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Kardinal Brandmüller räumt auf mit Legenden um Galileo Galilei und die Kirche

Cristiano Bantis Gemälde "Galilei vor der römischen Inquisition" von 1857

Der einstige Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft Brandmüller stellt die „Frage nach dem Verhältnis von Galileis Person und Werk zu den kirchlichen Autoritäten“.

Im Januar 2021 schrieb Kardinal Walter Brandmüller in seinem Vorwort zur Neuauflage seines Buches „Der Fall Galilei und die Kirche“, es sei für die historische Wahrheit schwer gewesen, „sich Geltung zu verschaffen, wird doch ‚Galilei‘ immer wieder beschworen, wenn aus ideologischer Voreingenommenheit mit diesem Fall Argumente gegen die wissenschaftsfeindliche Kirche gewonnen werden sollen“. Es geht also im jüngsten Buch des mittlerweile 92-jährigen Kirchenhistorikers und ehemaligen Präsidenten des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft um Galileo Galilei, der auch heute – nach Jahrhunderten – als Inbegriff des Gegensatzes zwischen fortschrittlicher und moderner Welt einerseits und der Vergangenheit verhafteter Kirche andererseits gilt.

Demgegenüber hat sich Brandmüller seit vielen Jahrzehnten um wissenschaftliche Aufklärung im „Fall Galilei“ bemüht: Er hat Kongresse veranstaltet, wissenschaftliche Akademien organisiert und selbst zahlreiche Arbeiten vorgelegt. Sein erstes Buch über Galilei erschien 1982 bei Pustet. Zwölf Jahre später erschien das vorliegende wichtige Werk im mittlerweile nicht mehr existierenden MM-Verlag, das jetzt von Media Maria neu herausgegeben wurde.

Im Jahr 2006 widersetzte sich Brandmüller der kritiklosen Übernahme von Galileis Ansichten und stellte die Persönlichkeit des Galileo Galilei im Gespräch mit Ingo Langner polemisch so dar: „Galilei war ein Giftzwerg, ein ausgesprochen reizbarer, schmähsüchtiger, aggressiver Typ. Eifersüchtig, rachsüchtig, das war er, und natürlich maßlos eitel. Überhaupt: Genie und Eitelkeit minus Bescheidenheit.“

Das jetzt bei Media Maria erschienene Buch ist differenzierter und verschweigt weder die im obigen Zitat angedeuteten Schwächen Galileis noch die auf kirchlicher Seite begangenen Fehler. Dabei vermeidet er die auch auf kirchlicher Seite oft pauschal akzeptierte Kirchenkritik. Gerade der zweite Teil des Buches (der sich mit der hochspannenden „Lösung“ des Falles Galilei zu Beginn des 19. Jahrhunderts befasst) ist fast schon für ein Fachpublikum geschrieben, gerade weil eine Reihe lateinischer oder italienischer Zitate nicht in deutscher Übersetzung angeboten werden. Trotzdem bleibt das Buch auch für Laien verständlich und lehrreich.

Brandmüller stellt die „Frage nach dem Verhältnis von Galileis Person und Werk zu den kirchlichen Autoritäten“ und bestätigt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten ein gewisses Verständnis durchgesetzt habe und inzwischen anerkannt sei, „dass die Kardinäle der Inquisition mit der buchstabengetreuen Auslegung der Heiligen Schrift bezüglich des Feststehens der Erde im Irrtum waren, während Galilei, der Astronom, nicht beweisen konnte, was er behauptete“. Aber ebenso hätte Galilei „mit seiner zutreffenden Auslegung der biblischen Texte“, die eben nicht so zu verstehen seien, als hätte Gott die astronomische Wahrheit geoffenbart, dass die Erde feststeht und die Sonne sich am Himmel auf und ab bewegt. Letztlich aber habe die Inquisition „den weiteren Blick“ gehabt, als sie von Galilei verlangte, „seine Meinung nicht als gesicherte Erkenntnis zu vertreten, sondern sie als Hypothese zur Diskussion zu stellen“.

Der Kardinal kann entsprechend schlussfolgern: „So ergibt sich das Paradox, dass Galilei in der Naturwissenschaft und die Kurie in der Theologie irrte, während die Kurie in der Naturwissenschaft und Galilei in der Bibelerklärung recht behalten hat.“

Übrigens sind die Ausführungen von Kardinal Brandmüller erhellend nicht nur in Bezug auf den „Fall Galilei“ im engen Sinn. Sie dienen auch zum besseren Kennenlernen des Systems Inquisition und Zensur. Denn es ist nicht redlich, dass heutzutage, wenigstens außerhalb seriös betriebener Geschichtswissenschaft, die vormoderne Kirche sozusagen automatisch ins Unrecht gesetzt wird. 

In seinem Nachwort stellt Brandmüller fest, es habe „unter den Astronomen noch weit ins 18. Jahrhundert hinein entschiedene Gegner Galileis“ gegeben. „Gewiss mag im einen oder anderen Fall geistige Unbeweglichkeit oder Borniertheit die Ursache hierfür gewesen sein. Insgesamt aber dürfte jene wissenschaftstheoretische Skepsis vorgeherrscht haben, die sich in unseren Tagen – ausgehend von Thomas von Aquin – erneut der Bedingungen und Grenzen menschlichen Erkennens bewusst ist und allem naiven Erkenntnisoptimismus abhold die Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis betont.“

Es ist notwendig, immer weiter zur Wahrheit vorzudringen. Brandmüller hat in Sachen Galileo Galilei überzeugend mit einer der hartnäckigsten Legenden über die wissenschaftsfeindliche unmoderne Kirche aufgeräumt.

Kardinal Walter Brandmüller, "Der Fall Galilei und die Kirche" ist bei Media Maria erschienen und hat 320 Seiten. 

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