27 März, 2022 / 9:58 AM
Wir haben das Evangelium vom „verlorenen Sohn“ gehört. Besser müsste es heißt das „Evangelium vom barmherzigen Vater“. Denn das ist die Botschaft des Evangeliums an uns.
Aber dieses Evangelium führt mich auch zurück zu den Gedanken, die Papst Franziskus der Welt gestern nahe gelegt hat. Er hatte ja Russland und die Ukraine dem unbefleckten Herzen Mariens geweiht. Dazu hatte er ein Gebet verfasst. Dieses Gebet beginnt mit einem langen Schuldbekenntnis. Und mir klingt es wie das Schuldbekenntnis des verlorenen Sohnes und indirekt der Bürger in den wohlhabenden Ländern. Wir, diese Bürger haben jetzt größte Angst auch um unser Leben. Und ich erlaube mir die Frage: Sind wir Bürger der wohlhabenden Länder der verlorene Sohn, der seinen Vater verlassen hat?
Hören Sie ein paar Zeilen aus dem Bußgebet des Papstes: „Wir haben die Lehren aus den Tragödien des letzten Jahrhunderts und das Opfer der Millionen in den Weltkriegen Gefallenen vergessen. Wir haben die Verpflichtungen, die wir als Gemeinschaft der Nationen eingegangen sind, nicht erfüllt. Und wir verraten die Träume der Völker vom Frieden und die Hoffnungen der jungen Menschen. Wir sind an Gier erkrankt, wir haben uns in nationalistischen Interessen verschlossen. Wir haben zugelassen, dass Gleichgültigkeit und Egoismus uns lähmen. Wir haben Gott nicht beachtet. Wir haben es vorgezogen, mit unseren Lügen zu leben, Aggressionen zu nähren, Leben zu unterdrücken und Waffen zu horten. Dabei haben wir vergessen, dass wir die Hüter unserer Nächsten und unseres gemeinsamen Hauses sind. Mit Kriegen haben wir den Garten der Erde verwüstet, mit unseren Sünden haben wir das Herz unseres Vaters verletzt, der will, dass wir Brüder und Schwestern sind. Wir sind allen und allem gegenüber gleichgültig geworden, außer uns selbst. Und schamerfüllt sagen wir: Vergib uns, Herr.“
Könnten das nicht das Schuld-Bekenntnis des verlorenen Sohnes sein, bevor er zu seinem Vater zurückkehrt? Sind wir Bürger der wohlhabenden Länder ein bisschen wie verlorene Sohn, der seinen Vater verlassen hat und umkehren sollte?
Der Papst hat Russland und die Ukraine dem unbefleckten Herzen der Gottesmutter geweiht. Schauen Sie im Internet Bilder davon an. Es geht ihm um den Frieden.
Aber stellt uns das heutige Evangelium nicht gleichzeitig vor die Frage: Seid ihr in den Wohlstandsländern nicht aufgefordert, zurückzukehren zum Vaterhaus. Müssen wir nicht manchmal mit dem Papst bekennen: „Wir haben Gott nicht beachtet“. Müssen wir uns nicht fragen: „Haben wir es vorgezogen, mit unseren Lügen zu leben?“ Haben wir nicht „Leben unterdrückt“? Haben wir nicht manchmal vergessen, dass „wir Hüter unserer Nächsten und unseres gemeinsamen Hauses sind?“ Gilt für uns, was der Papst formuliert: „Wir sind allen und allem gegenüber gleichgültig geworden, außer uns selbst“? Und müssen wir nicht enden mit dem kurzen Wort „Vergib uns, Herr!“
Das sind düstere Worte und Fragen.
Aber das Evangelium macht es uns leicht. Denn der Vater des verlorenen Sohnes steht nicht mit dem Stock an der Haustür. Nein er wartet seit Jahren sehnsüchtig auf die Rückkehr des Sohnes. Er hält keine Strafpredigt, stellt keine kritischen Fragen, sondern er nimmt den Sohn in die Arme und lässt ein Festmahl feiern. Er gibt ein Fest – ein Fest für den Sohn, der alles Geld durchgebracht hat und nur heimkehrte, weil er Hunger hatte.
Und in der Lesung kamen die Wörter Versöhnung und versöhnen fünfmal vor. Christentum heißt Versöhnung zwischen dem Sünder und Gott, zwischen Gott und dem Sünder.
Wir können den Krieg gegen die Ukraine leider durch unsere eigene Umkehr nicht beenden. Aber der Krieg sollte uns vielleicht aufwecken. Sollen wir durch ihn lernen? Frage: Betreffen uns auch die schrecklichen Kriege und Verfolgungen in fernen Ländern: im Yemen, in Mali, in Myanmar? Lesen wir soviel wir können auch über die Menschenrechtsverletzungen rund um den Globus, die uns nicht so nahekommen? Erfüllen wir unsere Pflicht als Bürger, uns umfassend zu informieren auch über Ereignisse, die uns nicht unmittelbar betreffen? In diesen Tagen habe ich in unserer Jesuitenmissionszeitschrift z.B. gelesen, dass in den letzten Jahren rund 6 Millionen Menschen aus Venezuela wegen Armut, Elend, Unsicherheit geflohen sind. Zu Fuß hunderte von Kilometern, Frauen und Kinder. Vielleicht haben wir gelesen von den Millionen in Zentralamerika die über Mexiko in die USA fliehen.
Will uns Gott durch den Krieg gegen die Ukraine vielleicht aufwecken, dass wir nicht nur an Fußball und die Wiesn und den Urlaub in Mallorca denken, sondern an das Elend in vielen Teilen der Welt. Wir können es nicht unmittelbar ändern. Aber wenn es uns kalt lässt, dann stimmt etwas nicht in unseren Herzen. Es geht um die Umkehr des Herzens. Und bei unserer Umkehr erwartet uns der Vater mit ausgebreiteten Armen. Der Papst hatte für uns wörtlich gesagt und bekannt „Wir haben Gott nicht beachtet, wir haben vorgezogen, mit unseren Lügen zu leben, wir haben vergessen, dass wir Hüter unserer Nächsten und unseres gemeinsamen Hauses sind.“ Vergib uns, Herr! Amen
Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.
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