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„Gott wirkt auch heute noch“: Kirchenhistoriker Ernesti über seine neue Papstgeschichte

Jörg Ernesti

Das neue Buch „Geschichte der Päpste seit 1800“ von Jörg Ernesti dürfte auf absehbare Zeit als Standardwerk der jüngeren Papstgeschichte gelten. CNA Deutsch sprach mit dem Augsburger Kirchenhistoriker über sein Werk.

Mit einigen Päpsten – Leo XIII., Benedikt XV., Paul VI. – hatten Sie sich schon beschäftigt und jeweils umfangreiche Biografien vorgelegt. Nun kamen weitere 13 Päpste seit 1800 hinzu, insgesamt also 16. Was hat Sie bei den Arbeiten an „Geschichte der Päpste seit 1800“ am meisten überrascht?

Wenn man ein Buch schreibt, lernt man selbst am meisten hinzu. Natürlich waren mir als Kirchenhistoriker die einzelnen Päpste auch schon vorher bekannt. Aber überrascht hat mich doch, was für unterschiedliche Charaktere diese Männer an der Spitze der katholischen Kirche waren – und wie verschieden sie dieses Amt mit Leben erfüllt haben.

Papst Franziskus hat drei seiner Vorgänger aus den letzten Jahrzehnten heiliggesprochen. Sie erwähnen im Buch die Frage der Heiligsprechungen und bezeichnen sie als „auch ein Stück Kirchenpolitik“. Müsste man Ihrer Meinung nach mit Heiligsprechungen vorsichtiger sein oder sie zumindest weniger bald nach dem Ableben der jeweiligen Päpste vornehmen, als dies zuletzt der Fall war?

Zu den drei heiligen Päpsten dieser Epoche (Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul II.) kommen ja noch zwei Päpste hinzu, die seliggesprochen wurden (Pius IX., Johannes Paul I.), und zwei, bei denen das Seligsprechungsverfahren fortgeschritten ist (Pius VII., Pius XII.). So viele als heilig und selig verehrte Päpste hat es zuletzt im Altertum gegeben.

Ich persönlich finde daran nichts Negatives, im Gegenteil. Es ist ein Zeichen: Gott wirkt auch heute noch in seiner Kirche und nimmt Menschen in Besitz, um durch sie das Gute zu wirken. Das heißt nicht, dass diese Menschen nicht auch Fehler gemacht haben, die ein Historiker als solche benennen darf.

Im Buch fragen Sie angesichts der Anforderungen an einen Papst in der heutigen Zeit, was etwa Theologie, Außenpolitik und Medien angeht: „Sind die Erwartungen an einen Papst heute nicht zu hochgeschraubt?“ Wie beantworten Sie Ihre eigene Frage?

Es hat seit dem Jahr 1800 ungewöhnlich viele bedeutende Persönlichkeiten an der Spitze der Kirche gegeben. Es sind neue Erwartungen an den jeweiligen Amtsinhaber hinzugekommen: Reisen durch die ganze Welt auf sich zu nehmen, in den Medien präsent zu sein, in den internationalen Konflikten dieser Welt für den Frieden zu wirken.

Es dürfte heute in der Tat schwieriger sein, Personen zu finden, die diesem Anforderungsprofil gerecht werden. Für uns Katholiken ist es immerhin tröstlich, dass den Päpsten der besondere Beistand Jesu Christi im Heiligen Geist versprochen ist. Ein Nachfolger Petri darf sich also bewusst sein, dass er das alles nicht allein aus eigener Kraft leisten muss.

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Yuval Levin meint, dass sich moderne Politiker der jeweiligen Institutionen bedienen, denen sie angehören, um sich eine persönliche Plattform zu schaffen, damit sie in der Öffentlichkeit präsent sind. Umgekehrt sei es traditionell der Fall gewesen, dass sich Politiker durch die Institutionen formen lassen. Wie würden Sie dies auf das Spannungsfeld zwischen dem Amt des Papstes und der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers anwenden?

Wenn Sie sich nacheinander mit verschiedenen Päpsten einer Epoche beschäftigen, dann ist nicht nur die Unterschiedlichkeit der Charaktere überraschend, sondern noch etwas anderes: Die meisten dieser Päpste haben auf ihre Weise etwas zur Entwicklung und Formung dieses Amtes beigetragen. Leo XIII. etwa hat im späten 19. Jahrhundert die Grundlinien der modernen vatikanischen Außenpolitik gezeichnet. Sein Nachfolger Pius X., ein erfahrener Seelsorger, hat das Papstamt wie zuvor das Bischofsamt ausgeübt und seine langjährigen pastoralen Erfahrungen in das Amt einfließen lassen. Paul VI. hat seine Erfahrungen als Mitarbeiter dreier Päpste in seine große Kurienreform einfließen lassen.

Sie beschreiben in „Geschichte der Päpste seit 1800“, dass auf einen Papst aus dem einen „Lager“ beim nächsten Konklave häufig ein Papst aus dem anderen „Lager“ folgt, wenigstens aber ein Kompromiss zwischen beiden „Lagern“. Was erwarten Sie vor diesem Hintergrund nach Papst Franziskus, der ja immerhin die Mehrheit der beim nächsten Konklave wahlberechtigten Kardinäle ernannt hat?

Obwohl für das Konklave strengste Geheimhaltung gilt, wissen wir ziemlich viel über die neuzeitlichen Papstwahlen. Nach meinem Eindruck haben fast alle Päpste seit 1800 möglichst viele Kardinäle ernannt, und natürlich auch solche, die ihrem eigenen Denken nahestanden. Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt aber auch, dass das noch nichts heißen muss. Manchmal entwickeln sich im Konklave Dynamiken, die man nicht vorhersehen konnte.

Abschließend: Haben Sie einen Lieblingspapst, vielleicht auch aus der Zeit vor 1800?

Bei der Beschäftigung mit diesen 16 Päpsten habe ich immer wieder festgestellt, dass die meisten von ihnen sympathische Züge haben. Pius IX. hatte einen feinen Humor. Leo XIII. hat Noblesse ausgestrahlt. Pius X. war persönlich sehr bescheiden, fast demütig. Wer bewundert nicht die Liebenswürdigkeit von Johannes XXIII.? Ich persönlich darf mich immer wieder mit Paul VI. beschäftigen, der keine ganz einfache, aber eine faszinierende Persönlichkeit war.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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