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Gottes Neubeginn mit einer Frau

Maria: Portrait von Scipione Pulzone ("Il Gaetano")
Der Schweizer Kardinal Kurt Koch ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Der ehemalige Bischof von Basel hat über 60 Bücher und Schriften verfasst, darunter Mut des Glaubens (1979) und Eucharistie (2005).

Gott als Meister des Anfangs

Aller Anfang ist schwer: So sagt es nicht nur der Volksmund, sondern so kennen wir es auch aus eigener Erfahrung. Im Leben etwas neu zu beginnen, ist stets eine besondere Herausforderung. Dies gilt auch im Blick auf den Beginn des Neuen Jahres, den wir mit dem heutigen Tag vollziehen. Die vielen Krisen in der heutigen Welt, im gesellschaftlichen Leben, in der gesundheitlichen Situation, in Wirtschaft und Arbeitswelt und in der Politik, und die vielen und spannungsvollen Auseinandersetzungen in unserer Kirche lassen uns mit Nachdenklichkeit in die Zukunft blicken und erschweren einen frohen Anfang des Neuen Jahres.

Aller Anfang ist schwer: Dies gilt nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Gott. Denken wir nur an den Anfang aller Anfänge, an die Schöpfung, die Gott „aus dem Nichts“ bewirkt hat. Das erste Buch der Heiligen Schrift berichtet davon, dass die Erde „wüst und wirr“ und Finsternis „über der Urflut“ war. Dies war kein leichter Beginn. Doch gerade mit diesem schwierigen Anfang hat Gott etwas sehr Grosses und Gutes angefangen. Denn „Gottes Geist schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,2). Hier hat Gott gezeigt, dass er jeden Anfang meistert. Er ist der wahre Meister des Anfangs.

 

So hat sich Gott auch gezeigt bei dem neuen Anfang, mit dem die neutestamentliche Heilsgeschichte begonnen hat und den uns die heutige Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater vor Augen führt: „Als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter dem Gesetz, damit er die loskaufte, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir das Recht von Söhnen erlangten“ (4, 7). Diese Worte sind  in der Liturgie der Kirche bewusst für den Neujahrstag ausgewählt, an dem wir den Anfang des Neuen Jahres begehen und damit an das Geheimnis der Zeit rühren. Diese Worte führen uns den neuen Beginn vor Augen, den Gott in unserer Welt gewirkt hat, indem er uns als Zeichen seiner grenzenlosen Liebe seinen Sohn geschenkt hat. 

Diese grosse Neuheit haben wir an Weihnachten feiern dürfen. Am Neujahrstag jedoch lenkt die Liturgie unseren Blick auf die Tatsache, dass Gott den neuen Anfang mit einer Frau gemacht hat, nämlich mit Maria. Denn die Fülle der Zeit, die angebrochen ist, erkennt der Apostel Paulus daran, dass der Sohn Gottes, den Gott in unsere Welt gesandt hat, von einer Frau geboren worden ist. Das Kind in der Krippe, das wir an Weihnachten gefeiert haben, führt uns von selbst zu Maria, seiner Mutter. Denn zwischen Jesus und Maria kann es keine Konkurrenz und schon gar keinen Gegensatz geben. Wer zu Jesus kommt, kommt vielmehr auch zu seiner Mutter, in deren Leben Gott die erste Priorität eingenommen hat. Und wer zu Maria seine Zuflucht nimmt, der begegnet auch ihrem Kind, zu dem sie uns führen will. 

Ganz Ohr für das Wort Gottes sein

Hier leuchtet der tiefste Sinn auf, dass in der Liturgie der Kirche der Neujahrstag zugleich als Hochfest der Gottesmutter Maria gefeiert wird. Damit ist die Einladung an uns verbunden, das Neue Jahr wie Maria und mit Maria zu beginnen, so dass es ein guter Anfang werden kann. Dazu gibt uns das heutige Evangelium einen wichtigen Hinweis. Denn von Maria wird das Schönste gesagt, was man von einem glaubenden Menschen sagen kann: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2, 19). Wörtlich übersetzt bedeutet dies, Maria habe in ihrem Herzen gleichsam wie bei einem Puzzle alle Worte zusammengefügt, so dass sich der Sinn des ganzen Bildes erkennen lässt. Das, was Maria von den Hirten gehört hat, bringt sie mit dem zusammen, was ihr zuvor vom Engel gesagt worden ist; und indem sie beides zusammenfügt, versteht sie den innersten Sinn des neuen Anfangs, den Gott mit ihr gewirkt hat.

Mit diesem schönen Bild benennt der Evangelist Lukas das tiefste Wesen der Gottesmutter, das die Heilige Schrift auch an verschiedenen anderen Stellen in gleicher Weise beschreibt: Bereits in der Verkündigungsszene notiert Lukas, dass Maria über den Gruss des Engels erschrocken sei, und fügt hinzu: „Und überlegte, was dieser Gruss zu bedeuten habe“ (Lk 1, 29). Lukas bringt damit zum Ausdruck, dass Maria mit dem Wort Gottes, das ihr entgegen kommt, in eine persönliche und intime Zwiesprache tritt und sich von ihm ansprechen lässt, um den tieferen Sinn dieses Wortes zu ergründen.

Dasselbe Bild verwendet der Evangelist nochmals bei der Szene des Zwölfjährigen Jesus im Tempel: „Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen“ (Lk 2, 50). Die ganze Brisanz erhält diese Notiz freilich erst vom vorauf gehenden Satz her: „Sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte.“ Lukas bringt damit zum Ausdruck, dass selbst für den glaubenden und für Gott geöffneten Menschen das Wort Gottes nicht immer sofort verständlich ist und dass es vor allem Demut und Geduld braucht, mit der Maria das zunächst Unverstandene in ihr Herz hinein nimmt und es in ihr wirken lässt, so dass es zum Wort in ihrem eigenen Leben werden kann.

In diesen drei Szenen wird sichtbar, dass Maria ganz Ohr für das Wort Gottes ist. Papst Benedikt XVI. hat Maria deshalb als „Mutter des Wortes Gottes“ bezeichnet und betont, dass „die durch das Wort geschaffene menschliche Wirklichkeit“ ihre „vollendete Gestalt im gehorsamen Glauben Marias“ gefunden hat. Darin besteht die Antwort des Glaubens auf den neuen Anfang, den Gott in der Heilsgeschichte gewirkt hast. Wenn wir wie Maria auf das Wort Gottes hören und es in unserem Herzen erwägen, dann steht das Neue Jahr unter einem guten Vorzeichen.

Was für den einzelnen Glaubenden damit sichtbar geworden ist, gilt auch für die ganze Kirche. Denn in Maria begegnet uns die Gestalt der Kirche, die auf das Wort Gottes hört, das in ihr Fleisch geworden ist. Alles, was unser Glaube über die Kirche sagt, gilt in erster Linie von Maria; und umgekehrt erfährt die Kirche von Maria all das, was Kirche ist und wozu sie bestimmt ist. Dieses Geheimnis haben uns vor allem die beiden Konzilspäpste nahe gebracht, indem sie dem Zweiten Vatikanischen Konzil einen eindeutig marianischen Rahmen gegeben haben: Es ist der ausdrückliche Wunsch des heiligen Papstes Johannes XXIII. gewesen, dass das Konzil am 11. Oktober 1962, am Fest der Gottesmutterschaft Marias gemäss dem damaligen liturgischen Kalender eröffnet werden sollte. Und der heilige Papst Paul VI. hat gewollt, dass das Konzil am Fest der Unbefleckten Empfängnis Marias im Jahre 1965 seinen Abschluss finden sollte.

Erster oder achter Tag?

Mit diesem marianischen Rahmen haben die Konzilspäpste ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass wir an der Gestalt Marias immer wieder neu lernen sollen, was Kirche ist und worin ihre Sendung besteht. Denn in ihrem ganzen Leben hat sie nach dem Willen Gottes gesucht. Ihr ganzes Wesen hat darin bestanden, sich Gott zu übereignen und sich seinem Willen zu überlassen, wie er in seinem eigenen Sohn offenbar geworden ist. Die Konzilspäpste haben deshalb Maria in den Mittelpunkt gestellt, weil sie nichts Anderes will als uns zu Jesus Christus, ihrem Sohn zu führen.

Diese Glaubenshaltung wird auch im heutigen Evangelium sichtbar, wenn Maria in gehorsamer Treue zum Glauben Israels ihren Sohn zur Beschneidung bringt und ihn damit in das Volk Gottes aufnehmen lässt. „Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoss seiner Mutter empfangen wurde“ (Lk 2,21). 

Dabei gilt es in dieser Aussage unsere Aufmerksamkeit auch auf ein Detail zu richten, das uns als sehr unscheinbar begegnet, in dem aber eine wichtige Botschaft enthalten ist. Im bürgerlichen Kalender feiern wir heute den ersten Tag des Neuen Jahres. Demgegenüber spricht das Evangelium davon, dass wir bereits den achten Tag schreiben. Für das Evangelium und deshalb auch für die Liturgie der Kirche ist der bürgerliche Neujahrstag zunächst bloss der achte Tag nach Weihnachten, nach der Feier der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus als dem wahren Neuanfang in der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Die Liturgie ordnet damit den Beginn unseres bürgerlichen Jahres dem Geheimnis des Glaubens und seines neuen Anfangs unter.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Erster oder achter Tag? Mit dieser Alternative geht es nicht um eine Konfusion der Kalender. Es wird vielmehr jene Verwandlung der Zeit angesagt, die durch das Kommen Jesu Christi in unsere Welt geschehen ist und die ihren sichtbaren Ausdruck findet im Kirchenjahr, das vor dem bürgerlichen Neujahr seinen Anfang nimmt. Denn das Kirchenjahr mutet uns zu, die Zeit nicht Gott-los zu leben, wie es der Grundkrankheit der heutigen Zeit entspricht. Weil wir Menschen in unserem alltäglichen Leben von vielen Prioritäten bedrängt werden, stehen wir immer wieder in der Versuchung, Gott auf die Seite, gleichsam auf die Ersatzbank, zu legen oder ihn an die letzte Stelle zu setzen. Demgegenüber mutet uns das Kirchenjahr zu, immer wieder neu zu erkennen, dass es nichts Wichtigeres gibt als Gott, der uns in seinem Sohn sein wahres Gesicht gezeigt hat.

Neubeginn in der Taufe im Zeichen der Freude

Dieser Priorität Gottes ist Maria verpflichtet, wenn sie ihr Kind zur Beschneidung bringt, bei der es seinen Namen erhalten hat. Diese Erwähnung im Evangelium erinnert uns Christen daran, dass sich unsere Beschneidung und Namensgebung in der Taufe ereignet haben. Mit diesem Sakrament sind wir ganz Christus zugehörig geworden und sind in seinen Leib eingegliedert. Dabei kann es nicht genügen, dass wir die Taufe einmal empfangen und nun hinter uns haben. Mit der Taufe ist uns vielmehr zugemutet, dass wir „in Christus“ sind und in einer persönlichen Freundschaft mit ihm leben. Denn in der Taufe ist in unserem Leben jener neue Anfang ganz persönlich gemacht, den Gott in der Heilsgeschichte im Grossen erwirkt hat und der den ersten Tag im bürgerlichen Jahr zum achten Tag in der Heilsgeschichte umgewandelt hat.

Weil wir getauft sind, sind wir nicht ungeschriebene Blätter, sondern tragen das schönste Erkennungszeichen als Christen und Christinnen an uns, nämlich jenes Erkennungszeichen, das verkündet, dass das allererste Wort, das Gott durch den Engel beim Neubeginn, den er in Maria erwirkt hat, gesprochen hat, ein Wort der Freude ist: „Freue dich, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1, 28). Der christliche Glaube ist die Religion der Freude, ja göttliche Ermächtigung zur Freude. 

Wenn wir das Neue Jahr im Zeichen der Taufe beginnen, dann haben wir trotz aller grossen Krisen und Herausforderungen in Gesellschaft und Kirche immer wieder Anlass zur Freude, die in uns immer dann aufkommt, wenn wir auf den neuen Anfang zurückblicken, den Gott in Maria für uns Menschen erwirkt und den er uns in der Taufe persönlich geschenkt hat. In solcher Freude des Glaubens sind wir eingeladen, diesen neuen Anfang Gottes wie Maria in unserem Herzen zu bewahren und zu bewegen und mit diesem neuen Anfang Gottes in unserem Leben etwas Gutes anzufangen. Dann stehen auch unser Leben und das ganze Neue Jahr unter jenem Segen, der uns in der alttestamentlichen Lesung zugesprochen ist: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil“ (Num 6, 24-26). Amen.

 

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