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Glaube, Hoffnung, und Konflikt: Ein Franziskaner erzählt vom Leben und Lernen in Jerusalem

Franziskanerpater Dr. Gregor Geiger und seine Mitbruder beim Gottesdienst

Seit über 20 Jahren lebt und wirkt Pater Gregor Geiger, Franziskaner und Professor für biblisches Hebräisch und semitische Sprachen, in Jerusalem. Die kleine christliche Minderheit steht in den religiösen und politischen Spannungen im Heiligen Land oftmals zwischen den Fronten.

In ihrem vielfältigen Engagement setzten sie sich dafür ein, dass aus dem oftmals konfliktgeladenen religiösen Nebeneinander ein friedliches Miteinander entstehen kann. Doch die politische Situation im Heiligen Land ist vertrackt und immer öfter werden Christen zum Ziel von Feindseligkeit und Angriffe

SILVAN BEER: Was hat Sie motiviert ins Heilige Land zu gehen?

PATER GEIGER: Ich habe das Freijahr (Auslandsjahr) des Theologiestudiums in Jerusalem verbracht, eine sehr positive und prägende Erfahrung, sowohl was das akademische Leben angeht als auch den Dienst der Franziskaner und das Leben in einer internationalen Gemeinschaft. Meine deutschen Ordensoberen waren von meinem Wunsch, ins hl. Land zu gehen, nicht begeistert, da in Deutschland Ordensnachwuchs fehlt. Ein Kompromiss war, dass ich zunächst drei Jahre in Franziskanerpfarreien in Deutschland arbeitete.

Was fasziniert Sie an Jerusalem, warum sind Sie so lange dortgeblieben?

Zunächst meine Arbeit an unserer Fakultät und das Leben in unserer internationalen Gemeinschaft. Der Dienst an den hl. Stätten, den biblischen Orten. Die Arbeit mit Pilgern. Und natürlich das Leben in Jerusalem. In meiner Wahrnehmung überwiegen nach wie vor die positiven Aspekte eines interreligiösen und multikulturellen Nebeneinanders. Auch die Kirche selbst nehme ich hier viel positiver wahr als in meiner deutschen Heimat. Natürlich gibt es auch innerkirchliche Konflikte, es gibt Konservative und Moderne und andere Strömungen. Es gibt jedoch kaum innerkirchliche Grabenkämpfe oder jammerndes Selbstmitleid, wie ich es als (fast) Außenstehender in der deutschen Kirche wahrnehme.

Was ist der Schwerpunkt Ihrer wissenschaftlichen Betätigung?

Ich bin Sprachwissenschaftler (Linguist). Meine beiden Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind die hebräische Sprache des Alten Testaments und der Manuskripte aus Qumran. Beim Alten Testament widme ich mich besonders der Syntax (dem Satzbau), um auch Einzelheiten oder feine Nuancen zu verstehen und sie verständlich machen zu können. Bei den Qumrantexten gibt es viele offene Forschungsfelder, da die Texte erst seit gut 20 Jahren komplett veröffentlicht und jedem zugänglich sind. Gegenwärtig arbeite ich an einer aktuellen deutschen Übersetzung dieser Texte.

Woher kommt dieses Interesse für die biblischen Sprachen?

Schon während meines Theologiestudiums in den 1990er Jahren haben mich die biblischen Fächer (Altes und Neues Testament) besonders interessiert und damit auch die biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch. Als ich 1999 nach Jerusalem gekommen bin, um zunächst zu promovieren und dann am Studium Biblicum Franciscanum (die biblische Fakultät der Franziskaner-Universität in Rom) mitzuarbeiten, bat mich der Dekan, mich auf Hebräisch zu spezialisieren, da der damalige Hebräisch-Professor bald in Ruhestand ging. Ich habe dieser Bitte gerne entsprochen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Bezug auf das interreligiöse Miteinander ein?

Im Hl. Land kann man kaum von „interreligiöse, Miteinander“ sprechen, sondern, wenn es gut geht, von einem „interreligiösen Nebeneinander“. Leider wird das immer wieder (und gegenwärtig sehr stark) von politischen Spannungen überlagert. 

Religion spielt in der Gesellschaft (in Israel wie in Palästina) eine viel stärkere Rolle als in den west- oder mitteleuropäischen Ländern. Die Menschen definieren ihre soziale und ethnische Identität selbstverständlich über ihre religiöse Zugehörigkeit. Das soziale Leben spielt sich fast ausschließlich innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft ab. Deshalb nimmt man Religiosität nicht, wie in den immer weniger religiösen Gesellschaften in Europa als etwas Verbindendes wahr, sondern die Zugehörigkeit zu verschiedenen Religionen ist etwas Trennendes. Die Idee eines „interreligiösen Miteinanders“ hält man hier vor allem für eine westliche (und damit christliche) Idee. Für Juden sind Angehörige anderer Religionen „Heiden“ — goyim), für Moslems „Ungläubige“. Beide fürchten (auch aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit), interreligiöser Dialog sei ein verschleierter Versuch christlicher Mission.

Das heißt nicht, dass es nicht auch gut nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen gäbe, auch zwischen Priestern, Rabbinern, Imamen. Diese bewegen sich aber meistens im persönlichen Bereich, nicht im institutionellen.

Warum gibt es diese Spannungen zwischen den Religionen?

Spannungen zwischen den Religionen sind nicht zuletzt eine Konsequenz der Spannungen und Konflikte zwischen den beiden Völkern, die das Land bewohnen (und es beide für sich beanspruchen): den Juden und den arabischen Palästinensern. Auf beiden Seiten gebraucht (oder missbraucht) man die Religion, um eigene, nationale Ansprüche auf das Land zu untermauern. Das wird dadurch erleichtert, dass Juden wie Moslems aus ihren historischen religiösen Traditionen Ansprüche auf das Land ableiten. Für Juden ist Israel das von Gott verheißene Land, dessen religiöses Herz Jerusalem und der (zerstörte) Tempel ist. Für Moslems ist Palästina Teil der arabischen Nation, mit dem Al-Aqsa-Heiligtum als drittem Heiligtum (neben Mekka und Medina). Den Christen sind solche Ansprüche (abgesehen von der heute schwer verständlichen Kreuzzugsbewegung) fremd.

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Im israelischen (jüdischen) Teil der Gesellschaft kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Der Staat Israel ist, nach eigener Definition, ein „jüdischer Staat“, entstanden nach den Erfahrungen jahrhundertelanger Diskriminierung und Verfolgung, das im Grauen der nationalsozialistischen Barbarei, in der „Schoah“, dem Holocaust, gipfelte. Daher hat die Sicherheit dieses jüdischen Staates und seine Verteidigung gegen Gegner oberste Priorität. 

Wie steht es um das Christentum im Heiligen Land, Israel und den palästinensischen Gebieten?

Das Christentum ist eine kleine Minderheit, etwa 1-2% der Bevölkerung (mit großen regionalen Unterschieden). Die oft kleinen Gemeinden sind sehr lebendig und aktiv (und sehr traditionsverbunden).

Der Anteil der christlichen Bevölkerung sinkt langsam, aber stetig. Das hat mehrere Gründe: Für Christen ist es oft leichter, auszuwandern, da sie durch eine westliche Bildung in christlichen Schulen und durch Verwandte im Ausland (Europa, Amerika, arabische Länder) dort leichter Fuß fassen können (das gilt vor allem für Palästina). Christen haben durchschnittlich weniger Kinder als Muslime und zumindest orthodoxe Juden. Im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sitzen die Christen „zwischen den Stühlen“. Für Israelis sind die palästinensischen Christen Teil des palästinensischen Volkes. Die meisten muslimischen Palästinenser sehen das ebenso, aber durch eine westliche Bildung und durch Kontakte mit westlichen Ländern geraten Christen immer wieder in den „Verdacht“, dadurch dem (westlich geprägten) Israel nahezustehen.

Ein Aspekt, der weniger problematisch ist, als er auf Außenstehende wirkt, ist die Zersplitterung der Christen in über ein Dutzend Konfessionen. Die Christen des Hl. Landes fühlen und definieren sich in erster Linie als Christen, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession ist sekundär. Während, wie gesagt, interreligiöses Miteinander sehr schwierig ist, funktioniert die Ökumene zwischen den christlichen Konfessionen in der Regel gut, auch wenn man dabei andere Wege geht als in gemischt-konfessionellen Gesellschaften in Europa.

Zu den alteingesessenen palästinensischen/arabischen Christen kommt in jüngerer Zeit eine weitere Gruppe hinzu: In Israel gibt es eine große Anzahl von Christen, die nach Israel migriert sind, aus den Philippinen, Indien, Russland, der Ukraine sowie Eritrea. Auch diese großen und wachsenden Gemeinden sind sehr lebendig, die Kirchen sind aktiv, auch in praktischer Hilfe für diese Menschen, die oft unter Armut und Marginalisierung leiden.

Was ist die Rolle der Kirche und der kleinen christlichen Minderheit in der Gesellschaft? 

Die Kirchen werden vor allem in zwei Punkten positiv wahrgenommen: Einmal haben die Kirchen ein reichhaltiges Bildungssystem; die vielen christlichen Schulen (die allen Schülern offenstehen) haben einen guten Ruf, in Bethlehem gibt es eine katholische Universität. Zweitens: Für Israel wie für Palästina ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig. Ein guter Teil der Touristen kommt aus religiösen Motiven (als Pilger); auch für andere Besucher sind die christlichen Kirchen und hl. Stätten ein wichtiges Ziel.

Ansonsten sind für viele Israelis und Palästinenser die Christen und die Kirchen eine Minderheit im eigenen Land, der man, je nach Grundeinstellung, mit Interesse, mit Gleichgültigkeit oder auch mit Misstrauen begegnet.

Welchen Beitrag leistet die katholische Kirche für den Frieden in der Region? Wie setzt sie sich für die Versöhnung ein?

Auf den ersten Blick enttäuschend wenig. Die Kirchen und ihre Mitglieder halten sich von direkter politischer Tätigkeit weitgehend fern. In der Vergangenheit war diese Haltung die einzig mögliche, um den Dienst der Kirchen überhaupt aufrecht halten zu können. Im Prinzip hat sich daran nicht viel geändert. Wäre ich, als Ausländer, in einer Weise politisch aktiv, die der Regierung nicht behagt, würde ich eine Ausreise riskieren.

Trotzdem leisten die Kirchen viel. Schulen und Bildungseinrichtungen, soziale und karitative Institutionen (wie Krankenhäuser oder Anlaufstellen für Mittellose) usw. stehen allen offen. Ein nicht zu unterschätzender Beitrag ist dieser: Die Kirchen im Hl. Land sind auf beiden Seites des israelisch-palästinensischen Konflikt präsent. Das gleiche gilt für die Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg. Manchmal gelingt es, dass Kirchenvertreter dadurch eine Vermittlerrolle übernehmen können.

Franziskaner gelten als Hüter der hl. Stätten…

Wir Franziskaner sehen uns auch selbst als „Hüter der hl. Stätten“; der Obere hat den Titel „Kustos“, Hüter. In der Vergangenheit hieß das ganz praktisch, die hl. Stätten zu erhalten. Das ist eigentlich auch heute noch so. „Hl. Stätte“ heißt aber nicht nur, einen Ort als Erinnerungsort zu bewahren, als Museum oder archäologische Ausgrabungsstätte. Pilger und auch Touristen sollen Orte vorfinden, wo sie Gottesdienste feiern können, beten, meditieren, biblische Texte an Ort und Stelle lesen. Dies ist nach wie vor der Schwerpunkt der Arbeit der Franziskaner, zusammen mit anderen katholischen und weiteren christlichen Gemeinschaften. Dazu kommt der Dienst an den Pilgern selbst. In der Vergangenheit hieß das, für ihre Unterkunft und auch ihre Sicherheit zu sorgen. Heute hat sich dieser Dienst verändert. Für viele modernen Menschen ist eine Kirche oder eine Ruine an einem Ort, an dem angeblich ein biblisches Ereignis stattgefunden hat, eher nichtssagend. Eine behutsame Begleitung kann helfen, dass solche Orte den eigenen Glauben vertiefen oder erneuern können.

Gab es in der letzten Zeit Angriffe auf die katholische Kirche oder die Franziskaner?

(Gewaltsame Angriffe) sind, Gott sei Dank, nicht häufig. Verbale Angriffe, Pöbeleien, Anspucken sind an der Tagesordnung. Vor wenigen Monaten ist ein Mann in die Verurteilungskapelle (die zweite Station des Kreuzwegs, die von den Franziskanern betreut wird – ich selbst lebe dort) eingedrungen, hat eine Jesusstatue vom Sockel gerissen und sie mit einem Hammer schwer beschädigt. Der Mann trug eine Kippa (die jüdische Kopfbedeckung) und hat mit Worten klar gemacht, dass er dies aus religiösen Motiven tat.

Verbale und auch gewaltsame Angriffe hat es auch in den vergangenen Jahrzehnten gegeben. Sie häufen sich in der letzten Zeit. Das mag mit einer weltweiten Tendenz zur Polarisierung zusammenhängen. Die gegenwärtige israelische Regierung macht nicht den Eindruck, entschieden gegen solche Vorkommnisse vorzugehen.

Abt Nikodemus Schnabel berichtete kürzlich, dass er auch persönlich Erfahrungen mit Christenfeindlichkeit gemacht hat. Er sagte: „Ich werde praktisch täglich angespuckt.“ Machen Sie ähnliche Erfahrungen? Wie werden Sie persönlich als Christ, Priester und Mönch wahrgenommen?

„Praktisch täglich“ kann ich nicht bestätigen, eher „praktisch wöchentlich“. Das hat zwei Gründe: Abt Nikodemus ist Abt der Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Jeschiva (einer religiösen Schule), die als nationalistisch und aggressiv gilt. Als Abt trägt er über seiner Kutte ein Brustkreuz (an meinem Franziskaner-Habit gibt es kein sichtbares Kreuz); das Kreuz wird von vielen Juden als Provokation wahrgenommen.

 Durch meine Kutte bin ich als Christ und Ordensmann sichtbar. Negative Reaktionen teilen sich in zwei Gruppen: Manche schauen demonstrativ an mir vorbei oder halten ihren Kindern die Augen zu, damit sie mich nicht sehen müssen. Das kommt vor allem bei ultraorthodoxen Juden vor, die oft seit Jahrzehnten oder Generationen im Heiligen Land leben. Das andere sind verbale Angriffe oder, sehr verbreitet, Spucken. (Meistens Ausspucken neben oder vor mir, seltener direktes Anspucken). Das sind vor allem „national-religiöse“ Juden, in westlicher Kleidung, aber mit Kippa oder anderen jüdisch-religiösen Kleidungsstücken. Auffällig ist: Wenn ich darauf reagiere, stelle ich oft fest, dass mein Gegenüber nicht oder nur wenig Hebräisch spricht, sondern Englisch.

Hinweis: Dieser Meinungsbeitrag der Reihe "Im Gespräch" ist kein Beitrag der Redaktion von CNA Deutsch. Weder Form noch Inhalt noch die geäußerten Ansichten und Formulierungen macht sich die Redaktion von CNA Deutsch zu eigen. 

 
 
 

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