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Aus Charkiw geflohene Karmelitinnen erzählen über Flucht und Solidarität im Krieg

Die Schwestern Alena, Ludmilla und Maria (von links)
Karmelitinnen aus Charkiw nach der Ankunft in der Freiheit
Schwester Maria vom heiligen Josef
Karmel in Charkiw (Ukraine)

Weniger als zwei Tage nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hörten am Donnerstag, 24. Februar, die Karmelitinnen morgens um 5:20 Uhr dumpfe Geräusche. In der Ferne nahmen sie Blitze wahr und sahen am Himmel ukrainische Militärflugzeuge. Das ganze Kloster war auf den Beinen. 

Die Schwestern, die ein kontemplatives Leben im Geiste ihrer Gründer, der hl. Teresa von Avila und des hl. Johannes vom Kreuz, pflegen, waren aufgeschreckt und begannen zu beraten, was zu tun sei. Sie beteten in ihrer Klosterkapelle und begannen eine Novene, damit sich die Situation wieder beruhigen möge. Die Gemeinschaft hatte sich entschieden ihr Kloster nicht zu verlassen, sondern zu bleiben.

Am nächsten Tag kam der ortsansässige Bischof zu ihnen und teilte ihnen mit, dass Charkiw in diesem Moment umzingelt werden würde und sie jetzt ihre letzte Chance hätten, unversehrt die Stadt zu verlassen. Er sagte zu ihnen, dass sie weggehen sollten und bat die elf Karmelitinnen von Charkiw im Gehorsam zu ihrer eigenen Sicherheit zu fliehen. 

Um drei Uhr nachmittags beteten die Schwestern nach der Heilige Messe den Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes. Danach packten sie schnell etwas zusammen, um zu gehen. Sie nahmen nur wichtige Dokumente mit, ein paar persönliche Sachen, einen Erste-Hilfe-Kasten und etwas Essen. Sie bestiegen zwei Autos und machten sich auf den Weg in Richtung Westen.

Die Herzen der Schwestern waren zerrissen … „man überdenkt, was man mitnimmt und was man zurücklässt. Wir haben auch unsere Notizbücher mit persönlichen Notizen in unseren Zimmern zurückgelassen.“

„Wir haben nichts verstanden, es war eine große Überraschung für uns. Wir haben jedoch alle unsere Freunde wissen lassen, dass wir gehen.“

Nach einer 30-stündigen anstrengenden und schmerzhaften Reise kamen sie im Kloster ihrer Ordensbrüder in Lorinčík bei Košice in der Slowakei an, wo sich zur selben Zeit eine Gruppe von Nonnen und Mönchen anderer Orden aufhielt.

Zwei Schwestern, die zu dieser Gruppe gehören, sind Sr. Benjamína Ondovčáková SSNPM und Sr. Reginald Slavkovský OP. Sie sprachen mit drei ukrainischen Karmelitinnen: Sr. Maria vom hl. Josef, Sr. Ludmila vom barmherzigen Vater und der Postulantin Alena Solovejová.

Die folgenden Gespräche wurde von dem katholischen Journalisten Imrich Gazda in der slowakischen Tageszeitung „Postoj“ veröffentlicht. Ihm dankt CNA Deutsch für die Erlaubnis, seine Arbeit für diesen Artikel verwenden zu dürfen.

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Haben Sie damit gerechnet, dass der Krieg wirklich beginnt?

Schwester Maria vom hl. Josef: Alle erkannten, dass es sich um eine sehr reale Bedrohung handelte, der Staat verstärkte seine Grenzverteidigung. Es wurde von verschiedenen Terminen gesprochen, an denen der Krieg beginnen könnte. Aber wir haben dem nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, weil wir hier schon seit acht Jahren in Spannung leben.

Wie sind Sie von Charkiw in die Slowakei gekommen?

Der Bischof stellte uns ein größeres Auto mit Fahrer zur Verfügung, das andere gehört uns. Zuerst fuhren wir nach Lemberg, aber die Umstände änderten sich ständig, so dass sie uns schließlich an die slowakische Grenze brachten. Während der Fahrt erhielten wir Informationen darüber, wo die Straße befahrbar ist, wir mussten die Richtung ändern und der Fahrer konnte nicht mehr auf die geplante Route zurückkehren, da zwischenzeitlich einige Straßenabschnitte beschädigt oder zerstört waren.

Was ist mit Ihren Lieben, die in der Ukraine geblieben sind?

Unterwegs erlaubte uns Gott, einige unserer Lieben zu treffen. Ich habe meine Mama gesehen und wir haben zusammen Tee getrunken – es war unser Abschied. Da wir ein kontemplatives Kloster sind, ging ich nicht nach Hause und meine Mutter besuchte mich nur selten. Mama war froh, mich zu sehen, aber die Umstände taten ihr leid. Es war schwer für mich, sie zurück zu lassen, aber ich hoffe, Gott wird sich um sie kümmern. Es tut mir auch leid, dass mein Bruder zur Armee musste – wir haben uns nicht mehr gesehen.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Wie reagieren die Menschen auf russische Soldaten?

Vor allem erinnern sie sich daran, dass sie auch Menschen sind. Die meisten russischen Soldaten wissen nicht einmal, wohin sie gehen. Sie werden von der Tatsache getäuscht, dass sie Menschen retten werden. Viele haben ein gutes Herz, daher ist es notwendig, Hass zu unterscheiden und nicht zu verbreiten. 

Wir müssen es spirituell wahrnehmen. Dieser Kampf ist nicht äußerlich, sondern in erster Linie geistig. Es ist schwierig, aber es ist wichtig, keinen Hass zu verbreiten. Denn wenn der Mensch zulässt, dass Zorn in ihm herrscht, dringt Dunkelheit in ihn ein und hört auf, Gott zu sehen.

Der ursprüngliche Plan sah vor, dass russische Truppen Charkow an einem Tag erobern sollten. Aber die Menschen haben sich zusammengerauft und sind so mutig, dass die Stadt noch nicht erlegen ist. Das bedeutet, dass der Einsatz länger dauert, als vorhergesehen war, es fehlt an Nachschub und die Soldaten sind hungrig. Die Einheimischen gehen zu ihnen und geben ihnen etwas zu essen. Manche geben auf. Deshalb ist es wichtig zu beten. Das Gebet wendet die Herzen der Feinde, damit sie Waffen zurücklassen können.

Hatten Sie während der Fahrt Angst?

Ja, in solchen Momenten hat jeder Angst. Uns wurde mitgeteilt, dass etwa eine halbe Stunde nach unserer Abreise andere Nonnen keine Reisemöglichkeit mehr hatten. Wir haben es erlebt, als hätte uns jemand genommen und umgesiedelt – als Gnade. Das Wunder für uns ist, dass die Straßen friedlich waren, als ob es keinen Krieg gäbe, und kurz darauf wurden viele beschädigt.

Es war wie ein Albtraum für uns. Wir dachten, wir würden bald zurück sein und alles wäre wie zuvor. Was uns am meisten schmerzt, ist, dass wir unsere Leute dort zurücklassen mussten. Manche hatten keine Möglichkeit wegzugehen, manche wollten nicht, manche bekamen ein Kind oder fühlen sich dort zu Hause – es ist ihre Stadt. Nicht jeder hat die Möglichkeit, sich in Notunterkünften oder in der U-Bahn zu verstecken.

Kann diese Situation etwas Positives bringen?

Die äußeren Umstände sind schwierig, aber diese Situationen zeigen uns, wo die Wahrheit liegt. Das Wort Gottes erinnert mich an einen Vater, der Kindern keinen Stein gibt, wenn sie ihn um Brot bitten (Mt 7,7–11). Der Herr hat alles unter Seiner Kontrolle.

Ich spüre, dass die Solidarität zwischen den Menschen zugenommen hat und sie sich nicht nur auf materielle Hilfe konzentrieren, sondern auch darauf, einander zu vergeben. Das kann der Ukraine sehr helfen. Obwohl es schwer ist zu vergeben, besonders wenn sie deine eigenen Leute töten – es ist schmerzhaft.

Was können Menschen aus der Slowakei für Sie tun?

Wir haben viel Gutes gesehen, als wir die Grenze überquerten. Es gab viele engagierte Menschen, die uns heißen Tee brachten – bevor wir nachts und im Winter froren. Wir bitten Gott, es wiedergutzumachen. Es war schön: Lächeln, Fürsorge … – Beten Sie für uns Ukrainer, dass wir durchhalten, damit wir nicht aufgeben.

Ich vergleiche diese Situation gerne mit Tolkien. Er spricht über den Kampf der Dunkelheit – wenn die Dunkelheit dichter wird, bedeutet das nicht, dass er uns überwältigt, sondern dass bald ein neuer Morgen kommen wird. Um Mitternacht ist es am dunkelsten, aber die Sonne geht früh am Morgen auf. Also vorwärts zum Guten, zum Licht!

Was erwartet Sie jetzt?

Wir warten, bis die restlichen Schwestern kommen [Drei Schwestern fehlen noch. Sie sind auf dem Weg.], und dann werden wir entscheiden, was als nächstes zu tun ist.

Was war in der letzten Woche das Schwierigste für Sie?

Der Gedanke, hier zu sein und alles zu haben – und sie sind da und kämpfen mit dieser Situation. Viele unserer Bekannten und Verwandten blieben dort. Ich denke jede Minute daran. Ich sollte physisch hier sein, aber gleichzeitig sollte ich für jene beten, die dort sind. Das ist mein Gehorsam.

Woraus schöpfen Sie Kraft?

Vom Herrgott, ohne den wir nichts tun können. Es ist nicht schwer, Gott in großen Werken zu sehen, sondern im Klosteralltag. Es ist schwer zu erkennen, dass Gott in meinen Fehlern gegenwärtig ist, dass Er durch meine Schwäche handeln kann. Ich möchte in meinem Herzen stark sein, aber nur Er ist derjenige, der uns führt. Alles ist bereit, höre einfach mit deinem Herzen zu.

Jeder von uns kann heilig sein. Zuerst wollte ich nach einem Heiligen leben, aber später verstand ich, dass Heiligkeit individuell ist. Ich kann aus verschiedenen Mustern etwas entnehmen, aber meine Hauptaufgabe ist es, auf Gottes Wort zu hören.

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Schwester Maria vom Barmherzigen Vater kommt aus Odessa. Nach dem Abitur trat sie ins Kloster ein, wo sie seit 22 Jahren lebt. Sie gehört zu den russischsprachigen Ukrainern, die früher mehr russisch als ukrainisch waren. 

„Ich bin so erzogen worden, dass ich die Ukraine als etwas Minderwertiges verachten sollte“, sagt Schwester Maria Ludmila. Alles änderte sich 2014 nach der Annexion der Krim und dem Kriegsausbruch im Donbass. „Dank Putin haben wir begonnen, Ukrainisch zu lernen und unsere ukrainische Identität zu erkennen. Wir sind alle vereint.“

Als vor zehn Tagen der Einmarsch in die Ukraine begann, erwartete ein Unbeschuhter Karmelit in Moskau, dass ein „russischsprachiges Charkow“ russische Truppen willkommen heißen würde.

„Nun, jetzt sieht jeder, dass wir nicht zu Russland gehören wollen. Menschen gehen auf die Straße und versuchen, die Panzer mit bloßen Händen zu stoppen. Jeder will hilfreich sein. Auch Obdachlose; sie sammeln leere Flaschen und machen Molotow-Cocktails. Jeder tut, was er kann. Wir haben geglaubt, dass wir nicht in eine solche Situation geraten würden, aber uns blieb nichts anderes übrig, als uns zu wehren.“

Besonders leid tun Schwester Maria Ludmila die jungen russischen Soldaten, von denen viele erst 19–20 Jahre alt sind. „Ich bete viel für diese russischen Jungen, die nicht einmal wussten, wohin und warum sie geschickt wurden.“

Bei der Einschätzung Putins selbst wird Schwester Maria Ludmila unerwartet direkt: „Er ist ein kranker Mann, der von einem bösen Geist regiert wird und der Russland in den Niedergang führt.“

„Am Anfang haben wir die Nachrichten gelesen, dass es in Charkow bereits einen Kampf gibt – also haben wir angefangen, den Rosenkranz für Charkow zu beten. Dann hörten wir Nachrichten von den Kämpfen in Kiew, also beteten wir den Rosenkranz für Kiew und so ging es weiter. Dann hörten wir positive Nachrichten über den Erfolg unserer Soldaten. Wir fühlten uns, als wären wir mit ihnen auf dem Schlachtfeld: sie mit ihren Leibern und wir mit unseren Gebeten.“

Unterwegs lasen sie aus der Heiligen Schrift das Buch Hiob, den Gott prüfte, indem er Satan erlaubte, ihm mehrere schmerzhafte Schläge zu versetzen.

„Die Schwestern haben deutlich gemacht, dass ihnen klar ist, dass es heute nur um uns geht. Als wir zu den Worten kamen, dass alle Kinder Hiobs gestorben seien, fingen die Schwestern an zu weinen. Ich konnte nicht weiterlesen, also schlug ich vor, dass wir wie Hiob Gott in unserem Leiden preisen und das Te Deum singen sollten. Das war unsere Antwort auf Gottes Wort.“

Fünf Stunden lang warteten die Schwestern an der ukrainisch-slowakischen Grenze. 

„Es gab viele Menschen, die Essen verteilten, Tee anboten und jeden fragten, was er etwas brauchte. Sie hatten selbst nicht einmal Zeit, etwas zu essen. Es war berührend. Unsere Leute haben wegen der Bombardierung keine Zeit zum Essen und die Slowaken wegen ihrer aufopferungsvollen Hilfe.“ 

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Schwester Alena Solovejova kommt aus Kiew und ist Postulantin für Charkiw. 

Gerade in diesen Tagen stellen viele ihrer Mitbürger Fragen und sind wütend auf Gott, dass ihre Lieben sterben, und sie fragen warum. Sie selbst konnte es nur schwer akzeptieren, dass sie das Kloster in Charkiw von Stunde zu Stunde verlassen musste. 

„Ich verstehe es immer noch nicht, aber immer wieder sage ich mir: ‚Nicht mein, sondern dein Wille

geschehe.‘ Unsere Aufgabe ist es jetzt, auf den dritten Tag zu warten, an dem Er von den Toten aufersteht. Ich weiß nicht, warum der Herr unsere Nation auf diese Weise führt, aber er weiß es. Das Einzige, was mich zurückhält, ist seine leise Stimme: ‚Vertrau mir.‘“

In dieser Situation versucht Alena, auch für diejenigen zu beten, die nicht beten können; die es in sich fühlen, aber keine Worte haben. 

„Ich möchte sie mit meinem Gebet bedecken. Gebet, es sind nicht nur Worte, es ist da. [Sie zeigt auf das Herz, Anmerkung des Autors.] Wir können vor Jesus schweigen, um zu sprechen. Und vielleicht schaffen wir durch unser Schweigen den Raum, in dem er handeln kann.“

Sie versucht auch, für ukrainische Soldaten zu beten, die sie mit David im Kampf gegen Goliath vergleicht. „Es ist der Kampf des Herrn“, sagte sie und fügte hinzu, dass der Krieg – vielleicht paradoxerweise – uns zur Vergebung führen sollte.

„Menschen, die uns verletzt haben, sind oft selbst verletzt worden. Es besteht die Versuchung, anderen die Schuld zu geben oder sie zu ändern; aber in erster Linie sollten wir uns fragen, was wir in unserem Leben ändern können. Heute – weil es morgen vielleicht nicht mehr möglich ist.“

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LETZTE AKTUALISIERUNG am 9. März 2022: 

CNAdeutsch hat in der Nacht erfahren, dass die Karmelitinnen von Kiew ihr Kloster und die Stadt verlassen mussten. Auf bereits verminten Straßen wollen auch sie den Schrecken des Krieges – darunter der Todesgefahr und dem Risiko von Vergewaltigungen – entkommen. Sie haben sich am 9. März auf den Weg gemacht, um dem Grauen des Krieges zu entkommen und Zuflucht in Polen zu finden. Während am gestrigen sogenannten "Weltfrauentag" in Deutschland Frauen für ihre Rechte frei eintreten konnten, suchten Frauen in der Ukraine nichts anderes als zu überleben. Zwei Karmelitenpatres bleiben vorerst noch in der Ukraine.

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