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Der heilige John Henry Newman: Ein mutiger Zeuge für die Wahrheit wider den Zeitgeist

Pater Geißler ist Leiter des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde in Rom.

"Von Anfang an habe ich gegen ein großes Zeitübel gekämpft: seit dreißig, vierzig, fünfzig Jahren bemühe ich mich nach meinen besten Kräften, den Geist des Liberalismus im Religiösen abzuwehren". Dieses Wort stammt aus der bekannten Rede, die John Henry Newman hielt, als ihm am 12. Mai 1879 die Bulle mit der Ernennung zum Kardinal überreicht wurde. Im religiösen Liberalismus sah Newman die größte Herausforderung für das Christentum der Moderne. Der gläubige Einsatz für die geoffenbarte Wahrheit zieht sich wie ein roter Faden durch Newmans Leben und Wirken. Gerade darin ist uns der englische Theologe und Seelsorger, den Papst Franziskus am 13. Oktober 2019 in die Schar der Heiligen aufnehmen wird, ein großes Vorbild.

Ich selbst und mein Schöpfer

Schon als Jugendlicher besaß Newman, der am 21. Februar 1801 in London geboren wurde, einen natürlichen Sinn für Religion. In der Bibel fand er ethische Grundsätze, die ihm einsichtig waren. Was ihm aber fehlte, waren echte Glaubensüberzeugungen. So hatte er bald mit Versuchungen zum Unglauben zu kämpfen. Ein Gentleman wollte er sein, aber kein Gottgläubiger: "Ich erinnere mich des Gedankens, ich möchte wohl tugendhaft sein, aber nicht religiös. Ich hatte nicht erkannt, was es für einen Sinn hätte, Gott zu lieben".

Inmitten dieser inneren Stürme kam es zur ersten Wende in seinem Leben, die er oft seine "erste Bekehrung" nannte. Er musste damals die Sommerferien im Internat verbringen und las auf Anregung eines Lehrers das Buch "Die Macht der Wahrheit" von Thomas Scott. Die Lektüre dieses Buches traf ihn mitten ins Herz: "Ich ließ mich in dem Gedanken Ruhe finden, dass es zwei und nur zwei Wesen gebe, die absolut und von einleuchtender Selbstverständlichkeit sind: ich selbst und mein Schöpfer". Dem Buch von Scott entnahm er zwei Worte, die sein ganzes Leben prägen sollten: "Heiligkeit vor Frieden" und "Wachstum ist der einzige Beweis des Lebens".

Von dieser ersten Bekehrung an strebte Newman danach, der Wahrheit entschieden zu folgen. "Als ich 15 Jahre alt war (im Herbst 1816) ging in meinem Denken eine große Änderung vor sich. Ich kam unter den Einfluss eines bestimmten Glaubensbekenntnisses, und mein Geist nahm dogmatische Eindrücke in sich auf, die durch Gottes Güte nie mehr ausgelöscht und getrübt wurden". In der Folge wurden die großen christlichen Glaubenswahrheiten - die Menschwerdung Gottes, das Werk der Erlösung, die Gabe des Heiligen Geistes - in ihm mehr und mehr eine lebendige Wirklichkeit.

Eine zweite Reformation

Nach Abschluss seiner Studien wurde Newman Professor in Oxford und bald darauf anglikanischer Geistlicher. In diesen Jahren kam er unter den Einfluss der hochkirchlichen Richtung des Anglikanismus, die sich vor allem an der Alten Kirche orientierte. Er lernte die Kirchenväter kennen, die inmitten einer heidnischen Welt den Glauben verkündet hatten. Zugleich sah er mit Sorge, dass liberale Strömungen in Oxford und in ganz England zunehmend an Einfluss gewannen - mit der Folge, dass man den Glauben zunehmend aus dem öffentlichen Leben verdrängte. 

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, rief Newman zusammen mit einigen Freunden 1833 die Oxford-Bewegung ins Leben. Die führenden Männer dieser Bewegung waren davon überzeugt, dass England vom Glauben abgefallen war und einer "zweiten Reformation" bedurfte - einer tiefgehenden dogmatischen, liturgischen und geistlichen Erneuerung im Geist der Alten Kirche. Das Grundprinzip der Oxford-Bewegung fasste Newman so zusammen: "Mein Kampf galt dem Liberalismus. Unter Liberalismus verstehe ich das antidogmatische Prinzip mit allen seinen Konsequenzen. Von meinem fünfzehnten Lebensjahr an war das Dogma das Fundamentalprinzip meiner Religion; eine andere Religion kenne ich nicht; den Begriff einer anderen Religion kann ich mir nicht denken; Religion als bloßes Gefühl ist für mich Traum und Blendwerk. Man könnte ebenso gut von Kindesliebe ohne Eltern sprechen, als von Frömmigkeit ohne die Tatsache eines höchsten Wesens".

Durch Predigten und die Veröffentlichung von "Tracts" - Flugschriften, die wie Blitze aus heiterem Himmel einschlugen - wollten die Führer der Oxford-Bewegung die Gewissen der Menschen aufrütteln. Newman wusste, dass sein Kampf gegen den Zeitgeist nur dann Aussicht auf Erfolg hatte, wenn er ein festes Fundament unter den Füßen hatte. Dieses Fundament fand er in den Schriften der Kirchenväter, die er als die wahren Zeugen des christlichen Glaubens liebte.

Die eine Herde des Erlösers

Um dem Anglikanismus eine festere theologische Grundlage zu geben, entwickelte Newman die Theorie der Via media. Damit wollte er zeigen, dass die anglikanische Gemeinschaft - in Abgrenzung zum Protestantismus, der Wahrheiten des Glaubens aufgegeben hatte, und zum Katholizismus, der neue Wahrheiten (so meinte er damals) hinzugefügt hatte - als Via mediadas Erbe der Alten Kirche in Treue wahrte. Beim Studium der Kirchengeschichte machte er aber eine Entdeckung, die ihn erschütterte. Zwischen den Arianern und Rom hatte es schon im vierten Jahrhundert eine Via media gegeben: die Semi-Arianer. Die Wahrheit lag jedoch nicht bei ihnen, sondern auf der Seite Roms. Die Theorie der Via mediabrach wie ein Kartenhaus zusammen.

In der Folge zog sich Newman nach Littlemore, einem kleinen Dorf bei Oxford, zurück, um in Gebet, Fasten und Studium nach der wahren Kirche zu suchen. Vor allem eine Frage beschäftigte ihn: Wenn die katholische Kirche in der apostolischen Sukzession ist, wie kann man dann die Lehren rechtfertigen, die scheinbar nicht zum Glaubensgut der Alten Kirche gehören? Die Antwort auf diese Frage fand er während seiner Arbeit an der Studie über die Entwicklung der Glaubenslehre, die ein theologischer Klassiker werden sollte: Die neueren katholischen Dogmen sind keine Verunstaltungen des Glaubens, sondern authentische Entwicklungen der von Gott geschenkten Offenbarung.

Je weiter Newman in seiner Studie voranschritt, desto klarer erkannte er, dass die Kirche Roms die Kirche der Väter ist. Am 9. Oktober 1845 konvertierte er zur katholischen Kirche, die er als "die eine Herde des Erlösers" erkannt hatte. Auf Grund seiner Liebe zur Wahrheit und seiner Bereitschaft, dem Ruf des Gewissens ohne Wenn und Aber zu folgen, ist er eine eminent ökumenische Gestalt.

Beweise für die Wahrheit

Bald nach der Konversion wurde Newman zum katholischen Priester geweiht und gründete das Oratorium des heiligen Philipp Neri in Birmingham. In seinen vielfältigen Aufgaben als Seelsorger und Theologe bemühte er sich um die intellektuelle und geistliche Bildung der Katholiken. Er war davon überzeugt, dass die Gläubigen für die Herausforderungen der Moderne gewappnet werden mussten. Sie sollten den Glauben gut kennen und fähig sein, ihn auch zu verteidigen.

Neben vielen anderen Werken veröffentlichte er 1870 seine umfangreiche Studie über die Zustimmungslehre. In diesem Buch, ebenfalls ein Klassiker der Theologie, analysiert er den Akt, mit dem der menschlichen Geist der Offenbarung zustimmt. Er zeigt, wie der einfache Christ in Fragen des Glaubens zur Gewissheit gelangt. Der Schlussteil dieses Buches enthält einen Abschnitt, in dem er "Beweise" für die geoffenbarte Wahrheit in Konfrontation mit der natürlichen Religion, den Verheißungen des Volkes Israel und den Religionen im römischen Reich darlegt. Dieser Abschnitt ist fast so etwas wie eine moderne Apologetik des Christentums inmitten einer zunehmend pluralistischen und multireligiösen Kultur.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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"Die natürliche Religion ist auf das Sündenbewusstsein gegründet; sie erkennt die Krankheit, aber sie kann nach dem Heilmittel nur ausschauen, sie kann es nicht finden. Dieses Heilmittel sowohl für die Schuld als auch für das sittliche Unvermögen findet in der zentralen Lehre der Offenbarung, dem Mittleramt Christi, seine Lösung. Daran liegt es, dass das Christentum die Erfüllung der dem Abraham gegebenen Verheißung und der messianischen Offenbarung ist. Das erklärt, wie es von Anfang an imstande gewesen ist, die Welt in Besitz zu nehmen und in jeder Klasse der menschlichen Gesellschaft Fuß zu fassen, zu der seine Prediger vorgedrungen sind… Es führt jene Gabe mit sich, die eine tiefe Wunde der menschlichen Natur zu schließen und zu heilen vermag - eine Gabe, die mehr für seinen Erfolg arbeitet als eine ganze Enzyklopädie wissenschaftlicher Erkenntnis und eine ganze Kontroversbibliothek; und darum muss es fortbestehen, solange die menschliche Natur fortbesteht. Es ist eine lebendige Wahrheit, die niemals alt werden kann. Was uns mit dem Christentum verbindet, ist das Unsichtbare, nicht das Veraltete. Bis zum heutigen Tag rufen seine Riten und Bräuche das aktive Eingreifen jener Allmacht herbei, mit der die Religion vor langer Zeit begann. An erster und höchster Stelle steht die heilige Messe, in der er, der einst am Kreuz für uns starb, durch seine wörtlich zu verstehende Gegenwart in ihr dasselbe eine Opfer vergegenwärtigt und verewigt, das nicht wiederholt werden kann. Gleich danach kommt sein wirkliches Eintreten mit Seele und Leib und Göttlichkeit in die Seele und den Leib jedes Frommen, der zu ihm kommt, um diese Gabe zu erlangen - ein Privileg, viel inniger, als wenn wir mit ihm während seines lang vergangenen Verweilens auf der Erde lebten. Und dann sein persönliches Wohnen in unseren Kirchen, das den irdischen Dienst zu einem Vorgeschmack des Himmels erhebt. Das ist die Aufgabe des Christentums, und ich wiederhole: Gerade dass es unsere Bedürfnisse erahnt, ist an sich ein Beweis dafür, dass es ihre wirkliche Erfüllung ist".

Newman erfasste die großen Herausforderungen unserer Zeit – zwischen Glaube und Unglaube, zwischen der christlichen Botschaft und dem aufkommenden Relativismus, der das Christentum zu einer von vielen Möglichkeiten auf dem Supermarkt der Religionen degradiert. Er versuchte, auf diese Herausforderungen zu antworten und den Menschen Hilfen zum Glauben anzubieten. Diesem Ziel dienen etwa seine hoch aktuellen Ausführungen über Glaube und Vernunft, über die Bedeutung des Dogmas, über die Sendung der Kirche und die Rolle der Laien, über die Bedeutung des Gewissens. Nicht ohne Grund wird er deshalb immer wieder "Kirchenvater der Neuzeit" genannt.

Protest gegen den religiösen Liberalismus

Bei der eingangs erwähnten Rede anlässlich der Ernennung zum Kardinal erneuerte Newman seine Kritik am Liberalismus in der Religion. Er beschrieb diese Mentalität damals mit Worten, die von geradezu prophetischer Bedeutung für unsere Zeit sind: Der religiöse Liberalismus ist "die Lehre, dass es keine positive Wahrheit in der Religion gibt, dass vielmehr ein Glaubensbekenntnis so gut ist wie das andere… Die geoffenbarte Religion ist nicht Wahrheit, sondern Gefühl und eine Sache des Geschmackes, keine objektive Tatsache, nicht übernatürlich, und jeder Einzelne hat das Recht, sie das sagen zu lassen, was ihm passt… Über die Religion eines Menschen nachzudenken, ist ebenso anmaßend, wie sich um die Quellen seines Einkommens und die Führung seiner Familie zu kümmern. Religion ist in keiner Weise ein gesellschaftliches Band".

Heute ist die von Newman kritisierte Mentalität im Westen weithin zum Zeitgeist geworden. Der heilige John Henry Newman ruft uns auf, keine falschen Kompromisse mit dem Zeitgeist zu machen, sondern mutig für den geoffenbarten Glauben einzutreten. Denn auch heute ist Jesus Christus der Weg und die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6).

Der Autor ist Mitglied der geistlichen Familie "Das Werk" und Leiter des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde in Rom (www.newmanfriendsinternational.org).

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