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Glauben braucht Fragen, Denken und Zeit.

Kruzifix (Illustration)

Jesus sagt: Gott habe ihn gesandt, um die Welt zu retten. Braucht die Welt aber Rettung? Ist sie rettungbedürftig? Ich glaube: Gerade in diesen letzten Jahren ist unserer Welt besonders klar geworden: Die Welt ist nicht in Ordnung, sie braucht Rettung. Denken wir an die Pandemie, an den Klimawandel, an den Ukrainekrieg. Und vergessen wir nicht: Die halbe Welt im Süden hungert.

Und dann die Frage: Woher kommen die Defekte der Welt? Ein Teil von der Natur. Ein sehr großer Teil aber vom Menschen, von seiner Maßlosigkeit, seinem Egoismus, seiner Kurzsichtigkeit, seiner Verführbarkeit. Mit anderen Worten: von den Sünden der Menschen. Die Welt braucht Rettung.

Aber kann Jesus die Welt retten? Wer kann die Welt retten? Jesus sagt mit seinen Worten: Ich kann und will durch meinen Liebesbeweis am Kreuz die Welt retten. Oder anders formuliert: Ich will euch zeigen, dass man die Welt durch Liebe in Ordnung bringen kann. Wenn ihr auf meinen Wegen geht, wird die Welt ein wenig in Ordnung kommen. Die Natur bleibt zwar immer eure Bedrohung. Aber die Welt kommt zu einem guten Teil in Ordnung, wenn ihr Euch bekehrt, umkehrt, wenn ihr beginnt euer Leben auf Liebe und Solidarität aufzubauen.

Nun kann jemand einwenden: Die Welt hat sich aber durch deinen Liebestot nicht oder fast nicht verbessert. Ich widerspreche diesem Einwand: Durch das Tun Jesu und seine Lehre und durch ein humanes Denken hat die Menschheit wesentliche Fortschritte gemacht. Sie hat so die Würde des Menschen erkannt, die Menschenrechte, die Solidarität, die Sozialpflicht des Eigentums, die Rechtsordnung, die Demokratie als die bessere Lösung im Vergleich zur Diktatur. Man kann nicht allen Fortschritt auf das Christentum zurückführen. Aber kann und darf fragen: Wie sähe die Welt ohne das Christentum aus? Jedenfalls sagt Jesus: Gott will retten. Und er am Kreuz geht voran mit der Rettung durch seinen Tod aus Liebe.

Aber Jesus hatte vorher auch gesagt: Gott will die Welt nicht richten. Das freut den modernen Christen, für den Gott ausschließlich Liebe ist. Also wird dann der Ehemann, der jahrelang seine Frau schlägt, ebenso in die Arme Gottes fallen wie die Frau. Werden Hitler, Stalin und andere Diktatoren ebenso behandelt wie Menschen, die ihr Leben geben zur Rettung anderer? Letztlich wissen wir keine Antwort. Letztlich bleibt es ein verschlossenes Mysterium. Jesus aber sagt vor allem: Gott will nicht richten, sondern retten.

Vor dem Satz über Retten und Richten hatte Jesus in unserem Evangelium aber noch ein anderes Wort gesagt, das uns eigentlich aufregen müsste. Er lautet zusammengefasst: Gott hat Jesus, seinen Sohn  gesandt, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Jesus behauptet also von sich, dass er der Angel- oder Haltepunkt ist für jeden Menschen, wenn er sich an ihm festmacht. Jesus sagt von sich selbst, dass wir Menschen durch ihn das ewige Leben haben werden.

Ist diese Aussage nicht sehr arrogant? Ja – sie klingt anmaßend. Und sie zwingt uns, uns mit Jesus auseinanderzusetzen. Manche modernen Menschen werden sagen: Jesus war halt ein kleiner Spinner. Davon gibt es viele. Wir können aber auch auf Jesus am Kreuz schauen. Und im Blick auf ihn wird uns vielleicht deutlich: Das war und ist kein Spinner. Der ist ernst zu nehmen. Er ist zu seinen Worten gestanden. Er konnte nicht nur wunderbar reden, sondern war und ist überzeugend und konsequent.

Wir kehren jetzt nochmal zurück an den Anfang des Evangeliums. Da heißt es nämlich, dass der Intellektuelle Nikodemus ein Vieraugengespräch mit Jesus suchte. Wir wissen nicht, ob Nikodemus später Christ wurde. Aber er hat sich gründlich mit Jesus auseinandergesetzt. Er ließ ihn nicht links liegen, hielt ihn nicht für einen harmlosen Spinner. Daher konnte Jesus ihm auch tiefe und bedeutsame Worte sagen.

Ich glaube: der moderne Mensch sollte ein bisschen wie Nikodemus werden. Sich kritisch und offen mit Jesus auseinandersetzen. Das geht nicht in fünf Minuten und in Jubelrufen. Es ist nützlicher, sich für eine Stunde vor ein Kreuz zu setzen und Jesus zu fragen: Wer bist du? Wer bist du für mich. Wer bist du wirklich. Zeige mir, wer du bist. Lass mich in dein Herz und in dein Denken schauen, damit ich mich in dir verankern kann. Glauben braucht Fragen, Denken und Zeit.

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. 

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