Wo bleibt das Lehramt der Kirche?
An einer weiteren Stelle wird das Problem noch deutlicher. In Nr. 59 heisst es: „Deshalb wird im Synodalen Weg versucht, auf differenzierte Weise theologische Argumentationen vorzulegen, die auch dem Lehramt helfen sollen, bisherige Äußerungen im Licht wissenschaftlicher Erkenntnisse und Reflexionen zu überprüfen und über eine mögliche Veränderung der Positionen nachzudenken.“
Dieser Satz trifft hinsichtlich des Auftrages der Theologie zu, aber nicht hinsichtlich des Synodalen Weges. Denn diese Passage wirkt – nicht nur den Worten nach – wie eine Instrumentalisierung des Synodalen Weges durch wortführende Vertreter der Theologie. Der Satz beantwortet auch die Frage eindeutig, wie sich der Synodale Weg selbst versteht: als Vertretung der Theologie, nicht des Lehramtes. Folgerichtig kann er sich dann aber nicht in die Aufgabe des Lehramtes transformieren, was er bisher massiv für sich beansprucht. Denn in den unterschiedlichen Foren des Synodalen Weges werden weitreichende Forderungen aufgestellt, die im Widerspruch zu Überlieferung und Lehramt der Kirche stehen.
Bekräftigt wird diese Sichtweise erneut in Nr. 63 des Orientierungstextes: „In dem hier vorliegenden Text sind theologische Kriterien benannt worden, die für die Arbeit der Foren des Synodalen Weges und die Erstellung ihrer Beschlusstexte leitend sind.“ Diese Beschlüsse liegen also auf dem Niveau der Theologie und haben mit der besonderen Verantwortung, in welcher das kirchliche Lehramt in der Nachfolge des von den Aposteln überlieferten Glaubens steht, nichts zu tun.
Hier kommt ein unüberbrückbarer Widerspruch zu dem Anspruch des Synodalen Weges zum Ausdruck. Denn bei ausreichenden Mehrheitsbeschlüssen haben alle Bischöfe die Vorgaben des Synodalen Weges unverkürzt in den jeweils zuständigen Bistümern umzusetzen. Dabei handelt es sich ohnehin um einen sehr umstrittenen Vorgang. Denn die Bischöfe wären in Konsequenz an die Mehrheitsbeschlüsse gebunden, auch wenn diese gegen ihr bischöfliches Versprechen verstoßen könnten, die Lehre der Apostel treu zu bewahren.
Die Sorge um die Zukunft des kirchlichen Lehramtes äußerte der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. In seiner Predigt am 26. September im Regensburger Dom berichtete er über den Synodalen Weg: „Vom Präsidium wurden eine Präambel und ein Orientierungstext vorgelegt, in dem die theologischen Grundlagen erörtert werden. Da wird, ich muss es so sagen, die Bibel, unsere Heilige Schrift, mit einer hinter das II. Vatikanische Konzil zurückfallenden Offenbarungstheologie relativiert. Der Text beruft sich zwar einerseits auf die historisch-kritische Exegese, aber andererseits – verhängnisvoll – auf die zeitliche und kulturelle Distanz, vor allem aber auf eine Hermeneutik der Vielfalt ohne Dogma. Damit verliert die Heilige Schrift ihren Charakter als Urkunde und Fundament unseres Glaubens.“
Die so genannte MHG-Studie, also eine wissenschaftliche Studie zum sexuellen Missbrauch, werde dagegen kritiklos als quasi-unfehlbares Dogma zum Ausgangspunkt aller Bemühungen erklärt. Dabei werde unterschlagen, dass es in der katholischen Kirche seit Jahren ein ernsthaftes und auch erfolgreiches Bemühen um Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und um Prävention gebe. „Dass jetzt von interessierter Seite weiter so getan wird, als sei bislang eigentlich nichts geschehen, und die Besonderheiten der katholischen Kirche systemisch dafür verantwortlich gemacht werden, nährt meinen Verdacht, dass hier der sexuelle Missbrauch instrumentalisiert wird zum Versuch der Umgestaltung der katholischen Kirche nach dem Vorbild evangelischer Kirchenordnungen“, sagte Rudolf Voderholzer.
Worauf beruht der katholische Glaube?
Der katholische Glaube ruht auf drei Fundamenten: Überlieferung, Heilige Schrift und Lehramt von Papst und Bischöfen. An allen drei Glaubensgrundlagen wird derzeit gerüttelt. Um Fragwürdigkeiten des synodalen Orientierungstextes zu verstehen, ist ein Blick in den Katechismus der katholischen Kirche erforderlich. Dort heißt es in Nr. 83: „Die Überlieferung (oder Tradition), von der wir hier sprechen, kommt von den Aposteln her und gibt das weiter, was diese der Lehre und dem Beispiel Jesu entnahmen und vom Heiligen Geist vernahmen. Die erste Christengeneration hatte ja noch kein schriftliches Neues Testament, und das Neue Testament selbst bezeugt den Vorgang der lebendigen Überlieferung.
Die theologischen, disziplinären, liturgischen oder religiösen Überlieferungen (oder Traditionen), die im Laufe der Zeit in den Ortskirchen entstanden, sind etwas anderes. Sie stellen an die unterschiedlichen Orte und Zeiten angepaßte besondere Ausdrucksformen der großen Überlieferung dar. Sie können in deren Licht unter der Leitung des Lehramtes der Kirche beibehalten, abgeändert oder auch aufgegeben werden.“
Hier wird also im Katechismus ausdrücklich von zwei Überlieferungen/Traditionen unterschieden: „der Überlieferung/Tradition“, die von Jesus stammt und von den Aposteln weitergegeben wurde. Sie ist unveränderlich. Und zweitens werden regionale Überlieferungen genannt, die veränderbar sind.
Der Orientierungstext stellt dieses Hauptfundament des Glaubens völlig anders dar. Dort heißt es: „Die Tradition gibt es nicht ohne, sondern nur in den vielen Traditionen; aber damit die Tradition in ihnen und aus ihnen erkannt werden kann, bedarf es der Traditionskritik. Sie ist Teil der ständigen Neuorientierung der Kirche am Zeugnis der Heiligen Schrift angesichts der Zeichen der Zeit.“
Hier wird nicht nur Verwirrung gestiftet, sondern auch eine irreführende Behauptung aufgestellt: Demnach gäbe es nicht nur eine unveränderbare, sondern viele interpretier- und veränderbare Traditionen. – Geschieht so etwas aus Nachlässigkeit oder mit Absicht? Haben das die zahlreich beteiligten Theologen und Bischöfe übersehen?
Wichtig sind auch die darauf folgenden Aussagen des Katechismus (Nr. 84 bis 85): „Das in der Heiligen Überlieferung und in der Heiligen Schrift enthaltene ’heilige Erbe’ des Glaubens ist von den Aposteln der Kirche als ganzer anvertraut worden. … Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes authentisch auszulegen, ist allein dem lebendigen Lehramt der Kirche – das heißt den Bischöfen in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, dem Bischof von Rom – anvertraut (DV 10)…“
Der Katechismus enthält die maßgebliche Definition des katholischen Glaubens. Wer die Gültigkeit der entscheidenden Grundlagen der Kirche relativiert, kann ihre Lehre verändern. Die im Orientierungstext erwähnten „Zeichen der Zeit“ stellen übrigens „keine Offenbarung dar“, wie Kardinal Kasper bei einem Studientag im vergangenen Herbst erwähnte. Das Konzil habe ihre Bedeutung betont, aber „sie erhalten vom Evangelium her ihre Deutung“, so Kardinal Walter Kasper.
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