27 Juli, 2025 / 8:00 AM
Der Untertitel des neuen Buches von Heinz-Lothar Barth, „Christen in Ost und West“, zeigt deutlich auf, was seine Leser erwartet: „Wo wurde die apostolische Tradition treuer bewahrt?“ Im Ost- oder im Westchristentum? Diese Frage kann theologisch-theoretisch betrachtet werden, oder auch theologisch-praktisch. Der Rezensent wählt die letztgenannte Weise und blickt zunächst zurück auf einen weithin bekannten ehemaligen Benediktiner.
Der im Jahr 1940 in Köln geborene Jochen Bunge trat im Alter von 22 Jahren in die belgische Benediktiner-Abtei Chevetogne ein, wo er seinen Ordensnamen Gabriel erhielt, unter dem er zu einem renommierten Spezialisten für das frühe Mönchtum wurde. In seinem Kloster werden sowohl die römische wie die (katholische) byzantinische Liturgie in je eigenen Kirchen gefeiert. Ab 1980 lebte Pater Gabriel als Einsiedler im Tessin (Schweiz). 30 Jahre später wurde er in die russisch-orthodoxe Kirche aufgenommen. Metropolit Hilarion – damals verantwortlich für die Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats – begrüßte „Vater Gabriel“ herzlich mit den Worten: „Sie waren ein Katholik, aber tief in Ihrem Herzen ein Orthodoxer. Heute, vor Beginn der Nachtvigil, sind Sie orthodox geworden, demzufolge hat auf natürliche Weise ein langer geistlicher Weg seine Erfüllung gefunden.“ Bunge erhielt 1981 das große Schema (Mönchsgewand) und ein weiteres Jahr darauf den Titel eines „Archimandriten“ (Vorsteher, Abt).
Über die Gründe dafür, dass Gabriel Bunge russisch-orthodox wurde, berichtete er in dem 2001 erschienenen Beitrag „Rückkehr zur Einheit“. Leider ist dieser Text nicht mehr leicht zugänglich, da die Original-Webseite – wie die meisten russischen Internetmedien –, vom Westen gesperrt wurde. Bunge schrieb damals: „Ich habe entdeckt, daß die Orthodoxe Kirche … über allen ethnischen und jurisdiktionellen Trennungen, über alle Konkurrenz und allerlei Skandale hinweg diese absolute Priorität der Treue zur apostolischen Überlieferung besitzt. Es genügt nicht, nur der Schrift treu zu sein, worauf ja die Protestanten bestehen, die danach mit derselben Schrift machen, was sie wollen, jeder auf seine Weise. Man kann die Schrift nicht von der Kirche trennen. Der wahre Sinn der Treue zur Überlieferung ist auch nicht nur die Bewahrung einer Reihe von Doktrinen oder Gepflogenheiten, nur weil diese alt und ehrwürdig sind. Sondern der Sinn ist die Koinonia, das heißt, die lebendige Gemeinschaft mit denen, die vor uns auf gleiche Weise in die Gemeinschaft mit Christus und Seinem Vater getreten sind.“
Mit solchen und ähnlichen Begründungen sind in den Folgejahren zahlreiche Katholiken zur russisch-orthodoxen Kirche oder anderen nicht-katholischen Ostkirchen übergetreten. Manche zeigten, ohne die katholische Kirche offiziell zu verlassen, ihre Sympathien für diese Kirchen, indem sie deren Gottesdienste besuchten. Man kann spekulieren, ob dafür die wunderbaren östlichen Liturgien ausschlaggebend waren, oder aber der Verlust des Heiligen in der katholischen Kirche. Sicherlich war das Phänomen während des Pontifikats von Papst Franziskus verstärkt zu beobachten – in der Regel weit weniger reflektiert als bei Gabriel Bunge.
Mit Recht erinnert Barth an ein Wort des Kirchenrechtlers Georg May, das er Papst Paul VI. entlehnte, der von der „Selbstzerstörung der Kirche“ sprach. Menschen wenden sich den Ostkirchen zu, weil sie meinen, dort würden die Klarheit und Exaktheit des Glaubens besser bewahrt als in der lateinischen Kirche. Wer Barths Buch liest, wird erstaunt sein.
Wer ihn kennt, weiß, wie akribisch Barth für seine Schriften und Bücher studiert und für seine Argumente Beweise liefert. Fast 800 Anmerkungen sind hinterlegt und ermutigen zum weiteren Studium. Sein Buch ist übersichtlich und nachvollziehbar aufgebaut und in elf große Kapitel unterteilt. Diese behandeln „das Verhältnis zu den Orientalen“; fragen nach, „ob eine Einheit mit den orientalischen Christen möglich ist“; erläutern „dogmatische Unterschiede zu den von Rom getrennten Christen des Ostens“; thematisieren die „Unbefleckte Empfängnis Mariens“. Barth bespricht ausführlich den „Primat des Papstes“; er stellt sich der Diskussion um das „filioque“; weiterhin werden Fragen des „priesterlichen Zölibats“ behandelt; die „Ehe bei den Orthodoxen“ untersucht; es werden der „Streit um die Epiklese“ und um das „Fegfeuer“ behandelt; zuletzt geht es „um die Messe ohne Wandlungsworte“ sowie um „die altorientalischen Kirchen“.
Die Gültigkeit und Notwendigkeit der sogenannten „Rückkehrökumene“ steht für den Autor außer Zweifel. Es wundert nicht, dass das auf Cyprian von Karthago zurückgehende Wort „extra ecclesiam nulla salus“ (außerhalb der Kirche gibt es kein Heil) innerhalb der katholischen Kirche nur noch wenig Beachtung findet.
Gleichzeitig muss man differenzieren, wie es etwa Papst Pius IX. tat: „Selbstverständlich muss als Glaubensgut festgehalten werden, dass außerhalb der Apostolischen Römischen Kirche niemand gerettet werden kann, dass die Kirche die einzige Arche der Rettung ist und dass jeder, der darin nicht eintritt, in der Sintflut umkommen wird. Auf der anderen Seite muss ebenso als gewiss festgehalten werden, dass jene, die in Unwissenheit über die wahre Religion leben, falls eine solche Unwissenheit unüberwindlich ist, sich in den Augen des Herrn keinerlei Schuld zuziehen“ (Pius IX., Ansprache „Singulari qua“ 1854; vgl. die Einführung zu DH 2901–2980).
Gerade von Seiten der katholischen Kirche werden seit Jahrzehnten „ökumenische Positionen“ formuliert, die bei näherer Ansicht gekennzeichnet sind von „immer wieder auftretenden Ungereimtheiten bis hin zu direkten Widersprüchen“, so Barth. Er stellt fest, dass die orthodoxen Amtsträger auf römische Ökumene-Vorstöße keinesfalls rundum begeistert reagieren, sondern eher kühl abwarten. Hier scheut sich Barth nicht zu sagen, dass die von Christus gewollte und eingesetzte päpstliche Autorität nicht erst mit Franziskus „jämmerlich versagt“ habe.
Das vorliegende wichtige Buch von Heinz-Lothar Barth spricht eine klare katholische Sprache. Darum sei es an dieser Stelle nicht nur Fachtheologen empfohlen, sondern allen am Thema interessierten. Besonders jedoch den Lehrenden und pastoral-wirkenden Mitarbeitern sei das Buch an die Hand gegeben, damit sie die Wahrheit vortragen und verkünden und nicht eigenen oder anderer modernen Wunschvorstellungen erliegen.
Barth schreibt am Ende seines Buches: „Damit beim Leser kein Mißverständnis aufkommt: So sehr wir besagte Abweichungen von der katholischen Doktrin gerade bei Orthodoxen und Orientalen bedauern, die so viel Herrliches in ihrer Tradition, besonders in der Liturgie, bewahrt haben, so deutlich begrüßen wir es auf der anderen Seite, daß Christen unterschiedlichen Glaubens nicht um eines ökumenistischen Einheitsbreis willen ohne innere Überzeugung (die manche derjenigen, die vorschnell alles über Bord zu werfen bereit sind, vielleicht auch nie bezüglich der eigenen Lehre besessen haben!) auf ihnen angestammte Positionen verzichten. Man muß hier immer wieder den Hl. Geist um die rechte Erleuchtung der Irrenden anflehen, aber nicht minder darum bitten, daß es uns Katholiken selbst gelingen möge, ihnen zwar mit Klarheit, aber auch mit Klugheit und in Geduld und Demut die Wahrheit nahezubringen.“
Heinz-Lothar Barth: Christen in Ost und West. Wo wurde die apostolische Tradition treuer bewahrt?; Sarto-Verlag 2025; 424 Seiten; 19,80 Euro; ISBN 978-3964060846.
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