20 März, 2022 / 7:28 AM
Liebe Schwestern und Brüder
Die [Lesungen, die wir heute gehört haben], stellen uns wieder einmal vor Fragen: Was heißt das nun eigentlich über Gott, wenn er sich vorstellt als der „Ich bin da“? Was sollen wir anfangen mit dem „Ich bin da“?
Und warum ist die Zentralaufforderung Jesu: „Kehrt um“? Sind wir so auf dem falschen Weg?
Jedenfalls sollten wir wohl diese beiden Worte aus der Messe mit nach Hause nehmen.
Zunächst also: Was sagt uns die Lesung, in der Gott sich gegenüber Moses vorstellt als der „Ich bin da“.
Ich denke, wir müssen ein bisschen philosophisch drangehen. Wir können von der erstaunten Frage ausgehen: Warum lebe ich überhaupt? Warum gibt es mich überhaupt? Ich könnte ja auch nicht sein. Es könnte eine Welt geben ohne mich. Ich denke: Wenn wir uns ein wenig zurücklehnen und Zeit nehmen, könnten wir uns sagen: Es ist schon erstaunlich, dass es mich gibt! Seltsam, dass ich lebe. Warum lebe ich eigentlich? Und dann könnte die Antwort aufsteigen: Weil jemand mich gewollte hat. Jemand außerhalb meiner selbst hat entschieden, Du sollst sein, Du soll Leben bekommen. Meine Eltern haben zwar einen Beitrag dazu geleistet, aber sie konnten nur das Material spenden. Sie konnten nicht entscheiden, ob ich ein Mann oder eine Frau werde. Sie konnten auch nicht entscheiden, wie gesund ich bin oder. Sie konnten auch kaum mitentscheiden, ob ich ein Optimist oder ein Pessimist werde, ein Mensch mit einem hohen Intelligenzquotienten werde oder ein Dummkopf. Kurz mit einem Wort: Ich bin nicht autonom, sondern wie man in der Fachsprache sagt: Ich bin heteronom. Ich bin geschaffen. Und damit sind wir durch rationales Nachdenken zu einem Schöpfer gestoßen. Es gibt es Jemand, der mich gewollt hat. Die Alternative wäre: Ich bin Zufall. Wenn wir davon ausgehen, dass wir Zufall sind, dann wird es vermutlich etwas komplizierter, mit dem Leben zurecht zu kommen. Wenn wir uns entscheiden zu glauben, dass wir von einem übermenschlichen Jemand geschaffen sind, dann ist das Leben annehmbarer. Dann kann es leichter einen Sinn haben.
Und Moses hat nun auf dem Berg die Intuition, die Einsicht, die Vision, dass die Erscheinung, die er hat, ihm sagt: Ich bin, der „ich bin da“. Es ist ein einfaches und doch kompliziertes Wort. Der „Ich bin da“ ist der Jemand, der über uns ist, den wir Schöpfer nennen können und wollen. Und er ist der Jemand, der immer mit uns auf dem Weg ist. Der immer bei uns ist. Der freilich auch schon vor uns da war. Als Samen und Eizelle meiner Eltern noch gar nicht beisammen waren, war er schon da. Der große Denker Augustinus sagt über ihn „Gott ist uns innerlicher als wir uns selbst“. Oder der UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld sagt: Der weiteste Weg ist der Weg nach innen. Wir können sagen: Gott ist das Innerste in uns selbst. Dort haben die Mystiker Gott gesucht. Und wir kommen nur zu uns selbst, wenn wir in unser Innerstes hinuntersteigen, hinunterhorchen. Schweigen ist angesagt. Und Suchen und Horchen ist angesagt.
Bis jetzt sind wir in der Schöpfungsgeschichte. Aber dann scheint nach der Schöpfungsgeschichte etwas schief gegangen zu sein. Denn Jesus sagt nicht etwa: Macht einfach so weiter, wie ihr lebt, sondern er sagt: Kehrt um, bekehrt euch. Der Mensch scheint also auf dem falschen Weg zu sein. Irgendetwas im Lauf der Menschheit scheint schief gegangen zu sein. Denn der weise Jesus hat als zentrale Aufforderung: Kehrt um von eurem Denken und Leben. Nur wenn ihr umdenkt, denkt ihr richtig. Nur wenn ihr umdenkt, seid ihr ganze Menschen, nur wenn ihr umdenkt, kommt ihr zu dem, wozu ihr eigentlich gewollt und geschaffen seid.
Ja – das ist das Problem der Weltgeschichte. Wir bekamen das Leben als Geschenk, denn wir können denken und lieben, wir können Gemeinschaft und Kultur schaffen, Literatur, Musik, Malerei, wunderbare Gebäude, wir können sogar Nachkommen zeugen. Großeltern können sich an ihren Enkeln freuen. Wir können sogar in Frieden sterben. Und doch merken wir, dass immer wieder etwas schief läuft: wir mögen z.B. unsere Nachbarn nicht, wir hassen sie manchmal, wir trennen uns von einander, wir stehlen, wir essen zu viel, wir kümmern uns nicht um die Armen. Wir kaufen Kleider, die wir nie anziehen und nicht brauchen.
Jesus sagt ganz einfach: Kehrt um, bekehrt euch.
Die Welt ist ein Mysterium. Da gibt es im tiefsten Inneren jedes Menschen einen Gott und Schöpfer, der auf uns wartet. Und doch machen wir Krieg. Nur Mächtige können in andere Länder einfallen, aber wir kleinen Leute können ins Leben der Nachbarn einfallen. Etwas ist offenbar schiefgelaufen. Das nennen wir Erbsünde oder vielleicht richtig Ursprungssünde. Sie begleitet die Menschheit seit ihrem Ursprung. Los gegangen ist es mit Adam und Eva. Der Baum, von dem sie nicht essen sollten, hat sie besonders verlockt und sie haben der Versuchung nachgegeben. Der Baum, von dem sie nicht essen durften, ist ein Symbol dafür, dass der Mensch nicht autonom ist, dass ihm Grenzen gesetzt sind. Der Mensch hat sich nicht selbst geschaffen, sondern bekam das Leben geschenkt. Er hat Grenzen. Der verbotene Baum symbolisiert die Grenze. Die Geschichte vom Sündenfall versucht zu erklären, dass das Schiefgehen schon ganz am Anfang begonnen hat. Gott hat ihnen zwar in seiner Allmacht die Freiheit geschenkt, die sie verantwortlich nutzen sollten. Sie haben leider unverantwortlich gehandelt. Sie haben ihre Begrenzung nicht angenommen. Und dieser Defekt ging auf die ganze Menschheit über. Eben Erbsünde. Das ist nur der Versuch einer Erklärung, warum wir Menschen immer wieder Böses tun, obwohl wir es nachher bereuen.
Es sind also zwei Eckpunkte, die uns dieser Fastensonntag mitgeben will: Der „Ich bin da“ ist immer mit uns auf dem Weg, denn er hat uns gewollt und uns Freiheit geschenkt. Und weil etwas schief gegangen ist in der Weltgeschichte und in unserem Leben, kommen wir nicht drum rum, auf Jesus zu hören und den Versuch zu machen, uns zu bekehren. Wenn wir umkehren, fallen wir in die Arme dessen, der uns geschaffen und gewollt hat. Amen
Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.
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