werden« (Enzyklika Fratelli tutti, 187).

Liebe Brüder und Schwestern, jede Etappe unseres Lebensweges ist eine Zeit des Glaubens, Hoffens und Liebens. Dieser Aufruf, die Fastenzeit als einen Weg der Umkehr, des Gebets und des Teilens unserer Güter zu leben, soll uns helfen, in unserem gemeinschaftlichen wie persönlichen Erinnern den Glauben, der vom lebendigen Christus kommt, die Hoffnung, die vom Hauch des Heiligen Geist beseelt wird, und die Liebe, deren unerschöpfliche Quelle das barmherzige Herz des Vaters ist, zu erneuern.

Maria, die Mutter des Erlösers, treu zugegen am Fuß des Kreuzes und im Herzen der Kirche, stehe uns mit ihrer fürsorglichen Gegenwart bei, und der Segen des Auferstandenen geleite uns auf dem Weg zum österlichen Licht.

Rom, St. Johannes im Lateran, am 11. November 2020, Gedenktag des heiligen Martin von Tours.

Franziskus

 

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