18 Mai, 2023 / 7:00 AM
„Lebt nicht mit der Lüge!“ – Als wäre dieser Aufruf alleine nicht schon eindringlich genug, sei auf den Originaltitel des ursprünglich im Jahr 2020 erschienen Buches hingewiesen, der den Zusatz trägt: „Ein Handbuch für christliche Dissidenten“ (Live Not by Lies: A Manual for Christian Dissidents).
Rod Dreher ist der Autor des vorliegenden Buches. Er war bis 1993 Protestant, als er sich zum Katholizismus bekehrte. Doch verließ er 2006 aufgrund von Missbrauchsskandalen die Kirche wieder, um sich den amerikanischen Orthodoxen anzuschließen. Dreher wurde hierzulande vor allem durch sein Buch „Die Benedikt-Option: Eine Strategie für Christen in einer nachchristlichen Gesellschaft“ bekannt. Sein neues Buch „Lebt nicht mit der Lüge!“ kann man gut und gerne als eine Fortsetzung der Benedikt-Option betrachten. Denn auch in seinem neuen Buch geht es um Christen, die sich in einer antichristlichen Welt zurechtfinden müssen.
Der Titelgeber des Buches ist kein Geringerer als Alexander Solschenizyn. Als er am 12. Februar 1974 in Moskau verhaftet wurde, veröffentlichte er seine letzte Botschaft an das russische Volk. Im Titel seines Appells forderte er sein Heimatvolk auf: Lebt nicht mit der Lüge!
Was sollte das heißen, mit der Lüge zu leben? Es bedeutete, schrieb Solschenizyn, ohne Protest alle Unwahrheit und Propaganda zu akzeptieren, die der Staat seine Bürger zu bejahen zwang – oder ihnen zumindest nicht zu widersprechen, um in Frieden unter dem Totalitarismus leben zu können. Alle sagen, sie hätten keine andere Wahl, als sich anzupassen, sagt Solschenizyn, und die Ohnmacht zu akzeptieren. Doch das ist die Lüge, die allen anderen Lügen ihre bösartige Kraft verleiht. Der normale Mensch mag nicht fähig sein, das Reich der Lügen zu überwältigen, aber er kann zumindest sagen, dass er nicht sein loyaler Untertan werden will.
Solschenizyn schreibt: „Wir sind nicht aufgerufen, auf einen öffentlichen Platz zu gehen und die Wahrheit zu verkünden, laut zu sagen, was wir denken – es ist erschreckend, doch dafür sind wir nicht bereit. Aber wir wollen zumindest nicht bereit sein, das zu sagen, was wir nicht denken!“
Dem 1918 in Russland geborenen und am 3. August 2008 gestorbenen Schriftsteller und Systemkritiker Solschenizyn zufolge „werde ein Mensch, der sich weigert, mit der Lüge zu leben“, etwa:
- nichts sagen, schreiben, bestätigen oder verbreiten, was die Wahrheit verzerrt
- nicht zu einer Demonstration gehen oder an einer gemeinsamen Aktion teilnehmen, wenn man nicht an den Anlass oder die Sache glaubt
- nicht an einem Treffen teilnehmen, bei dem die Diskussion erzwungen wird und niemand die Wahrheit sagen kann
- nicht für einen Kandidaten oder Vorschlag stimmen, den man als „zweifelhaft oder unpassend“ betrachtet
- eine Veranstaltung verlassen, „sobald man den Redner eine Lüge, ideologisches Gefasel oder schamlose Propaganda äußern hört“
- nicht einen Journalismus unterstützen, der „die zugrunde liegenden Fakten verzerrt oder unterschlägt“
Kein denkender Mensch wird bei diesen Worten daran zweifeln, dass auch und gerade die westliche Welt in diesen Strudel geraten ist, den der Russe Solschenizyn noch im sowjetischen System verortet hatte.
Die meisten Menschen, die im Kommunismus lebten, unterstützten die marxistische Agenda nicht aus vollem Herzen – im Gegenteil. Um jedoch ein ruhiges Leben führen zu können, machten sie einfach mit. Um nur ein kleines Beispiel aus der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussion anzumerken, sei darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich den meisten von uns unangenehm ist, wenn ihnen gesagt wird, dass vorpubertäre Kinder die „Freiheit“ haben sollten, ihr „Gender“ selbst auszuwählen und wie Personen des anderen Geschlechts zu leben.
Selbstverständlich weist Dreher darauf hin, dass es einen Unterschied zwischen dem Leben in kommunistischen Ländern und dem Leben im Westen heute gibt. Menschen verschwanden plötzlich und wurden getötet, als sie sich vom kommunistischen Staat distanzierten. Dies gibt es im Westen heute nicht. Es werden Menschen im Westen nicht getötet, wenn sie vom herrschenden System, das Dreher „kulturellen Marxismus“ nennt, abweichen. Aber es gibt etwas, was der Autor als „sanften Totalitarismus“ bezeichnet. In diesem Kontext kann man Ärzte nennen, die dafür bestraft werden, dass sie sich für das Leben einsetzen. Oder Aktivisten, die vor Abtreibungseinrichtungen beten. Oder Menschen, die einfach nur gesagt hatten, dass ein Mann keine Frau werden könne und umgekehrt. Und natürlich wurden bereits unzählige Menschen bestraft, weil sie friedlich gegen die „Homo-Ehe“ protestierten.
Wie können wir diesen sanften Totalitarismus überwinden? Rod Dreher schlägt mehrere Wege vor. Vor allem müsse die Religion in den Mittelpunkt des Lebens gestellt werden. Auch wenn die Zahl derer, die man als Sonntagmorgen-Christen bezeichnet, bereits verschwindend klein geworden ist, so sollte uns doch bei allem, was wir tun, unser christlicher Glaube leiten. Dabei muss die Familie an die erste Stelle gesetzt werden.
Schaffen können wir das nicht alleine. Wir brauchen Gemeinschaften von Gleichgesinnten. Wir müssen gegenkulturell sein. Wir brauchen dafür die Kirche. Dreher hat schon oft Menschen dazu aufgerufen, gleichgesinnte Gemeinschaften aufzubauen. Dafür brauchen wir christliche Anwälte und Politiker, Christen in allen Bereichen.
Drehers Buch ist sicherlich ein Weckruf. Gegen Ende lesen wir die Überschrift „Leiden ohne Bitterkeit“. Für Dreher handelt es sich um eines der schwersten Gebote Christi:
Euch aber, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! (Lk 6,27f.)
Vielen von uns fällt es schwer, gegenüber einem Verkäufer nachsichtig zu sein, der uns unhöflich behandelt, oder jemandem, der uns im Straßenverkehr ausbremst. Wenige von uns wären in der Lage, jemanden gernzuhaben, der dafür verantwortlich ist, dass wir unseren Arbeitsplatz verloren haben, oder noch schlimmer, dass wir in unserem Berufsstand auf der schwarzen Liste stehen. Selten sind die Menschen, die in ihrem Herzen Liebe für denjenigen empfinden können, der sie ausgeraubt oder vergewaltigt hat.
Für sein Buch sprach Dreher mit unzähligen Einwanderern in die Vereinigten Staaten aus dem ehemaligen Ostblock. Er reiste in kommunistische Länder, um ehemalige Dissidenten zu interviewen. Dreher wollte die Bedingungen verstehen, die diesen Totalitarismus auslösten, und ihre Geschichten über Leiden, Gefangenschaft und Folter dokumentieren. Er verstand die Strategien, wie dem Totalitarismus zu widerstehen war und wie man unter seiner eisernen Faust leben konnte ohne die eigene Seele zu verlieren. Das Buch ist nicht explizit katholisch, aber sicher in guter Weise ökumenisch. Es besitzt eine gewisse Anziehungskraft auf alle Christen, die glauben, dass wir am Beginn einer Verfolgung stehen.
Drehers Buch „Lebt nicht mit der Lüge!“ kann man gut und gerne als Pflichtlektüre für gläubige Christen empfehlen. Denn ein jeder muss auf die bevorstehenden turbulenten und gefährlichen Zeiten vorbereitet sein. Vor allem aber sollten jene zu diesem Buch greifen, die noch immer meinen, das Heil liege in der Hinwendung zur Welt und der Übernahme des Mainstreams.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Rod Dreher: Lebt nicht mit der Lüge!; Media Maria Verlag 2023; 272 Seiten; 22 Euro; ISBN: 9783947931484
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.
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