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Bis zur Apokalypse: "Die Kirche des Wortes lebt in der Welt der Bilder"

Das irdische Jerusalem
Das Letzte Gericht (Ausschnitt) von Stefan Lochner, entstanden um 1435.
Himmlisches Jerusalem: Ausschnitt aus der Ottheinrich-Bibel, gemalt von Matthias Gehrung um das Jahr 1530
Klaus Berger in der Ewigen Stadt.

Am heutigen 25. November 2020 wäre der Theologe Klaus Berger 79 Jahre alt geworden. CNA Deutsch veröffentlicht in memoriam seinen unvergessenen Essay aus dem Jahr 2017.

Was haben das Himmlische Jerusalem, die politische Vision Europas und das Buch der Offenbarung miteinander zu tun? Was sagen sie uns über die Zukunft der Kirche und das Ende der Welt? 

Die Antwort hat am Bibelinstitut der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom im Mai 2017 der Theologe Klaus Berger in einem bemerkenswerten Vortrag formuliert. CNA publiziert die Rede in einer gekürzten Fassung.

Eine himmlische Stadt 

Die Offenbarung des Johannes ist ein prophetisches Buch, der Einfluss Ezechiels lebt auf jeder Seite. Sie ist aber das einzige prophetisch-politische Buch des Neuen Testaments, und mit dem Stichwort Rom [dem Ort des Vortrags, Anm.d.R.] ist ihr Thema die Universalgeschichte.

Aber wie in der Apostelgeschichte gibt es hier Universalgeschichte nicht im Sinne Hegels, sondern als Kirchengeschichte, die noch stärker als in der Apostelgeschichte mit einer dezidiert jüdisch-prophetischen Brille gesehen wird. Heißt doch das Stadium am Ende der Geschichte nicht "Reich Gottes" wie bei Jesus, sondern "neues Jerusalem" als "neue Schöpfung" – eine faszinierende Verbindung von jüdischem Lokalpatriotismus mit der entgrenzten Vision einer neuen Welt.Und diese neue Welt ist nun entgegen der Behauptung der Weltkarte Martin Waldseemüllers von 1507 und der Pilgrim Fathers sowie der britischen Apokalyptik nicht Amerika, sondern etwas sehr viel anderes, also etwas ganz Schönes.

Drei Dinge scheinen für unsere heutigen Fragen und Nöte ganz hilfreich: Welcher Art ist diese Vision, welches sind die Folgen für das Verständnis von Kirche und welche Rolle spielen die Märtyrer für diese Kirche?

Die extrovertierte Mystik der Edelstein-Theologie

Die Vision ist eine himmlische Stadt mit 12 Toren, eine Stadt mit kristallklarem Wasser und einem Hain von Lebensbäumen. Eine Stadt, in der das, was die Menschen in Rom seit 2500 Jahren zur Verzweiflung treibt, nicht besteht, vom Abfallproblem bis zum Tourismus.

Der Prophet Johannes schildert in Kapitel 21 und 22 seines Buches allerdings auch nicht die Einwohner dieser Stadt, sie scheint menschenleer. Es ist wie bei dem genialen Franzosen Le Corbusier und der Wallfahrtskirche in Ronchamp: Sie scheint aufgebaut aus großen Würfeln und Säule aus Licht. Dieses Licht ist das Strahlen von Edelsteinen, die bekanntlich außer dem Weinstock als die letzte Erinnerung an das Paradies noch existieren und die am Ende heilsam, therapeutisch also und in makelloser Reinheit von Gott der Welt wieder geschenkt werden. Meine Frau und ich haben bei unserer Übersetzung des Neuen Testaments die Farben, das tiefe Leuchten dieser Steine zu rekonstruieren versucht, und das heißt dann so (Apk 21,17-21):

Die Stadtmauer ist 144 Ellen (der Engel übernahm das Menschenmaß) hoch und ebenso dick. /  Die Stadtmauer ist aus Jaspis erbaut, die Stadt selbst aus glasreinem Gold. /  Die Fundamente der Stadtmauer sind von großer Schönheit, denn sie bestehen aus verschiedenfarbenen Edelsteinen. Das erste Fundament ist aus grünlichem Jaspis, das zweite aus blauem Saphir, das dritte aus rotem Chalzedon, das vierte aus hellgrünem Smaragd, /  das fünfte aus rotbraunem Sardonyx, das sechste aus gelbrotem Karneol, das siebte aus goldgelbem Chrysolit, das achte aus meergrünem Beryll, das neunte aus gelbglänzendem Topas, das zehnte aus goldgrün schimmerndem Chrysopras, das elfte aus dunkelrotem Hyazinth, das zwölfte aus purpurnem Amethyst. / Die zwölf Tortürme sind zwölf Perlen, jeder Torturm besteht aus einer einzigen Perle, und die Hauptstraße der Stadt ist aus glasreinem Gold.

Städte machen Leute, so wie andernorts Kleider Leute machen; so heißt es im Perlenlied von dem erlösten Erlöser: "mein prächtiges Kleid, das in herrlichen Farben mit Gold gewirkt war, mit kostbaren Edelsteinen und Perlen verziert,  auch mit weißlich-gelben Beryllen, roten Chalzedonen und glasklaren Opalen, verschiedenfarbigen Sardonyxen, kunstvoll gefertigt hoch oben im Königspalast, die Säume mit Diamantspangen befestigt." (Perlenlied: 112, 82-85)

Neben das "Städte machen Leute" tritt hier ganz selbstverständlich das "Kleider machen Leute". – Das Mittelalter kennt eine eigene Edelstein-Theologie, in der das Licht der Steine so etwas wie sakramentale Bedeutung hat.

Man könnte diese Mystik extrovertiert nennen. Aber überall dort, wo die Mystik das Erbe der biblischen Visionen antritt, wie bei Hildegard von Bingen, werden die visionären Elemente Teile eine hinreißenden theologischen Sprache. So habe ich in meinem Kommentar seitenlang Hildegard von Bingen neben Brigitta von Schweden zitiert und zu würdigen versucht.

Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung

Diese Vision über das Ende, den Sinn und das Ziel des Ganzen ist weder humanitär noch ökonomisch noch ökumenisch, kurzum sie bietet keine universale Bahnhofsmission. Sondern wie bei Le Corbusier prägt das Haus aus Licht die Menschen, denn dort, wo keine Träne und keine Verzweiflungsschreie mehr sind, ist alles funkelndes Licht. Jede romanische Basilika, jede gotische Kathedrale ist um dieses Lichtes willen gebaut.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Unter den Künstlern bietet Lionel Feininger Ansätze zu dieser Erinnerung der Kathedrale aus Licht. Und als sich Adenauer und de Gaulle 1962 in der Kathedrale von Reims trafen, war eben dieses ein Bild der Vision von Europa, die allenthalben entfallen zu sein scheint. Frieden in einer Kathedrale - für mich der Maßstab glaubwürdiger Politik, ausgerechnet aus der Apokalypse, die für so viele Perversitäten ihren kostbaren Namen hergeben muss.

Apokalypse heißt Offenbarung, Offenlegen des Unsichtbaren und Verborgenen, Offenlegen der verborgenen Dimensionen der Wirklichkeit. Apokalypse ist also nicht Wahrsagerei oder Einladung zu hemmungslosem Allegorisieren. Gewiss, es gibt ein Geheimnis der Erlösung. Aber dieses Geheimnis besteht nicht in der Frage, wer denn nun eigentlich der Antichrist war, ob Hitler oder die Sekretärin von Goebbels.

Wahr ist vielmehr auch in der Apokalypse: Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Erinnerung an Jerusalem, an Sion (wie in dem Psalm: Als wir dein gedachten Sion), an den Untergang Babylons und den Auszug aus Ägypten, an das intakte 12-Stämme-Volk, an die Bundeslade, die zur Zeit der Abfassung der Apokalypse schon jahrhundertelang verschwunden war. Erinnerung an das Paradies, seine Bäume und Flüsse und also auch an die Edelsteine. – Diese Erinnerung aber ist wie Baumaterial für Messe und Stundengebet, für ungezählte Orationen und Homilien, bis hinein in die Gebete aus Glockeninschriften, die seit 1958 meine besondere Liebe sind.

Die Kirche der Zukunft ist die der Offenbarung des Johannes

Das Wichtigste aber, das die Apokalypse heute bietet, ist ihr Kirchenverständnis. Sie lehrt uns, Kirche vor allem von der Zukunft her zu verstehen, also von dem her, was ihre verborgene Substanz ausmacht, von ihrem Sieg her, und daher sind ihre Hymnen die Siegeslieder der Kirche.

Kirche ist damit nicht eine amorphe Sammlung von Gutmenschen, sondern sie ist und wird sein Gottes Volk aus Judenchristen und Heidenchristen, also ein erweitertes Israel. Über die Bedingungen für diese Erweiterung hat nicht ein deutscher Theologieprofessor zu befinden, sondern der wiederkommende Herr selbst, wie wir es im Advent singen: Regem venturum dominum venite adoremus.

Regelmäßig zeigen romanische Basiliken in ihren Radleuchtern über der Vierung das Bild dieses himmlischen Jerusalem, auf das die Kirche hin pilgert. Die Wanderung dieses Gottesvolkes geschieht nicht ins Ungewisse und Ungefähre hinein, und die Kirche ist keine formlose Konsumgenossenschaft. Sage mir, welchen Bauplan von Kirche du in deinem Herzen trägst und ich sage dir, welche Zukunft deine Kirche oder Diözese hat.

Kein anderer hat diese Zukunft so genial entworfen wie der Zisterzienserabt Joachim von Fiore, dessen weltweit bester Kenner Joseph Ratzinger ist, der ihn in seiner Dissertation behandelt und der einen schönen Lexikonartikel über ihn geschrieben hat. Der Apokalypsekommentar Joachims harrt seit 1527 der Neuedition und einer Übersetzung, 600 Seiten Latein.

Die Kirche der Zukunft ist die der Offenbarung des Johannes. Also keine Summe von Seelchen im Nachthemd, keine Mischung aus Kindergarten und Krankenhaus, kein Zauberberg-Sanatorium wie bei Thomas Mann sondern wie eine Hochzeit im Mai oder Anfang September. Endlich Frieden, endlich keine nächtlichen Schreie. Keine "German Angst". Eine geschwisterliche, musikalische Kirche, denn: Wer singt, wird auferstehen. Die ganze Offenbarung des Johannes ist wie eine Entfaltung der Auferstehung.

Diese Kirche, die jetzige und die künftige, ist Erinnerung an den Sion. Deshalb heißt es "Lauda Sion, salvatorem" in hymnis et canticis.

Heavy Metal und die wilden Tiere des Zoos

Zu allen Zeiten war die Apokalypse mithin ein Muster der engen Verbindung von Glaube und Ästhetik. Das reicht von den Miniaturen der Buchmalerei bis zu den Gesängen des Stundengebets, besonders den Hymnen.

Das ist auch in der Gegenwart geschehen, nur außerhalb von Liturgie und Kirche, zum Beispiel in den Stücken der Heavy Metal Szene. Die Texte sind nicht Bibelzitate, sondern freie Mischung aus apokalyptischen und mystischen Stoffen. Beliebt sind insbesondere die apokalyptischen Reiter. Und in der Rede von den Beton-Engeln wird in Anlehnung an die biblischen Aussagen jede Verkitschung des Engelbildes überwunden. Es gibt hier die "top ten songs about the Apocalypse".

Zum Beispiel in den Anthems (Hymnen) of Apocalypse wiederholt sich der Satz:

When this world comes to an end … tomorrow is too late, live inside the line I am who I am. As the earth crumbles and the sky falls,  time will freeze and I will come to see the true beauty of this time

Gewiss, die Apokalyptik der Heavy Metal-Szene kommt ohne Gott und Christus, ohne Babylon, Jerusalem und Brautmystik aus,  aber sie dokumentiert im Nachhinein den Wert und die Leistung der christlichen Apokalyptik: Diese hat für 1500 Jahre die wilden Tiere dieses Zoos gezähmt und gebändigt. Sie hat mit kräftigen Akzenten den Depressionen und Ängsten ein Hochzeitliches Mahl gegenüber gestellt. Sie hat den Betonengeln für eine Weile das zärtliche und freundliche Lächeln der Gestalten des Kölner Malers Stefan Lochner (+1451) gegeben oder des Genter Altars. Die Gregorianik ist die typisch christliche Musik gegenüber der apokalyptischen Angst der Heavy Metal. Und die Miniaturen der Tierapokalypsen könnte man als die Großmütter der neuzeitlichen Karikaturen bezeichnen. 

So wird das Buch der Sieben Siegel ein Schatzhaus voll von unvorstellbarem Reichtum. Denn wie Horst Kasner, der Vater unserer Bundeskanzlerin, oft gesagt hat: Die Kirche des Wortes lebt in der Welt der Bilder.

Den gesamten Text der Rede von Klaus Berger lesen Sie hier als PDF

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