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"Dem Abenteuer auf den Fersen": Jesus in der Synagoge von Nazareth

Am Berg des Absturzes in Nazareth

Warum haben die Bewohner von Nazareth Jesus aus der Synagoge und dem Dorf hinausgeworfen und ihn umbringen wollen? War es sein selbstbewusstes Auftreten, waren es seine Worte? Waren seine Worte gotteslästerlich? Er hatte gesagt, in ihm seien die Verheißungen des Jesaia erfüllt. Kann man nicht verstehen, dass sie Jesus – ihren Dorfgenossen – für ziemlich anmaßend hielten? Sie wussten doch, dass er nur aus dem vermutlich kleinen Haus von Josef und Maria kam?

Wir aus 2000 Jahren Entfernung halten die Bewohner von Nazareth vielleicht für böse oder dumm. Hätten wir es besser gemacht?

Ich glaube, die ganze Szene in der Synagoge von Nazareth zeigt ein wenig, dass das Auftreten und Leben Jesu eine dramatische Herausforderung war. Und Er ist immer noch eine Provokation. Jesus ist eine geistig-seelische Herausforderung – gerade auch, wenn wir ihn ernst nehmen wollen. Es war keine leichte Kost, die die damaligen Menschen zu verdauen hatten.

Die Zeitgenossen Jesu kannten noch keinen gekreuzigten Heiland, der die Schuld der Welt auf sich nahm. Sie erlebten einen heraus-fordernden jungen Mann. Er stellte direkt oder indirekt viele Fragen an seine Zeitgenossen.

Erinnern wir uns: Zunächst war er aufgetreten mit dem Ruf: Kehrt um, das Reich Gottes ist nahe. Dann zeigte er auch seine Autorität, indem er sehr souverän das Gesetz des Moses und den Willen Gottes interpretierte. Er war überzeugend. Die Leute liefen ihm nach. Und er hatte die Gabe der Heilung. Es heißt ausdrücklich: Eine Kraft ging von ihm aus und heilte alle. Wegen seiner Reden und seiner Heilkraft liefen ziemlich viele Menschenmassen aus Galiläa hinter ihm her. Er sagt auch eigens, er sei nicht gekommen, die Weisen und Gelehrten zu berufen, sondern die Einfachen, die Armen und Kranken. Schließlich wurden auch die gebildeten Autoritäten in Jerusalem auf ihn aufmerksam. Einige kamen zu ihm, um ihn kritisch zu beäugen und zu befragen. Das waren zwei Gruppen: Die pingeligen Pharisäer, die das Gesetz des Moses ganz genau nahmen. Und die politisch denkenden Sadduzäer. Sie fürchteten, dass Jesus eine Aufstandsbewegung gegen die Römer ausgelöst. Beiden Seiten war bald klar: Jesus muss beseitigt werden. Aber es gab auch wenige intelligente und offene Denker unter den Gebildeten. Ich habe zwei besondere Freunde: Nikodemus und Gamaliel. Nikodemus hatte Jesus lange aus der Ferne beobachtet, kam dann einmal nachts zu einem langen Gespräch zu ihm und ging wohl tief beeindruckt zurück. Und Gamaliel kennen wir schon: Er war der Überzeugung: Wenn die Sache dieses Jesus von Gott ist, kann und darf man sie nicht bekämpfen. Wenn sie von Menschen ist, läuft sie sich von alleine tot.

Wir heute haben es vielleicht leichter mit dem Glauben an Jesus Christus als die Bewohner von Nazareth. Für sie war Jesus ein junger Provokateur. Wir aber wissen, dass er todesmutig seinen Weg zu Ende gegangen ist. Wir kennen Jesus am Kreuz. Wir kennen seine Treue. Wir kennen seine Verweise auf den Willen des Vaters, wir kennen seinen Kampf um Gerechtigkeit und für das Reich Gottes. Wir kennen seine Zuwendung zu den Sündern und seine Zuwendung zu den Armen. Wir kennen seine Kritik an den Scheinheiligen. Wir kennen seine Traurigkeit bei der Gerichtsverhandlung, als niemand rief: Er ist unschuldig. Wir kennen seine Verzweiflung am Ölberg. Er rang um den Gehorsam gegenüber dem Willen den Vater. Und als er Trost bei seinen Freunden suchte, fand er sie schlafend. Er merkte, dass sie ihn kaum verstanden hatten. Er sah vom Kreuz aus die wenigen, die bei ihm geblieben waren. Und wir haben von den Zeugen gehört, dass Jesus sich nach seiner schrecklichen Kreuzigung wieder lebendig gezeigt hat. Sie konnten es nicht glauben. Er hat um ihre Zustimmung gekämpft. Nur langsam gingen ihnen die Augen auf. Und es waren nicht einfach nur physische Augen, sondern Augen der Seele. Sie haben Jesu Gehorsam gegen den Willen des Vaters erkannt. Der Vater wollte das Opfer Jesu, um die Menschen zu retten. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab. So hat es der Evangelist Johannes ausgesprochen. Das ist die Botschaft des Evangeliums. Das ist es, was wir glauben dürfen. Dahin wollte Jesus auch die Menschen von Nazareth führen. Er ist es, durch den das Heil kommt, das Jesaia verkündet hat.

Also stellen wir uns die Situation der Zeitgenossen Jesu nicht leichter vor als sie war. Für sie war Jesus – wenn es gut lief – eine Person, mit der man sich auseinandersetzen musste. Das ist er auch für uns. Glauben heißt nicht nur für wahr halten, sondern sein Herz öffnen und Jesus hereinlassen. Glauben heißt daher vorher: Ringen mit Jesus und seinen Worten und seinem Anspruch. Vorausgehen müssen das genaue Hinschauen und Hinhören. Der heilige Ignatius sagt: Wir sollen Riechen und Schmecken. Viele Texte aus dem neuen Testament habe wir oft gehört, und sie gehen vielleicht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Wir sollten manche Texte lange anhören, auf sie lauschen, mit ihrem Inhalt ringen und eben mit Jesus ringen.

Das Dümmste ist, wenn wir mit der Masse mitlaufen. Damals sind viele nur mitgelaufen, weil Jesus interessant war und heilte. Auch heute ist es in vielen Bereichen oft so. Dumm ist es, wenn wir das denken und sagen, was alle denken und sagen. Einfach aus der Synagoge weggehen, die Türe hinter sich zuschlagen, weil die Gemeinschaft der Jesusfreunde nicht überzeugend ist, ist wohl auch keine Lösung. Jesus verdient mehr.

Nicht nur Nikodemus und Gamaliel waren gebildete Herren, die sich von der Masse abgesetzt haben. Vermutlich war es auch die Mutter Jesu, die Gottesmutter Maria. Sie hat ihren Sohn auch oft nicht verstanden, hat sich über ihn gewundert, hatte große Angst um ihn, hat gezittert und geweint. Aber sie ist mitgegangen. Das Leben mit Jesus ist kein Spaziergang. Es ist auch nicht nur ein Kreuzweg. Aber es ist ein Abenteuer. Bleiben wir ihm auf den Fersen. Amen

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. 

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